Mittwoch, 19. Juli 2023

Das absurde Märchen von der deutschen Stromabhängigkeit - AFD und CDU zündeln mal wieder.

Warum dieses Zündeln? Wissen sie es nicht besser, weil sie sich nicht informieren bevor sie reden?
Oder wollen sie die Menschen vorsätzlich aufhetzen, indem sie ihnen Angstgeschichten vorgaukeln?
Beides scheint gleich schlimm zu sein, denn unsere Gemeinschaft leidet unter den Lügen.

Ein großes Dankeschön an die Schwäbische Zeitung, dass sie hier den populistischen Angst-Schürern entschieden entgegen tritt!


hier  Schwäbische Zeitung  19.07.2023,  Carsten Korfmacher

Deutschland kann seinen Eigenbedarf auch weiterhin decken.

Deutschland hat zuletzt mehr Strom importiert als exportiert. Union und AfD konstruieren daraus eine „gefährliche Energie-Abhängigkeit“. Doch das ist blanker Unsinn - und mehr.

Am 15. April dieses Jahres wurden die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz genommen. Einige Experten befürchteten eine Strommangellage aufgrund des endgültigen Atomausstiegs.

Nun liegen erste Zahlen zur Stromproduktion vor. Und tatsächlich: Seit Mitte April wurde mehr Strom importiert als exportiert. Während der Stromverbrauch im ersten Halbjahr 2023 bei 234 Terawattstunden lag, wurden nur 225 Terawattstunden produziert.

Dies gab das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE jüngst bekannt. Die drei letzten Kernkraftwerke haben bis zu ihrer Abschaltung 6,7 Terawattstunden erzeugt, im ersten Halbjahr 2023 waren es 15,8 Terawattstunden. Die Differenz macht also ziemlich genau den Unterschied zwischen Gesamtstromproduktion und Gesamtstromverbrauch aus.

Deutschland kann Eigenbedarf auch weiterhin decken

Die Union interpretiert diese Daten deshalb folgendermaßen: „Die Ampel hat mit dem Abschalten der nationalen Kernkraftwerke die Energiesouveränität Deutschlands ins Wanken gebracht“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Stefan Müller (CSU), der Bild-Zeitung.

Statt ausreichend heimischen Strom zu produzieren, sei Deutschland jetzt auf Atomstrom aus Frankreich angewiesen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gefährde so den Industriestandort Deutschland. Die Bundesrepublik brauche „sicheren und bezahlbaren Strom statt grüner Ideologie“.

AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel behauptete Anfang Juli auf Twitter sogar: „Satte 82 Prozent unseres Strombedarfs müssen unsere europäischen Nachbarn decken.“ Ein paar Tage später schrieb sie: „Stromimport nach AKW-Abschaltung vervielfacht, Eigenbedarf nicht mehr zu decken. Unser Land hängt am Energietropf der Nachbarn, die Preise für die Bürger werden weiter steigen.“

Die „82 Prozent“ gehen auf eine eher dubiose Berechnung der Bild-Zeitung zurück, die Weidel zudem noch missverstand: Dieser Berechnung zufolge hat Deutschland seit dem endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft Mitte April an 82 Prozent der Tage mehr Strom importiert als exportiert.

Bei aller berechtigten Kritik an der deutschen Energiepolitik: Die getätigten Aussagen sind zu einer Hälfte falsch und zur anderen Augenwischerei, da sie die dem Strommarkt zugrundeliegenden Mechanismen ignorieren und das Konzept der Energiesouveränität fundamental missverstehen. 

Dafür gibt es drei Gründe:

1) Importierter Strom senkt den Strompreis

Erstens importiert Deutschland in bestimmten Monaten Strom nicht, weil es darauf angewiesen ist, sondern weil es wirtschaftlich Sinn ergibt. Die Bundesrepublik ist seit über 20 Jahren Nettoexporteur von Strom, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Im Jahr 2002 importierte Deutschland zuletzt auf Jahressicht mehr Strom als es exportierte.

Der Grund dafür liegt aber nicht in den Kapazitäten, sondern den Marktpreisen. „Deutschland könnte den benötigten Strom zu jeder Zeit selbst erzeugen“, sagte Claudia Kemfert, Energie-Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der "Schwäbischen Zeitung". Das würde aber zu viel höheren Strompreisen führen. „Strom wird durch einen effizienten Markt günstiger, Wirtschaft und Verbraucher können von niedrigeren Preisen profitieren. Energiesouveränität in dem Sinne, dass Strom ausschließlich im eigenen Land produziert und verkauft werden darf, ist ineffizient und teuer“, so Kemfert....

2) Deutschland war nie "energiesouverän"

Zweitens lässt sich aus der Tatsache, dass Strom hierzulande produziert wird, nicht ableiten, dass Deutschland dadurch „energiesouverän“ agiert.

Warum nicht?

Der jährliche Strombedarf in Deutschland liegt derzeit bei rund 500 Terawattstunden, teilte Mathias Mier, Strom-Experte vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, der "Schwäbischen Zeitung" mit. Laut Statistischem Bundesamt wurden in Deutschland im Jahr 2022 rund 509,4 Milliarden Kilowattstunden Strom aus inländischer Produktion in das Stromnetz eingespeist. Das sind 9,4 Terawattstunden mehr als benötigt wird. Die heimische Stromproduktion hat im Jahr 2022 also den Strombedarf überschritten.

Heißt das, dass die Bundesrepublik im vergangenen Jahr energiesouverän war?

Keineswegs. Der produzierte Strom wurde zu 33,3 Prozent aus dem Energieträger Kohle gewonnen, auf Windkraft gehen 24,1 Prozent zurück und auf Erdgas und Kernenergie 11,4 und 6,4 Prozent. Insgesamt wurden 53,7 Prozent des in Deutschland erzeugten und ins Netz eingespeisten Stroms aus konventionellen und 46,3 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen.

Von den konventionellen Energieträgern muss aber ein Großteil importiert werden. Laut Umweltbundesamt kommen Steinkohle und Uran zu 100 Prozent aus dem Ausland, außerdem müssen 98,1 Prozent des Mineralöls und 94,8 Prozent des Erdgases importiert werden.

Daher ist die Behauptung, Deutschland wäre bei einer heimischen Stromproduktion aus Kernkraft oder Steinkohle „energiesouverän“, absurd. Für die reine Energiesouveränität macht es keinen Unterschied, ob nun der Energieträger oder der Strom selbst importiert wird.
Wollte die Bundesrepublik wirklich energiesouverän werden, müsste sie ihren Strombedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien decken und mit in Deutschland abgebauter Braunkohle absichern.

3) Europäische Vernetzung statt Energiesouveränität

Drittens ist Energiesouveränität an sich ohnehin kein Kriterium für eine erfolgreiche Energiepolitik. „Energiesouveränität im Sinne der Stromerzeugung ist nicht erstrebenswert“, sagte Ifo-Experte Mathias Mier der "Schwäbischen Zeitung".

Versorgungssicherheit und günstige Strompreise für Bürger und Unternehmen seien vielmehr durch einen „räumlichen Ausgleich“ zu erreichen, also durch einen grenzüberschreitenden Stromhandel, der die Fläche und unterschiedlichen Witterungszonen des europäischen Kontinents zu seinem Vorteil nutzt: „Während in Norwegen der Wind weht, weht er nicht an der spanischen Atlantikküste. Während in Norddeutschland kein Wind weht, gibt es Sonne in Italien, Rumänien und Griechenland“, so Mier.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen