Donnerstag, 27. März 2025

Die Grundrechte auf Freiheit, Leben und Gesundheit zwingen viel schneller zur Post-Fossilität


Zeit hier  Ein Gastbeitrag von Felix Ekardt  25. März 2025

Klimaschutz und Aufrüstung: Noch mehr Gas aus Russland braucht hier niemand

Die Pipeline Nord Stream 2 zu aktivieren würde nicht nur das Klima ruinieren, sondern auch die Demokratie, schreibt unser Gastautor. 



Felix Ekardt forscht als Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik sowie Professor an der Uni Rostock zu Politikkonzepten für mehr Nachhaltigkeit.  

Ekardt initiierte die 2021 erfolgreiche Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht und Folgeklagen, auch zum Biodiversitätsverlust. Sein im Juni erscheinendes neues Buch heißt "Postfossile Freiheit: Warum Demokratie, Umweltschutz, Wohlstand und Frieden nur gemeinsam gelingen".

Einige in meiner Leipziger Nachbarschaft hatten kürzlich gute Laune. Endlich die Lösung! Niemand müsse sich mehr über Heizungsgesetz und Wärmepumpen den Kopf zerbrechen. Denn scheinbar arbeitet in diesen Wochen ein diskretes Netzwerk aus deutschen Unternehmen, US-Investoren und Akteuren in politischen Parteien daran, die skandalumwitterte Gasleitung durch die Ostsee von Russland nach Rügen, Nord Stream 2, doch noch in Betrieb zu nehmen. Mindestens eine der zwei Röhren wäre trotz des Attentats auf die Leitungen 2022 noch direkt nutzbar.

Zur Erinnerung: Das Projekt Nord Stream 2 wurde 2022 fertiggestellt, das Genehmigungsverfahren wurde dann allerdings von den deutschen Behörden wegen des russischen Angriffskriegs abgebrochen: Die Bundesnetzagentur erteilte nicht die nötige Zertifizierung. Die beiden Röhren von Nord Stream 1 sind nach dem Anschlag unbrauchbar. Der Wunsch nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2 klingt wie die Forderung von AfD und BSW nach billigem Gas aus Russland: Energie müsse endlich wieder günstig sein, die teure und bürokratische Energiewende müsse ein Ende haben. Fossile Energie, besonders die aus Russland, sei besonders preiswert. Und Handel mit Russland, das eigentlich total friedliebend sei und sich doch nur von der Nato bedroht fühle, sei der Weg zum Frieden – so Unterstützer dieses skurrilen Vorschlags. Selbst in der CDU gibt es erste Stimmen, die über eine Inbetriebnahme nachdenken.  

Große Risiken eines fossilen Rollbacks

Doch daran ist nahezu alles falsch. Ein fossiles Rollback wäre ökonomisch mit massiven Risiken verbunden, schon weil der Preis für fossile Brennstoffe mittelfristig steigen wird. Will man das Heizen dauerhaft bezahlbar halten, ist eine rasche Wärmewende gerade sinnvoll. Außerdem schaffen erneuerbare Energien und Wärmedämmung in der Summe mehr Arbeitsplätze und mehr Wertschöpfung als Fossile. Das ist wiederholt vorgerechnet worden, gerade für Ostdeutschland. Und die Folgen des Klimawandels zu bewältigen, ist um den Faktor fünf, zehn oder sogar noch mehr teuer als eine wirksame Klimapolitik zu verfolgen. Schon vermehrte Naturkatastrophen wie diverse Hochwasserereignisse kosten Abermilliarden Euro. Noch teurer wird es, wenn wegen erwärmungsbedingter Nahrungs- und Wasserknappheit Klimakriege weltweit auf uns zukommen.

Noch schlimmer: Wer weiter auf die fossilen Brennstoffe setzt, fördert Russland und damit seine expansionistische Außenpolitik. Denn der russische Staatshaushalt beruht zu rund einem Drittel auf dem Verkauf fossiler Brennstoffe. Hält man die fossile Nachfrage hoch oder steigert sie gar weiter, finanziert man Russlands Kriege. Es ist deshalb schon fatal genug, dass Deutschland derzeit auf Umwegen wie Niederlande oder Indien weiter russisches Gas und Erdöl beziehen – trotz aller Sanktionen. 

Und ein Pseudo-Waffenstillstand in der Ukraine 2025 dürfte nur einen Zwischenschritt im russischen Expansionsstreben markieren. Der Bundesnachrichtendienst befürchtet, dass Russland schon bald die Nato-Beistandsverpflichtung auf die Probe stellen könnte. Zum Beispiel mit einem Angriff auf Estland oder Litauen, etwa im Zuge des für Mitte September 2025 angekündigten militärischen Großmanövers mit Belarus. Putin wird jedenfalls kaum die – nur sehr langsam anlaufende – europäische Aufrüstung abwarten wollen.

Nord Stream 2 würde Europa im fossilen Zeitalter festhalten

Kommt damit der Verteidigungsfall, wären europäische Staaten Kriegspartei, vielleicht sogar ohne Unterstützung der USA unter Präsident Donald Trump. Zwar wird immer wieder gesagt, Putin hege doch gar keine aggressiven Absichten, er fühle sich nur vom Westen "bedroht" und wolle Handel treiben, etwa via Nord Stream 2, und die Länder Osteuropas hätten sich ihm eben als Vasallenstaaten zu fügen. Doch würde Putin sich nur bedroht fühlen, wie es in manchen seiner vielen widersprüchlichen Statements klingt, müsste er nicht beispielsweise Zehntausende Kinder aus der Ukraine nach Russland verschleppen.

Auch dass Autokraten gern durch Kriege und Reden über die nationale Größe ihr eigenes Volk zu benebeln versuchen, ist aus der Geschichte bekannt. Putins Hausphilosoph Alexander Dugin plädiert, im Anschluss an den Nazi-Theoretiker Carl Schmitt, ganz ausdrücklich für ein autoritäres Eurasien unter russischer Führung. Wohlgemerkt wird Dugin in der russischen Offiziersausbildung als Standardautor gelesen. Auch Putins ehemaliger außenpolitischer Berater Wladislaw Surkow äußert sich in dieser Richtung.

Selbst wenn all das unzutreffend wäre, würde Nord Stream 2 Europa im fossilen Zeitalter festhalten. Das jedoch wäre nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch fatal. Die nach dem Pariser Klima-Abkommen rechtsverbindliche 1,5-Grad-Grenze für die weltweite Erwärmung verlangt globale Nullemissionen in wenigen Jahren, nicht erst 2050 oder gar später. Das verbleibende Treibhausgas-Budget für 1,5 oder selbst 1,7 Grad haben Industriestaaten wie Deutschland bereits jetzt erschöpft. Das wurde auch mit aktuellen naturwissenschaftlichen Daten in einer neuen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vorgerechnet.

Erst 2021 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil unterstrichen, dass jede Bundesregierung in der Pflicht steht, das Klima stärker zu schützen. Auch die neue Grundgesetzänderung zu Schuldenbremse und Sondervermögen ändert daran nichts. Danach darf die Politik künftig zwar zusätzliche Schulden aufnehmen, auch im Interesse der "Klimaneutralität bis 2045". Damit wird jedoch nicht vorgegeben, dass das Klima bis 2045 warten kann. Eine solche Kreditregelung bedeutet nicht, dass andere, strengere Verfassungsvorgaben damit abgeschafft wären. Die Grundrechte auf Freiheit, Leben und Gesundheit zwingen aus ökologischen und aus Sicherheitsgründen viel schneller zur Post-Fossilität. 

Zudem sind Biodiversität und Klimaschutz eng miteinander verbunden.  Wer zu lange an den Fossilen festhält, ruiniert auch die Artenvielfalt – und ohne intakte Wasserkreisläufe, Bodenfruchtbarkeit und Bestäuberinsekten können wir Menschen noch weniger leben als ohne ein intaktes Klima. 

Manche werden abwiegeln. Es gehe gar nicht um russisches Gas, vielmehr könne Nord Stream 2 doch auch grünen Wasserstoff aus Finnland nach Deutschland transportieren. Das würde indes aufwendige Prüfungen etwa der Dichtigkeit der Röhre erfordern. Und Finnland erzeugt derzeit fast keinen Wasserstoff. Dazu kommt die offene Frage, welche Rolle der bislang sehr teure Wasserstoff überhaupt für die Energiewende spielen kann. Für Heizungen oder Autos wird er jedenfalls höchstwahrscheinlich zu teuer bleiben. Deshalb können wir der Debatte nicht ausweichen, ob Europa die fossile Energienutzung gar noch ausbauen will, sei es via Nord Stream 2 oder durch mehr Flüssiggas aus den USA. Oder ob es nicht besser viel stärker auf Erneuerbare und grüne Technologien setzt. Wegen des Klimawandels. Aber vor allem auch, um Frieden und Demokratie zu sichern. 



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