SWR 6.3.2025, Sascha Mache Jeanette Schindler
Trauer nach einer Amokfahrt. Wie kann man mit seinen Ängsten umgehen?
Die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer RLP, Sabine Maur, erklärt, warum uns Amokfahrten wie in Mannheim so Angst machen und wie wir dem begegnen können.
SWR Aktuell: Frau Maur, nach den Amokfahrten und Anschlägen wie jetzt in Mannheim fühlen sich Menschen unsicher. Statistisch betrachtet sind solche Verbrechen im Vergleich zu anderen, wie häuslicher Gewalt, sehr selten. Wie kommt es trotzdem zu diesem Unsicherheitsgefühl?
Sabine Maur: Weil es in einer Situation passiert, in der man es überhaupt nicht erwartet hat und vor der man sich auch individuell nicht schützen kann. Man läuft durch eine Stadt, die man kennt. Man macht eigentlich etwas Schönes, vielleicht einkaufen, ist unterwegs mit Familie oder einer Freundin und dann passiert etwas, das ganz schlimme Folgen hat und großes Chaos auslöst. Ausschlaggebend ist auch der Kontrollverlust. Jemand benutzt ein Auto, das praktisch jedem zur Verfügung steht als Waffe. Das ist etwas, das wir nicht kontrollieren können.
SWR Aktuell: Nun gab es in den letzten Monaten aber tatsächlich ein Häufung solcher Verbrechen. Ist da die Angst nicht auch berechtigt?
Sabine Maur: Wir leben ja in unserem Alltag in einer Sicherheitsillusion. Wir sind zum Beispiel der Meinung, dass wir beim Autofahren sicher sind. Uns wird schon nichts passieren. Wir wissen aber, dass die Statistik ganz anders aussieht. Dazu kommt, dass ein solcher Vorfall wie in Mannheim medial so stark dargestellt wird. Dadurch rückt er viel näher an einen heran, sodass man wirklich das Gefühl bekommt, man müsste sich Sorgen machen, wenn man irgendwohin geht, wo viele Menschen sind. Dabei kommt so etwas statistisch extrem selten vor.
Infos zur Person: Sabine Maur ist Präsidentin der LandesPsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalz und hat eine psychotherapeutische Praxis in Mainz. Sie ist psychologische Psychotherapeutin mit der Zusatzqualifikation Kinder- und Jugendpsychotherapie.
SWR Aktuell: Gibt es Erkenntnisse aus der Forschung, was so eine Tat in unserer Gesellschaft bewirkt?
Sabine Maur: Der Mensch hat immer den Wunsch zu erfahren: Was ist passiert und wer ist dafür verantwortlich? Und wie können wir das in Zukunft verhindern? Das ist sehr legitim. Aber was dabei häufig passiert ist, dass einzelnen Menschengruppen die Schuld zugeschoben wird, zum Beispiel Menschen mit Migrationsgeschichte. Und das ist einfach unredlich, weil natürlich 99 Prozent aller Menschen mit Migrationsgeschichte nicht in eine Menschenmenge rasen oder andere mit einem Messer erstechen. Das führt aber dazu, dass diese Gruppe von Menschen jetzt ganz anders angeschaut wird. Es entsteht wieder viel mehr Misstrauen bis hin zu offener Ablehnung. Und das vertieft die gesellschaftliche Spaltung, die für alle nicht gut ist.
SWR Aktuell: Die Täter werden immer rasch Kategorien zugeordnet. Unter psychologischen Aspekten: Warum suchen wir Menschen nach solchen Einordnungen?
Sabine Maur: In der Regel ist es ja ein sehr komplexes Tatgeschehen, und wir wissen häufig sehr wenig zum Hintergrund dieser Täter. Aber Menschen versuchen, solche Gefahren zu vereinfachen, um sie erklärbarer und damit vermeintlich kontrollierbarer zu machen. Neben Migranten stehen ja auch andere Gruppen, wie Menschen mit psychischen Erkrankungen, jetzt oft im Fokus. Auch das ist wissenschaftlich gesehen absurd. Wir wissen, dass der allergrößte Teil der Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht gewalttätig ist.
SWR Aktuell: Deutschland gilt als ein sehr sicheres Land. In vielen anderen Ländern müssen sich Menschen mit ganz anderen alltäglichen Gefahren arrangieren. Wie wichtig ist ein gutes Sicherheitsgefühl für eine Gesellschaft und den einzelnen Menschen?
Sabine Maur: So ein Sicherheitsgefühl oder eine Optimismus-Illusion, wie wir das nennen, ist psychisch überlebensnotwendig. Wenn wir uns ständig vergegenwärtigen würden, welche Gefahren jeden Tag lauern, dann wären wir ja gefangen in Angst. Also, es ist erst mal ein ganz guter Bewältigungsmechanismus, das von sich wegzuhalten und auch darauf zu vertrauen, dass mir das nicht passieren wird. Schwierig ist es immer, wenn ich dann aber in so ein vereinfachtes Feindbild reingehe und sage: Damit ich mich sicherer fühle, müssen wir die und die Menschen aus Deutschland entfernen oder sie wegsperren, damit das angeblich zu hundertprozentiger Sicherheit führt.
SWR Aktuell: Was raten Sie Menschen, die sich nach den jüngsten Vorfällen nicht mehr sicher fühlen?
Sabine Maur: Jeder muss für sich selbst schauen, wie viel Sicherheitsgefühl er braucht und sich entsprechend verhalten. Erfahrungsgemäß ist es aber so, dass Menschen in der ersten Zeit nach solchen Ereignissen zwar zurückhaltend sind und vielleicht bestimmte Situationen meiden. Je länger der schockierende Vorfall aber zurückliegt, umso mehr normalisiert sich das Verhalten wieder. Das Bedürfnis rauszugehen, andere Menschen zu treffen, überwiegt dann einfach.
Das Gespräch führte Sascha Mache, Autor von "Zur Sache Rheinland-Pfalz". Es wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redigiert.
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