Handelsblatt hier Interview mit Matthew Cappucci von Annett Meiritz 22.07.2023
Teile Europas und der USA leiden unter Extremwetter-Ereignissen. Der amerikanische Meteorologe Matthew Cappucci warnt vor Verharmlosung – und erklärt, für wen die Temperaturen besonders gefährlich sind.Im Juli verging fast kein Tag ohne Extremwetter-Ereignis in den Nachrichten. „Kaliforniens Death Valley brutzelt bei anhaltender Hitzewelle“, „Siesta in Deutschland – Arbeitgeber und Gewerkschaften streiten um mögliche Hitzepausen“ oder „Akropolis in Athen wird wegen Hitze geschlossen“ – das ist nur eine Auswahl aktueller Nachrichten.
Vor allem die hohen Temperaturen belasten Teile Europas und der USA besonders. „Die Intensität und die Dauer sogenannter Hitzedome nimmt zu, sie sind in diesem Jahr überall auf der Welt besonders hartnäckig“, sagt Matthew Cappucci, Haus-Meteorologe der bekannten US-Zeitung „Washington Post“.
Der 25-Jährige machte seinen Abschluss in Atmosphärenwissenschaften an der Elite-Uni Harvard. Cappucci ist nach eigenen Angaben ein „Wetter-Fanatiker“ und hat fünf Jobs: Er macht Vorhersagen im Fernsehen, in der Zeitung, für die Wetter-App MyRadar, er lehrt an einer Abendschule und schreibt Bücher. Seine Videos, in denen er im Pick-up-Truck und mit Schutzhelm Unwetter jagt, sind auf TikTok, Instagram und Twitter sehr beliebt. Im Interview spricht er über immer höhere Temperaturrekorde, Frühwarnsysteme und Künstliche Intelligenz in der Meteorologie.
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Matthew Cappucci:
Warum ist dieser Sommer ungewöhnlich?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Planet im Juli die heißeste Woche seit 140 Jahren erlebt hat, gerechnet vom Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen. Vor diesem Zeitraum gibt es keine zuverlässigen Daten, wir wissen aber, dass die Temperaturen davor viel kühler waren. Ich erkläre das gern mit einem Bild: Stellen Sie sich vor, Sie wollen auf- und abspringen und die Decke in ihrer Wohnung erreichen. Lange Zeit können Sie sie nicht erreichen. Aber mit richtig hohen Schuhen, die immer höhere Absätze bekommen, stoßen Sie mit der Zeit viel häufiger an die Decke. Das Gleiche passiert mit den Sommertemperaturen, die wir erleben. Sie schwanken, aber werden im Schnitt heißer.
Teile der USA und Europas sind seit Wochen unter einem sogenannten „Hitzedom“, was passiert da?
Der neue Normalzustand der Erde ist die Erwärmung, weil die Menschheit unumkehrbar Wärmeenergie in die Atmosphäre leitet. Gewöhnliche Wetterereignisse werden zu Extremwetter und brechen immer häufiger Rekorde. Hitzedome sind riesige, sich ausbreitende Hochdruckgebiete, die heiße, trockene, absinkende Luft über einem Gebiet einschließen und hohe Temperaturen verursachen. Wegen des Klimawandels nimmt die Intensität und die Dauer dieser Hitzedome zu, deshalb sind sie in diesem Jahr überall auf der Welt besonders hartnäckig.
Was sagen Sie Menschen, die der Meinung sind: Das ist kein Klimawandel, warmes Wetter gab es schon immer?
Ich sage ihnen: Woher haben Sie Ihren Abschluss in Atmosphärenwissenschaften? Vor allem in Amerika glauben viele Menschen, dass ihre Meinung gleichwertig ist mit Fakten von jemandem, der qualifiziert ist. In der öffentlichen Debatte werden diese Meinungen manchmal gleichwertig mit der Expertise von Wissenschaftlern behandelt, das ist Unfug. Wissenschaft muss transparent sein, sie muss Beweise vorlegen. Aber ein Typ namens Larry, der aus seinem Keller seine Meinung über den Klimawandel kundtut, ist mir egal.
Sie reisen regelmäßig nach Europa, um dort Wetterphänomene zu beobachten. Ist Europa für das Extremwetter der Zukunft gewappnet?
Nein, Europa ist zum Beispiel auf extreme Hitzewellen nicht vorbereitet. Die Überalterung der europäischen Bevölkerung macht mir große Sorge, der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung ist höher als in den USA. Hitze tötet jedes Jahr mehr Menschen als Überschwemmungen, Wirbelstürme und Tornados zusammen. Menschen mit einer bereits bestehenden gesundheitlichen Anfälligkeit belasten ihren Körper bis an die Grenze, oft ohne dass sie es merken. Das gilt vor allem für Europa, wo Klimaanlagen nicht sehr weit verbreitet sind. Wenn es nachts sehr warm wird, die Menschen schlafen müssen und der Hitze nicht entkommen können, kann das sehr leicht tödlich enden. ...
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