Der SPIEGEL-Leitartikel von Susanne Götze hier 26.07.2023
Wer nicht hören will, muss fühlen? Fliegen Urlauber nach Griechenland, können sie die Folgen ihrer CO₂-Sünde jetzt live erleben, spotten Klimaaktivisten. Solche Schadenfreude ist töricht.
Rhodos ist ein Sehnsuchtsort für Reisende. In diesen Tagen aber breiten sich dort Waldbrände aus, sie sind derzeit unkontrollierbar. Einheimische und Urlauber fliehen vor den Flammen Richtung Strand. Hinter ihnen bäumen sich schwarze Rauchsäulen auf, die Luft ist gesättigt mit giftigen Gasen. Die Menschen warten auf rettende Boote, Touristen harren tagelang in Flüchtlingscamps aus, bis sie endlich nach Hause können. Manche der Einheimischen haben hingegen gar kein Zuhause mehr.
Die Lage ist eindeutig, es ist ein Drama, Mitleid wäre angebracht. Doch in den vergangenen Tagen haben sich zwei Sichtweisen auf das Drama ausgebildet, die beide irritierend sind.
Eine kommt von manchen Klimaaktivisten. Sie äußern sich in den sozialen Medien mit Schadenfreude und Häme über die Urlauber. Wer mit dem Billigflieger an den Strand reise, müsse mit den Konsequenzen leben, heißt es sinngemäß. »Das ist dann wohl praktisches Lernen«, twittert etwa ein Account von der Aktivistengruppe »Teachers for Future«, andere meinen gehässig, ob man nicht mal »für eine Woche Touristen ertrinken lassen und dafür Kriegsflüchtlingen helfen?« solle. Wieder andere freuen sich, dass die Klimakrise endlich mal »Reiche« treffe.
Wer nicht hören will, muss fühlen? Der Waldbrand als gerechte Strafe für die CO2-Sünden des Massentourismus? So sind diese Reaktionen wohl zu verstehen.
Doch auch von Verharmlosern der Klimakrise sind merkwürdige Kommentare zu hören, auch hier scheint jedes Mitgefühl für die Opfer der Katastrophe zu fehlen. Sie unterstellen den »Klimaklebern«, die Brände mit Absicht gelegt zu haben, um das Thema Klimawandel wieder in die Medien zu bringen. Oder sie behaupten einfach, dass das Ereignis überhaupt nichts mit der Klimakrise zu tun habe. So etwas habe es ja »früher auch schon« gegeben, heißt es dann, ohnehin sei ja alles »nur« Brandstiftung.
Beide Seiten haben unrecht. Ihre Kommentare vertiefen die Spaltung in der Gesellschaft, sie sind destruktiv und töricht – doch leider auch symptomatisch für den derzeitigen Stand der Debattenkultur beim Thema Klimakrise.
Zuerst einmal stehen die Ereignisse in Rhodos für eine humanitäre Katastrophe, bei der einheimische Griechen ihr zu Hause verlieren und Menschen ihren oft schwer erarbeiteten Urlaub unter beängstigenden Bedingungen unterbrechen müssen. Angriffe auf die Opfer verbieten sich deshalb.
Komplexe Ursachen statt vereinfachtes Blaming
Zudem ist es unsinnig, das von den Ferienfliegern ausgestoßene Kerosin zur Hauptursache von Waldbränden zu erklären. Es ist aber auch absurd zu behaupten, Brände und Hitze habe es in dieser Form auf griechischen Inseln ja »schon immer« gegeben. Die Ursachen für den Klimawandel – und somit auch für die Folgen des Klimawandels – sind komplexer.
Fakt ist, dass sich Griechenland durch die Klimakrise schneller als im weltweiten Durchschnitt erwärmt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten häuften sich laut Internationaler Energieagentur (IEA) Hitzeereignisse, zudem regnet es im Sommer noch weniger. Studien gehen davon aus, dass sich dieser Trend bis zum Ende des Jahrhunderts noch fortsetzen wird. Das gilt übrigens für den gesamten Mittelmeerraum, weshalb Forscher in einigen Regionen eine langsame Verwüstung voraussagen.
Die Waldbrände auf Rhodos wurden nach jetzigem Kenntnisstand von Menschen verursacht. Ein entscheidender Faktor ist der Massentourismus: Immer mehr Land wird bebaut, Grundwasser verschwendet, Menschen laufen (rauchend) unachtsam durchs Gelände. Solche Umweltsünden vor Ort verbinden sich mit einer verschärfenden Klimakrise am Mittelmeer zu einer unheilvollen Allianz: Wälder entzünden sich nun mal besonders leicht, wenn es lange trocken war. Brände werden zudem durch hohe Temperaturen begünstigt.
Sind solche Brände also nur durch die Klimakrise verursacht? Nein. Werden sie dadurch begünstigt: sehr wahrscheinlich ja.
Dennoch greift es zu kurz, die Urlauber, die mit dem Flugzeug – und damit mit klimaschädlichem Kerosin – anreisen und sich in überlaufenden Touristenorten erholen, schuldig zu sprechen. Solange es solche Billigflüge und Last-minute-Angebote an idyllische Urlaubsorte gibt, werden Menschen sie nutzen. Und übrigens: Auf Rhodos machen oftmals keine »Reichen« Urlaub: Angebote, sieben Tage auf Rhodos »all inclusive« zu verbringen, werden eher von Menschen mit schwächerem Einkommen genutzt.
Mit dem Zug nach Rhodos?
Die mahnenden Appelle an den Einzelnen bringen jedoch nichts, solange es weiterhin Billigflüge gibt. Außerdem mangelt es an guten Alternativen. Mit dem Zug und dem Schiff nach Rhodos zu reisen, das würde so mancher vielleicht sogar auf sich nehmen, wenn es eine vernünftige und günstige Zugverbindung nach Griechenland gäbe. Die existiert aber nicht. Und wenn es endlich CO2-neutrales Flugkerosin gibt, wäre alles sowieso einfacher. Das aber wird erst seit ein paar Jahren entwickelt und ist enorm energieintensiv, hier hinkt man Jahrzehnte hinterher.
Deutschland auf dem Trockenen
Es ist deshalb zu einfach, mit dem Finger auf Flugreisende zu zeigen. Selbst wenn kein einziger Urlauber mehr in ein Flugzeug steigt, würde sich die Klimakrise kaum verlangsamen. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Transformation, alle klimaschädlichen Brennstoffe müssen reguliert und verteuert werden. Nicht nur Kerosin. Elektrifizierung und klimaneutrale Treibstoffe hingegen müssen dringend gefördert werden.
Auswege liegen deshalb weder in der Verunglimpfung der Opfer noch im Abstreiten der recht eindeutigen Folgen der weltweiten Klimakrise. Es geht jetzt um Lösungen: Wie nämlich Tourismus und Reisen nachhaltiger werden können und wie – so schnell wie möglich – der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen mit strengen Regulierungen gestoppt werden kann.
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