hier Eine Kolumne von Marcel Fratzscher in der Zeit 21. Juli 2023
Ein häufiger Einwand gegen Klimaschutzmaßnahmen hierzulande ist, die Anstrengungen brächten nicht viel, wenn Menschen in anderen Ländern nicht auch ihre Emissionen reduzieren würden. Der neue Climate Inequality Report 2023 entkräftet dieses Argument nun aber. Er zeigt nicht nur, dass die reichsten Länder bei Weitem die höchsten CO₂-Emissionen haben, sondern dass die Ungleichheit innerhalb der Länder entscheidender ist, als die Ungleichheit zwischen den Ländern.
Mehr noch: Einsparungen bei dem ein Prozent der Bevölkerung mit den höchsten Emissionen sind deutlich leichter zu realisieren als bei den 50 Prozent mit den geringsten Emissionen. Die Bekämpfung von Armut dagegen verursacht nur geringe zusätzliche CO₂-Emissionen, die innerhalb des Budgets sind, um das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Vertrag zu erreichen.
Die Ungleichheit der CO₂-Emissionen ist beeindruckend und deprimierend zugleich. Die zehn Prozent der Weltbevölkerung mit dem höchsten CO₂-Ausstoß – viele davon in Industrieländern wie Deutschland – sind für die Hälfte aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die ein Prozent der Top-Emittenten verursacht gar mehr als die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung.
Der größte Anteil dieser Ungleichheit wird dabei nicht durch Unterschiede zwischen Ländern erklärt, also vor allem zwischen den reichen Industrieländern und den armen Ländern im Globalen Süden. Nein, die Ungleichheit der Treibhausgasemissionen richtet sich nach dem Einkommen und daher nehmen sie nach den Verhältnissen innerhalb von Gesellschaften zu. Anders formuliert bedeutet dies, dass es nicht ausreicht, lediglich den Gesamtausstoß von CO₂-Emissionen in allen Ländern zu verringern, sondern ein Augenmerk auf die Verteilung des Treibhausgasausstoßes innerhalb von Ländern gerichtet werden muss, um Einsparpotenziale zu heben.
Die gute Nachricht ist: Es ist möglich, Veränderungen zu bewirken. Das Potenzial für erhebliche Einsparungen durch neue Produktionsmethoden oder ein anderes Konsumverhalten ist bei den zehn Prozent der größten Emittenten weltweit groß. Das zeigt zum Beispiel die Erfahrung mit der Gas- und Strompreisbremse in Deutschland. Einiges deutet darauf hin, dass Menschen mit hohen Einkommen und hohem Verbrauch von Gas und Strom eine deutlich höhere Preiselastizität der Nachfrage haben. Sprich: Für sie ist es sehr viel einfacher, Einsparungen vorzunehmen, als für Menschen mit wenig Einkommen und geringeren Emissionen.
Eine Familie mit großem Haus, mehreren Autos und einem großzügigen Verbrauch muss nicht unbedingt auf vieles verzichten oder Wohlstand aufgeben, wenn sie den Verbrauch von Gas, Strom oder Benzin um 20 Prozent reduziert. Anders sieht es aber für eine Familie mit wenig Einkommen aus, die gerade, weil sie wenig Geld zur Verfügung hat, schon immer große Anstrengungen unternahm, sparsam mit Ressourcen umzugehen. Greenpeace hat jüngst ein extremes Beispiel für den Zusammenhang von Wohlstand, Ressourcenverschwendung und Klimaschutz vorgerechnet. Die Umweltschutzorganisation schätzt, dass mehr als 58.000 Privatjetflüge in Deutschland allein im Jahr 2022 unternommen wurden, die ein erhebliches Einsparpotenzial bedeuten und deren Verzicht den Wohlstand der Gesellschaft als Ganzes wohl nur sehr geringfügig reduzieren würde.
Ähnliches gilt für die Finanzierung. Der Climate Inequality Report schätzt, dass die zehn Prozent der größten Emittenten auch 76 Prozent aller Finanzvermögen besäßen und dadurch sehr viel leichter auf alternative Technologien oder andere Formen des Konsums zurückgreifen könnten. Leider liegen jedoch Welten zwischen dieser Möglichkeit zur Finanzierung und Anpassung und der Realität. Zwar hat sich die Weltgemeinschaft schon bei der Klimaschutzkonferenz 2015 in Paris darauf geeinigt, dass die reichsten Länder den ärmsten Ländern finanziell helfen sollen, ihre Anpassungsfähigkeit zu erhöhen und die Kosten für die ärmsten Menschen zu kompensieren. In der Realität ist jedoch hiervon wenig umgesetzt worden, auch wenn die Staatengemeinschaft 2022 auf der Klimakonferenz in Scharm-el-Scheich die Absicht mit einem Loss and Damage Fund nochmals bestärkt hat. Denn es ist bisher bei leeren Versprechen geblieben – ein bitteres Versagen auch der Bundesregierung und der Europäischen Union.
Weniger Armut bedeutet nicht mehr Emissionen
Ein zweites falsches Argument in den Diskussionen lautet, dass Wachstum zur Armutsbeendigung
im Globalen Süden die Welt unweigerlich
in die Klimakatastrophe stürzen würde.
Der Climate Inequality Report
widerlegt dieses Argument und zeigt, dass die Abschaffung der Armut
vergleichsweise geringe zusätzliche Emissionen verursachen würde, die zudem
recht leicht durch moderate Einsparungen der Top-Ten-Prozent der Emittenten
weltweit kompensiert werden könnten. Ein Ende der Armut weltweit – so wie von
den UN in den Nachhaltigen Entwicklungszielen benannt und auch von Deutschland
unterstützt – ist also ganz und gar vereinbar mit den Klimaschutzzielen, wenn
denn die zehn Prozent der größten Emittenten Veränderungen in ihrem Lebensstil
vornähmen.
Und genau hier liegt das Problem: Zwar verursachen zehn Prozent der reichsten Menschen die Hälfte aller CO₂-Emissionen und besitzen drei Viertel aller Kapazitäten, um effektive Einsparungen vorzunehmen, sie haben aber auch die geringsten Anreize, zumindest aus einer engen, egoistischen Perspektive, solche Einsparungen oder Finanzierungen zu leisten. Denn die Top-Ten-Prozent der Emittenten trügen nur drei Prozent des globalen Schadens durch Klimawandel und den damit einhergehenden Dürren, Stürmen, Fluten und anderen Katastrophen, schätzt die Klimastudie.
Die Hälfte der Weltbevölkerung mit den geringsten Emissionen dagegen erleidet 75 Prozent der globalen Schäden und trägt damit auch die Kosten des Klimawandels. Der Verlust von natürlichem Lebensraum und landwirtschaftlicher Fläche, Wasserknappheit, Überschwemmungen, Waldbränden und damit verbundene Konflikte treffen fast immer die verletzlichsten und ärmsten Menschen global und auch innerhalb Gesellschaften besonders hart.
Die Regierungen, auch in Deutschland, sind bisher daran gescheitert, diese Logik zu verändern und durch Steuern, Regulierung und gezielte Hilfen den Widerspruch zwischen Potenzialen und Anreizen zu verändern. Die wichtigste Botschaft des Climate Inequality Reports ist dabei: Wir werden so lange bei Schutz von Klima, Umwelt und Biodiversität scheitern, solange die zehn Prozent mit den größten höchsten Emissionen und größten Vermögen nicht beginnen, ihr Verhalten signifikant zu ändern, und zur Finanzierung des Klimaschutzes beitragen.
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