Dienstag, 4. Juli 2023

Ermittlungen gegen "Letzte Generation":"Es ist problematisch, die Gruppe juristisch zu verfolgen wie die Mafia"

Süddeutsche Zeitung hier  2. Juli 2023, Interview von Thomas Balbierer

Ermittlungen gegen "Letzte Generation": Dass Aktivisten der "Letzten Generation" nach ihren rechtswidrigen Straßenblockaden von Polizisten weggetragen werden, ist ein Bild, an das man sich seit vergangenem Jahr gewöhnt hat. Die Lauschangriffe, die auch Journalisten betroffen haben, sind eine neue Dimension in der Strafverfolgung.

Präventivhaft, Razzien, Lauschangriffe - Bayerns Justiz geht mit voller Härte gegen Aktivisten der "Letzten Generation" vor. Zu hart? Rechtswissenschaftler und Richter Matthias Jahn über Ermittlungspannen, politische Einflussnahme und FBI-Methoden.

Matthias Jahn hat die deutsche Justiz aus vielen Winkeln erlebt: als Strafverteidiger, Staatsanwalt, Richter und Wissenschaftler. Zwischen 2005 und 2013 lehrte er an der FAU Erlangen-Nürnberg, derzeit ist er Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtstheorie an der Goethe-Universität Frankfurt. Daneben arbeitet Jahn als Richter, früher am Oberlandesgericht Nürnberg, nun in Frankfurt. Im Interview spricht der Rechtsexperte über die bayerischen Ermittlungen gegen die "Letzte Generation", Abhörmaßnahmen gegen Journalisten und über die Frage, warum er sich manchmal an das amerikanische FBI erinnert fühlt.

SZ: Herr Jahn, Bayerns Behörden gehen mit umfangreichen Maßnahmen gegen die "Letzte Generation" vor: Präventivhaft, Hausdurchsuchungen, der Verdacht auf Bildung einer "kriminellen Vereinigung". Zuletzt wurde bekannt, dass ihre Kommunikation überwacht wird, darunter Gespräche mit Journalisten. Ist das hartnäckige Ermittlungsarbeit oder juristischer Übereifer?

Matthias Jahn: Das Klima wird rauer. Die Aktivitäten gegen die "Letzte Generation" vermitteln den Eindruck, dass hartnäckig und intensiv ermittelt und manchmal auch zu weit gegangen wird. Einzelne Maßnahmen lassen durchgreifende Zweifel an der Verhältnismäßigkeit aufkommen.

Stimmt der Eindruck, dass die bayerischen Ermittler besonders hart gegen die "Letzte Generation" vorgehen?

Ja. Nach allem, was derzeit öffentlich bekannt ist, gibt es in 16 Bundesländern nur zwei Staatsanwaltschaften, die den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung erheben: die Staatsanwaltschaft in Neuruppin in Brandenburg und die Generalstaatsanwaltschaft München.

Nach SZ-Recherchen haben viele Staatsanwaltschaften in Deutschland - auch in Bayern - den Verdacht der "kriminellen Vereinigung" verworfen. Zu Recht?

Folgte man allein dem Wortlaut des Paragrafen 129 des Strafgesetzbuchs, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass eine kriminelle Vereinigung gebildet wurde - zumindest in der Führungsebene der "Letzten Generation". Aber es ist nicht Aufgabe der Justiz, beim Wortlaut des Gesetzes stehenzubleiben. Man muss auch seine Systematik, Geschichte und den verfassungsrechtlichen Sinn erfassen. Und bei diesem Gesetz sagt der Bundesgerichtshof: Es muss geprüft werden, ob die Sicherheit der Allgemeinheit durch die strafbaren Handlungen tatsächlich gefährdet werden kann. Das kann ich bei der "Letzten Generation" bislang nicht erkennen, ohne die Unbequemlichkeiten und Unzuträglichkeiten von symbolischem Protest verniedlichen zu wollen.

Bekannt sind vor allem die illegalen Straßenblockaden der "Letzten Generation". Die bayerischen Behörden berufen sich aber auch auf einen Versuch von Aktivisten im April 2022, die Ölpipeline von Italien nach Bayern lahmzulegen. Sie warnen vor einer Eskalation. Ist das nicht tatsächlich eine Gefahr?

Ein Anschlag auf eine wichtige Ölpipeline wäre in der Tat geeignet, die öffentliche Sicherheit des Landes auf die Probe zu stellen. Die Ermittler müssen aber die näheren Umstände berücksichtigen: Es gab zum Beispiel frühzeitige Warnungen an die Pipelinebetreiber, außerdem war die Presse zu der Aktion eingeladen. In der Bewertung durch die Generalstaatsanwaltschaft München fehlt mir ein wichtiger Punkt: Paragraf 129 sagt ausdrücklich, dass keine kriminelle Vereinigung vorliegt, wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck von untergeordneter Bedeutung ist. Man muss also bewerten, was die "Letzte Generation" will: Ein 9-Euro-Ticket, ein Tempolimit und die Gründung von Gesellschaftsräten. Straftaten haben in diesem Bild nur eine dienende Funktion zur Herstellung von Öffentlichkeit und Unterstreichung der Dringlichkeit.

Werden die Ziele der Protestaktionen in den Ermittlungen nicht berücksichtigt?

Mir kommt dieser Aspekt zu kurz. Wenn man sich die Beschlüsse des Amtsgerichts München ansieht, die immer vom selben Ermittlungsrichter gefasst wurden, wird der Hintergrund der "Letzten Generation" zwar angerissen. Es wird aber nicht ausgeführt, dass die Straftaten einem von der Mehrheit der Gesellschaft bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht befürworteten Zweck dienen sollen: einer wirksamen Klimapolitik. Daher ist es problematisch, die Gruppe juristisch zu verfolgen wie die Mafia.

Nach der Razzia im Mai haben Sie von FBI-Methoden gesprochen. Wie war das gemeint?

Das bezog sich auf ein Banner mit offiziellen Behördenlogos, das auf der beschlagnahmten Homepage der "Letzten Generation" platziert wurde. Dort stand: Die "Letzte Generation" stellt eine kriminelle Vereinigung dar; Achtung: Spenden stellen ein strafbares Unterstützen dar. So ein plakatives Vorgehen in der Frühphase einer Ermittlung kannte ich nur vom FBI, das durch solche ihrerseits symbolische Aktionen Härte demonstriert. Am selben Tag ist die Generalstaatsanwaltschaft zurückgerudert und hat diesen in der deutschen Rechtsgeschichte beispiellosen Vorgang gestoppt.

Der Fall wurde kürzlich im Innenausschuss des Landtags thematisiert, der Tenor der Regierungsvertreter: Ein Fauxpas, blöd gelaufen. Reicht Ihnen diese Erklärung?

Nein, das reicht nicht. Als Rechtswissenschaftler muss ich darauf bestehen, dass der deutsche Strafprozess vom Grundsatz der Unschuldsvermutung beherrscht wird. Dieser Grundsatz ist hier mit Füßen getreten worden und das sollten Gerichte feststellen.

Die Opposition wittert politische Einflussnahme. Dietmar Bartsch, der Linken-Fraktionschef im Bundestag, behauptete, die bayerische Justiz werde für einen "unanständigen Wahlkampf missbraucht". Gibt es dafür Anhaltspunkte?

Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte und ich halte diesen Vorwurf inhaltlich für falsch. Es deutet nichts darauf hin, dass sich bayerische Strafverfolger von der Regierung instrumentalisieren lassen. Aber: Wir Juristen sind in unsere Zeit gestellt. Niemand kann sich politischen Strömungen vollständig entziehen, die die juristische Praxis umfluten. Und deshalb mag es so sein, dass die unterschiedlichen Bewertungen der "Letzten Generation" selbst in der Münchner Justiz mit unterschiedlichen politischen Vorverständnissen der Staatsanwälte zu tun haben.

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) kann den Staatsanwälten formal Weisungen erteilen. Davon habe er aber noch nie Gebrauch gemacht, versicherte er im Innenausschuss.

Das entspricht der Zurückhaltung, die ich von Justizministerinnen und -ministern anderer Bundesländer kenne. Aus meiner Vergangenheit als Staatsanwalt kann ich jedoch sagen, dass es subkutane Mittel der Einflussnahme gibt. Man wird ins Ministerium bestellt, es gibt "Überdenkenswünsche", Telefonate mit "kritischen Ratschlägen" im Hintergrund. Das ist nicht neu und auch nicht skandalös, denn die Politik trägt die Letztverantwortung.

Das LKA hat über Monate hinweg Mitglieder der "Letzten Generation" belauscht, auch Telefonate mit Pressevertretern. Die Überwachung wurde von der Generalstaatsanwaltschaft München beauftragt und von einem Münchner Amtsgericht als verhältnismäßig abgesegnet. Sie haben richterliche Erfahrung - hätten Sie unter Berücksichtigung der Pressefreiheit zugestimmt?

Nein, der Beschluss ist erkennbar defizitär. Weil er den Paragrafen 160a der Strafprozessordnung, die entscheidende Vorschrift zum Schutz von Journalisten als Berufsgeheimnisträgern, mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das ist rechtswidrig.

Wir sehen also Fehler bei einer Razzia, eine problematische Abhöraktion und den wackeligen Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Wie angreifbar ist dieses Ermittlungsverfahren?

Ich halte das Verfahren für eine außerordentliche Ungeschicklichkeit, und das ist noch milde formuliert. Es geht bis an die äußersten Grenzen dessen, was die Strafprozessordnung erlaubt - und teilweise darüber hinaus.

Könnten weitere Maßnahmen gegen die "Letzte Generation" folgen?

Meine Fantasie reicht dafür nicht aus. Ich hatte mir schon nicht vorstellen können, dass ein für Journalisten eingerichtetes Telefon abgehört und ein Strafverfolgerplakat ins Netz gestellt wird. Ich kann nur hoffen, dass nicht noch mehr Schmutzeleien ans Licht kommen.

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