Wie sich Markus Lanz in der Debatte um die Letzte Generation blamierte
Artikel von Mohssen Massarrat • Vor 1 Std. hierKlimaaktivist stieß mit Vorschlag eines Bürgerrates auf heftigen Widerstand bei Moderator und Gästen. Die aber hatten eine wichtige Entwicklung übersehen. Eine kritische Rezension.
.......Es ging also um die Aktionen der Letzten Generation, die in den letzten Monaten oft mit Blockaden von Hauptverkehrsstraßen und Autobahnen im ganzen Land öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck bringen wollten, dass die Bundesregierung nichts oder nicht genug tut, um Klimaschutzziele zu erreichen, die notwendig sind, um künftige Generationen vor den katastrophalen Folgen des menschengemachten Klimawandels zu schützen.
Indem die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation – ganz im Sinne des Leitgedankens des zivilen Ungehorsams – Risiken auf sich nehmen und dabei auch bewusst Gesetze brechen, glauben sie, den Druck auf die Politik drastisch erhöhen und radikalen Klimaschutzforderungen wie dem bundesweiten Neun-Euro-Ticket für alle und Tempo 100 mehr Nachdruck verleihen zu können. Dabei nehmen die Aktivisten auch in Kauf, für die begangenen Regelverstöße ins Gefängnis zu gehen.
Der wissenschaftlich tätige Aktivist der Letzten Generation, Theodor Schnarr, war der Hauptkontrahent der Talkrunde am 20. Juli, die Markus Lanz über das Für und Wider der Blockadeaktionen der Letzten Generation führen wollte.
Die anderen drei GesprächsteilnehmerInnen, wie der katholische Theologe und Psychiater Manfred Lütz, der Autor und Jurist Michael Friedman und Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, sollten ihre Sicht der Dinge in die Runde einbringen. Sie waren sich einig, dass es sich bei der Klimakatastrophe tatsächlich um eine existenzielle Gefahr für die Menschheit handelt, die man zu Recht dramatisieren darf.
Zunächst ein Wort zum Moderator Markus Lanz. Er moderierte wie so oft nicht diskussionsoffen und überzog seine Rolle als Moderator drastisch. Auch hier verfolgte Lanz mit Vehemenz und Penetranz offensiv das Ziel, die Vertreter der Letzten Generation auf die Anklagebank zu setzen, weil sie mit ihren Blockadeaktionen erstens Gewalt anwendeten, zweitens einfache BürgerInnen, die einfach nur zur Arbeit gehen, ihre Kinder von der Kita abholen oder Einkäufe erledigen wollten, massiv verärgerten und drittens aus diesem Grund die Menschen gegen ihr eigentliches politisches Anliegen aufbrachten und damit dem Klimaschutz eher schadeten.
Man könnte Lanz' inhaltliche Kritik bis zu diesem Punkt sicherlich nachvollziehen und auch Michael Friedman zustimmen, der rhetorisch brillant der tatsächlich unzutreffenden Behauptung des Aktivisten Schnarr widersprach, die Aktionen der Letzten Generation würden als friedliche Aktionen wahrgenommen.
Die Straßenblockaden seien faktisch gewaltsame Aktionen, weil sie zweifelsohne den AutofahrerInnen die Bewegungsfreiheit beraubten. In der Debatte um die Gewaltfrage standen die Aktivisten der Letzten Generation auf verlorenem Posten.
Was nicht diskutiert wurde
Zudem wurden zwei essenzielle Themen gar nicht oder nur rudimentär diskutiert. Dabei sind es gerade diese Themen, die die Aktionen der letzten Generation in einem anderen Licht erscheinen lassen:
Zunächst die erneute Forderung der Klimaaktivisten nach einem Gesellschaftsrat, die Markus Lanz, Michael Friedman und Manfred Lütz fast auf die Palme brachte, bei der Ethikratsvorsitzenden Alena Buyx aber auf Sympathie stieß.
Der Gesellschaftsrat, erläuterte Theodor Schnarr, werde per Losverfahren zusammengesetzt und aus 160 Personen bestehen, so dass er die gesamte Gesellschaft abbilde.
Mit Hilfe von Klimaschutzexperten sollen die Ratsmitglieder auf einen möglichst gleichen Wissensstand gebracht werden. In kleinen Arbeitsgruppen sollten sie Lösungen für ein Gesamtgutachten mit Maßnahmen für die Politik erarbeiten, wie der Ausstieg aus den fossilen Energien bis 2030 erreicht werden kann.
Markus Lanz stellte sichtlich empört die Legitimation eines solchen Gesellschaftsrates in Frage, indem er ihn mit dem deutschen Parlament mit seinen über 700 Mitgliedern verglich und kritisierte, es sei absurd, einem kleinen, per Losverfahren zusammengesetzten Gremium mehr Legitimation und Kompetenz zuzusprechen als dem von 84 Millionen Menschen demokratisch gewählten Parlament.
Lanz brachte sein tiefes Unbehagen gegenüber dem Vorschlag, die Lösung des Klimaproblems in die Hände eines Gesellschaftsrates zu legen, mit der Bemerkung auf den Punkt, der Vorschlag impliziere ein tiefes Misstrauen der letzten Generation gegenüber dem Parlament und der Demokratie überhaupt.
Gesellschaftsrat schon lange in Debatte
Was Lanz aber offensichtlich nicht wusste, ist die Tatsache, dass das Konstrukt des Gesellschaftsrates keine Erfindung der Letzten Generation ist, sondern seit über 40 Jahren in den kritischen Gesellschaftswissenschaften diskutiert und in der Schweiz seit Langem als eine sehr sinnvolle Möglichkeit der Entscheidungsfindung in vielen kontrovers diskutierten politischen Fragen praktiziert wird.
Peinlich ist auch die Unkenntnis des Markus Lanz Rechercheteams, dass die Einrichtung von Bürgerräten sogar im Koalitionsvertrag der Ampelparteien verankert ist.
Demnach sollen zur Erstellung von Gutachten zu verschiedenen politischen Themen Bürgerräte gebildet werden, die aus genau 160 Personen bestehen und per Losverfahren zusammengesetzt werden: Sie sollen die gesamte gesellschaftliche Breite abbilden, wie es auch die Letzte Generation Klimaschutz vorschlägt.
Die Ampelkoalition will offenbar die Schweizer Erfahrungen für Deutschland nutzbar machen und die Zivilgesellschaft stärker in ihre Entscheidungen einbeziehen.
Und tatsächlich ist bereits ein Bürgerrat für geeignete Maßnahmen zur Ernährungssicherung der Bevölkerung vereinbart worden; seine Einrichtung sollte just einen Tag nach der Lanz-Sendung im Deutschen Bundestag beschlossen werden.
Immerhin scheint die Politik weiter zu sein als die vermeintlichen Meinungsmacher der Republik. Dumm nur, dass die Ampelregierung es versäumt hat, einen Bürgerrat für die umstrittenste und existenziellste Frage des Klimaschutzes einzurichten.
Um die Ampelregierung daran zu erinnern, das Versäumte nachzuholen, müssen sich die Aktivisten der Letzten Generation auf die Straße stellen und den Verkehr blockieren.
...Das Versagen der parlamentarischen Demokratie, ein Problem wie den Klimaschutz sträflich zu verschleppen, obwohl die Wissenschaft seit über 40 Jahren Alarm schlägt, ist der Hauptgrund dafür, dass Menschen aus der Zivilgesellschaft zu Methoden jenseits des Dialogs greifen, die Michael Friedman in der Lanz-Sendung als den demokratiekonformen Weg bezeichnete, den die Fridays for Future erfolgreich praktizieren.
Die Letzte Generation zeigt mit ihren Aktionen des zivilen Ungehorsams die undurchlässigen Grenzen der parlamentarischen Demokratie auf, wenn es darum geht, einschneidende Maßnahmen wie jetzt beim Klimaschutz durchzusetzen, die dringend notwendig erscheinen.
Wenn eine Klientel- und Besserverdienerpartei wie die FDP in der Regierung ein Tempolimit verhindern kann, damit Porsche-Fahrer weiterhin freie Fahrt haben, wenn sie darüber hinaus die Ampel-Regierung in so existenziellen Fragen wie dem Klimaschutz immer wieder ausbremst, wo sie nur kann, dann hat diese Demokratie ein ernsthaftes Problem.
Und wenn sich in Berlin mehr kapitalkräftige Lobbyisten als Abgeordnete tummeln, dann hat diese Demokratie ein noch größeres Problem. Damit ist die Gefahr strukturell verankert, dass die Volksvertreter Opfer der Desinformation durch gierige Vermögensbesitzer werden, die nie das Gemeinwohl, sondern immer ihre Partikularinteressen im Auge haben und deshalb bestrebt sind, die Volksvertreter mit allen erdenklichen Raffinessen in ihrem Sinne zu manipulieren.
Der Gesellschafts- oder Bürgerrat ist im Grunde ein winziges Gegengewicht gegen die Übermacht der Lobbyisten, die ohne jede politische Legitimation ihr Unwesen treiben.
Klimaschutz braucht direkte Demokratie
Es ist allerdings zu befürchten, dass die Zeit für einen gesellschaftlichen Ratschlag zur Lösung des Klimaproblems nicht mehr ausreicht. Die Ampel-Koalition, die im Hinblick auf Klimaschutz faktisch von der FDP als kleinster Koalitionspartei geführt wird, ist ohnehin dabei, die Lösung des Klimaproblems demnächst im Wesentlichen den Marktkräften zu überlassen.
In der Koalition dominiert offenbar der Glaube, der Emissionshandel werde die CO2-Preise in die Höhe treiben und so Industrie, AutofahrerInnen und auch Haushalte von selbst zu klimafreundlichem Verhalten bewegen. Dabei ermöglicht der Emissionshandel den Reichen, sich mit Geld aus der Affäre zu ziehen, indem sie trotz steigender Benzinpreise weiterhin ihre dicken Autos fahren und um die Welt fliegen.
Es ist zudem ungemein umstritten, ob der Emissionshandel überhaupt geeignet ist, die Wirtschaft mit ihrem gigantischen Verbrauch fossiler Energieträger in den wenigen verbleibenden Jahren zu dekarbonisieren.
Die Menschheit hat keine Zeit mehr für neue ideologisch motivierte Experimente. Die Ampelkoalition kämpft derzeit mit enormem Aufwand und Zeitverlust, wie das zur Abstimmung stehende Wärmegesetz zeigt, nur um einzelne technologische Maßnahmen, ohne zu wissen, ob diese überhaupt zielführend sind.
Sträflich ist, durch den oft ideologisch geprägten Streit um Einzellösungen weitere Jahre unwiederbringlich zu verlieren und das Schicksal der Menschheit in einer unbestreitbar existentiellen Frage einem Marktinstrument wie dem Emissionshandel, also letztlich vor allem den Marktkräften, anzuvertrauen.
Wäre es aber nicht umgekehrt logischer und vernünftiger, zunächst den Ausstieg aus dem fossilen Energiepfad politisch festzuschreiben und erst dann nach geeigneten technischen und politischen Wegen zu seiner Umsetzung zu suchen?
Denn nur so kann verhindert werden, dass im Dauerstreit um die besten technologischen Lösungen, der auch nach dem Wärmegesetz wieder aufflammen dürfte, das eigentliche Ausstiegsziel gänzlich auf der Strecke bleibt.
Im Grunde besteht in der Wissenschaft und inzwischen auch in der Politik – mit Ausnahme des harten Kerns der AfD, der das Klimaproblem kategorisch leugnet – weitgehend Einigkeit darüber, dass der Verbrauch fossiler Energieträger bis 2030 auf 50 Prozent und bis 2050 auf 100 Prozent des globalen Verbrauchs von 1990 reduziert werden muss, um den durchschnittlichen Temperaturanstieg an der Erdoberfläche unter 1,5 bzw. maximal zwei Grad Celsius zu halten und damit die großen Klimakatastrophen gerade noch zu verhindern.
So gesehen liegt es eigentlich auf der Hand, dass dieses Szenario auch in der Gesellschaft eine überwältigende Mehrheit findet. Was spricht also dagegen, genau dieses Ausstiegsszenario in einem Referendum zur Abstimmung zu stellen und gleichzeitig die Politik zu verpflichten, erstens das allgemein akzeptierte Ausstiegsziel durch eine sukzessive Reduktion des Angebots an fossilen Energieträgern zu erreichen und zweitens technisch geeignete und sozial ausgewogene Maßnahmen und Schritte zu wählen.
Es gibt kein sichereres Verfahren, den Ausstieg für alle und ohne Ausnahme gezielt und systematisch gerade durch die Verknappung des Angebots an Öl, Gas und Kohle zu erzwingen. Natürlich stehen Deutschland und im größeren Zusammenhang die Weltgemeinschaft vor dem größten ordnungspolitischen Projekt der Menschheitsgeschichte.
Der Klimawandel ist zugleich die größte ökologische Herausforderung der Menschheit. Im Gegensatz zum Emissionshandel lässt die systematische Verknappung des Angebots systembedingt keiner Verbrauchergruppe die Möglichkeit, sich trickreich dem Ausstiegsprozess zu entziehen.
Ein solcher Volksentscheid mit einer solch einfachen Zielformulierung bildet dann die absolute Legitimation für den Rahmen der zukünftigen Klimaschutzpolitik, um dessen praktische Umsetzung dann die politischen Parteien wetteifern müssten. Die Parteien und vor allem die beiden Bewegungen Fridays for Future und Letzte Generation sind aufgefordert, diesen Vorschlag für einen Volksentscheid auf ihre Agenda zu setzen.
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