Zeit hier Von Simon Wörpel Aus der ZEIT Nr. 12/2025 Aktualisiert am 23. März 2025,
Omas gegen Rechts: Der graue BlockOmas gegen Rechts sind auf Demonstrationen berüchtigt und von Konservativen gefürchtet. Unser Autor wollte eine von ihnen genauer kennenlernen: seine Mutter.
.....Diesen Text würde es ohne den 19. November 2016 nicht geben. An diesem Tag kam mein Neffe zur Welt. Meine Mutter wurde zur Oma. "Was wird er mich später fragen?", habe sie damals gedacht.
Am 16. November 2017, fast genau ein Jahr später, gründete die Psychotherapeutin Monika Salzer in Österreich die Initiative Omas gegen Rechts. Wobei: "Initiative gründen", das klingt offizieller, als es war. Monika Salzer eröffnete eine Facebook-Gruppe, weil sie erschrocken war über die Koalition der ÖVP mit der rechtsextremen FPÖ. Die Oma-Bewegung schwappte nach Deutschland über, 2018 gab es immer mehr Facebook-Gruppen unter dem Titel Omas gegen Rechts für unterschiedliche Regionen. Eine davon auch für Bochum. Meine Mutter schlug darin das Gründungstreffen vor. Sie sagt: "Dass ich die Gründung initiiert habe, darauf bin ich schon etwas stolz."
Heute organisiert sie mit mehr als 300 anderen Omas aus dem Ruhrgebiet antifaschistische Aktionen. Sie spricht auf Kundgebungen ins Mikrofon ("Menschenrechte statt rechte Menschen!"). Sie demonstriert gegen AfD-Parteitage und an der Seite von Fridays for Future, putzt Stolpersteine, und sie fuhr zum großen Omas-gegen-Rechts-Bundeskongress in Erfurt. An ihrem Poncho steckt immer, auch privat, der ikonische Button: "OMAS GEGEN RECHTS", schwarze Schrift auf weißem Grund.
Ich habe sie gebeten, mir die Bewegung zu erklären, von der sie ein wichtiger Teil ist. Sie hat mich dafür auf eine Demonstration geschickt und mir ihre neuen Freundinnen vorgestellt.
Die Bewegung Omas gegen Rechts, bei der deutschlandweit schätzungsweise gut 30.000 Menschen mitmachen, ist dezentral. Regionalgruppen entscheiden autonom, was sie machen, aber orientieren sich an einem Grundsatz-Kodex. Übrigens muss niemand eigene Enkelkinder vorweisen, um mitzumachen. Es gibt einen bundesweiten Verein, den Omas gegen Rechts Deutschland e.V., aber niemand braucht dort Mitglied zu werden, um sich Oma gegen Rechts zu nennen. Die Bochumer Gruppe hat sich dagegen entschieden.
Seit fünf Jahren wird in unserem Familienchat die Arbeit der Bochumer Omas dokumentiert. Meine Eltern teilen jeden Zeitungsartikel, jedes Video von öffentlichen Auftritten, dazu natürlich Bilder mit lustigen Sprüchen samt Regenbogenhintergrund: "Größte Demo gegen rechts – Datum: 23.2., 8–18 Uhr, Ort: dein Wahllokal". Von uns Kindern kommt, wenn überhaupt mal, ein "Daumen hoch" zurück.
Dabei sind meine drei Geschwister und ich stolz darauf, was unsere Mutter da treibt. Kürzlich die Sache mit den Tassen: Vor der Bundestagswahl sagte Friedrich Merz, er wolle Politik für die Mehrheit machen und nicht für "irgendwelche grünen und linken Spinner, die nicht mehr alle Tassen im Schrank haben". Da fühlten sich auch die Omas gegen Rechts angesprochen. Die taz-Autorin Silke Burmester forderte daraufhin per Instagram-Video dazu auf, Pakete mit Tassen an die CDU-Zentrale in Berlin zu senden. Um zu zeigen: Schauen Sie mal, Herr Ganz-bald-Bundeskanzler, wir haben sogar einige für Sie übrig. Meine Mutter versendete eine Tasse des Bochumer Stadtmarketings (die übrigens mal mir gehört hatte!) und schrieb dazu: "Sehr geehrter Herr Merz, ja ich bin grün und etwas links und auf jeden Fall eine OMA GEGEN RECHTS. [...] Viele Grüße aus Bochum". Nach einer Woche waren laut Reuters schon 500 Tassen im Konrad-Adenauer-Haus angekommen. Später sah man auf Fotografien Container im Hof der Parteizentrale, in denen Pakete lagen – vermutlich mit Tassen. "Schade, dass die ganzen Briefe gar nicht gelesen werden", schreibt unsere Mutter im Familienchat.
Die Eltern erzählten den Kindern nie, welche Partei sie wählten
Etwas ist verrutscht: Früher hielt man junge Menschen für politisch aufmüpfig, aber meine Generation, die Um-die-30-Jährigen, ist eigentlich sehr angepasst und mit sich selbst beschäftigt. Unsere Boomer-Mütter hingegen haben sich vernetzt, ganz neue Freundeskreise aufgebaut. Sie haben sich diesen Button angesteckt und sind vor der Bundestagswahl jedes Wochenende zwischen Antifa, Gewerkschaften und überparteilichen Bündnissen auf Demonstrationen mitgelaufen.
Ihre Schilder, schwarze Großbuchstaben auf weißem Hintergrund, sind in der Tagesschau zu sehen. Sie sind derzeit die größte Frauenbewegung in Deutschland.
Es gibt gute Gründe, zu denken, dass konservative Politiker meine Mutter und ihre Mitstreiterinnen fürchten: Kurz vor der Bundestagswahl stellte die Unionsfraktion eine Anfrage an die Bundesregierung. Man wollte wissen, wie viel Steuergeld der Verein Omas gegen Rechts Deutschland e.V. erhalte und ob er politisch neutral sei. Eine Drohgebärde, so wurde es interpretiert. Tatsächlich ist es so: Einige Oma-Regionalgruppen haben für einzelne Projekte Fördermittel bekommen, aber der Verein selbst ist nicht gemeinnützig und finanziert sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen.
In meiner Familie wurde immer über Politik diskutiert. ....
Dennoch hätte ich mir meine Mutter nie als politische Anführerin vorstellen können. Sie gehörte zum stilleren Teil der Familie. Auch heute, ganz egal, wie progressiv wir uns geben: An Weihnachten, wenn alle mal wieder im gleichen Haus sind, führen wir die politischen Diskussionen im Wohnzimmer mit unserem Vater. Mutter bereitet das Abendessen vor, schwäbischen Kartoffelsalat nach Familientradition.
... Die AfD hat auf dem Marktplatz eine Kundgebung angemeldet, Beatrix von Storch wird reden. Die Veranstaltung ist abgesperrt, bewacht von Hundertschaften der Polizei, vor der AfD-blau geschmückten Bühne stehen ein paar Dutzend Zuschauer mit Deutschland-Fahnen. Das Bündnis "Essen stellt sich quer" hat zur Gegendemonstration aufgerufen. Natürlich werden auch die Omas gegen Rechts, Regionalgruppe Bochum und West, vor Ort sein. Meine Mutter selbst ist in Bochum geblieben, weil es dort einen Omas-Infostand gibt. Als sich der Demonstrationszug nähert, nach Polizeiangaben etwa 600 Menschen, höre ich, wie die Demo-Sprecherin ins Mikrofon schreit: "Und hier begrüßen wir unsere Omas gegen Rechts, sie sind auch wieder gekommen!" Die Menge jubelt.
Auf dem Marktplatz steht Lydia, mit dem ikonischen Omas-gegen-Rechts-Schild. Sie ist 72 Jahre alt und gründete mit meiner Mutter und einigen anderen am 27. Januar 2018 die Regionalgruppe. "Ganz bewusst an diesem Tag", sagt Lydia, dem Holocaust-Gedenktag. Früher war sie ebenfalls Lehrerin, hat über vierzig Jahre Vollzeit gearbeitet. Seit 2017 ist sie in Pension, im gleichen Jahr zog die AfD in die Parlamente ein. "Das war der Ausschlag, ich habe mich sofort gefragt, was mache ich jetzt?", sagt Lydia. Ein Artikel über die Omas gegen Rechts in der Brigitte machte sie neugierig: "Wir Omas haben die Pflicht, uns gegen den Mob zu stellen", stand da als Überschrift, im Oktober 2018. Sie war nicht die Einzige, die das las und sich dann auf Facebook einloggte.
Die Omas gegen Rechts gehören mehrheitlich zur ersten Generation im Ruhestand, für die Computer und soziale Medien ein Teil ihres ganz normalen Alltags sind. Sie haben viel gearbeitet, neben Mann, Kindern und Berufen oft auch im Ehrenamt, manchmal politisch. Anders als Rentner-Generationen vor ihnen haben sie nicht nur Zeit, sondern sind auch fit.
....Mittags treffe ich meine Mutter und ihre Mitstreiterinnen in der Bochumer Innenstadt. Dort hat die Ortsgruppe heute kleine Hefte verteilt mit Biografien politischer Frauen, die alle in Bochum gewirkt haben. Jetzt sind wir im Café verabredet. Meine Mutter hat das organisiert, damit ich nicht nur mit ihr spreche, sondern mit allen, die wichtig sind. Ich stelle fest: in ihrem politischen Engagement ist sie kein bisschen still oder zurückhaltend. Sie organisiert. Sie hält Fäden in der Hand. Sie gestaltet.
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Ein Satz, der ihr sehr wichtig ist: "Nie wieder ist jetzt". Schon als Jugendliche wollte sie von den Erwachsenen um sie herum wissen, wie denn der Nationalsozialismus passieren konnte. Die Antwort, den Anfang hätte man gar nicht so mitbekommen, und dann sei es zu spät gewesen, will sie niemals ihren Enkelkindern geben müssen.
Jetzt, kurz vor ihrem Abschied aus dem Schuldienst, startet sie bei den Bochumer Omas eine Arbeitsgruppe, um – nun ja – mit Schülerinnen und Schülern über Rassismus und Antisemitismus zu reden. Ihr Garten, vermute ich, muss wohl noch einige Zeit warten.
Marlies und Ingrid fahren mittlerweile öfter zusammen in den Urlaub. Mit dem Flixbus durch den Schengenraum. Einmal belauschten die beiden unterwegs ein Gespräch zwischen Studenten. Vermutlich BWL oder Jura, dem äußeren Anschein nach "eigentlich ja intelligente Jungs". Die Jungs unterhielten sich darüber, dass diese ganzen Omas gegen Rechts für ihre Demonstrationen bezahlt würden. Da fasste Ingrid Mut, ging zu der Gruppe, stellte sich vor sie hin und erklärte, dass sie als eine von diesen Omas niemals dafür bezahlt werden müsse, gegen Fremdenhass und Rechtsruck auf die Straße zu gehen. Die Jungs sagten nichts mehr. "Das hätte ich mich früher niemals getraut", sagt Ingrid.
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