Dienstag, 18. März 2025

Bei den Koalitionsverhandlungen muss man sich fragen: Welche Gesellschaft soll das abbilden?

Das kennen wir doch schon vom Regionalverband! Frauen sind in diesen fast frauenlosen Parlamenten allenfalls als zierende Elemente vorhanden hier Da können wir uns jetzt auf eine super rückständige Politik gefasst machen.


RND  hier Steven Geyer 18.03.2025

Nur ein Drittel Frauen, kaum junge Menschen: Wer Deutschlands Zukunft verhandelt

CDU, CSU und SPD wollen sich auf ein Regierungsprogramm einigen: Aber wer genau verhandelt da gerade die neue Koalition?

Weder in Alter, noch Geschlecht oder Herkunft repräsentieren die Koalitions-Unterhändler von Union und SPD die Bevölkerung. Auch an den Interessen, die in den Arbeitsgruppen vertreten werden, gibt es Kritik. Ein Blick auf die Politiker, die gerade Deutschlands nächste Koalition verhandeln.

Die Erwartungen sind hoch, der Zeitplan ist eng: Schon am 24. März, nach nur zehn Verhandlungstagen soll der schwarz-rote Koalitionsvertrag stehen. Je nach Parteienfärbung erhoffen sich die Beteiligten irgendetwas zwischen kurzen Eckpunkten und einem möglichst verbindlichen Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre.

Bereits seit Ende voriger Woche beraten – verzahnt durch eine übergeordnete Steuerungsgruppe aus Parteichefs und Generalsekretären, aber auch bisherigen Bundesministern wie Boris Pistorius – ganze 16 Arbeitsgruppen aus jeweils 16 Bundes-, Landes- und Europapolitikern. In jeder AG stellt die SPD sieben Unterhändler, die CDU sechs und die CSU drei – also insgesamt 256 Fachpolitikern aus Bund und Ländern.

Die 16 Arbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen

1. Innen, Recht, Migration und Integration 
2. Wirtschaft, Industrie, Tourismus 
3. Digitales 
4. Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen 
5. Arbeit und Soziales 
6. Gesundheit und Pflege 
7. Familie, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratie 
8. Bildung, Forschung und Innovation 
9. Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung, moderne Justiz 
10. Kommunen, Sport und Ehrenamt 
11. Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt 
12. Außen und Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte 
13. Europa 
14. Kultur und Medien 
15. Klima und Energie 
16. Haushalt, Finanzen und Steuern

Chefverhändler für „Innen, Recht, Migration und Integration“ sind zum Beispiel die Bundestagsabgeordneten Günter Krings (CDU), Dirk Wiese (SPD) und Andrea Lindholz (CSU). 
Für die CDU verhandeln zudem Carsten Linnemann und Jens Spahn in den Feldern Arbeit und Wirtschaft, die beide ebenfalls im Kabinett landen könnten. Für die SPD leiten zum Beispiel die Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast die Verhandlungen zu „Arbeit und Soziales“ und Noch-Entwicklungsministerin Svenja Schulze zur Außenpolitik.

Was die Demografie verrät
Die Aufteilung nach den Parteibüchern soll dabei das Wahlergebnis abbilden. Die konkreten Personen, die die Parteien entsenden, lassen Rückschlüsse darauf zu, wen sie in den eigenen Reihen für besonders kompetent, durchsetzungsfähig – und auch ministrabel halten. Ein Vorgeschmack auf die Regierung von Bundeskanzler Friedrich Merz also. Das wirft mit Blick auf das Personaltableau freilich auch die Frage auf: 


Welche Gesellschaft soll das abbilden?

Man kann diese Frage zunächst demografisch beantworten:
Wie alt sind die Parteienvertreter, wie viele Männer stehen wie vielen Frauen gegenüber
und wo kommen die eigentlich alle her?



In der Bundespolitik sind zwei Dinge traditionell gefürchtet: der Länderproporz - und das Saarland, das ihn immer wieder auszuhebeln schafft. Auch bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen ist das kleine Bundesland im Südwesten gemessen an seiner Bevölkerungszahl überrepräsentiert: Das Saarland hat nur eine gute Million Einwohner, stellt aber sechs Unterhändler – unter anderem Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) und die CDU-Fraktionsvize im Bundestag, Digitalexpertin Nadine Schön. Die gegenüber der Einwohnerzahl wenigsten Teilnehmer entsendet derweil Baden-Württemberg mit 25 Verhandlern bei mehr als 11 Millionen Einwohnern.

Junge Wähler müssen beim Blick auf die Koalitionsbildung tapfer sein: Sind sie im Wahlvolk und in der Durchschnittsbevölkerung ohnehin schon in der Minderheit – das durchschnittliche Alter der Bundesbürger liegt bei 44,6 Jahren –, so sind die Verhandlungsteams noch einmal gute fünf Jahre älter: Dort liegt der Schnitt bei 49,8 Jahren. Das älteste Verhandlungsteam ist dabei mit durchschnittlich 51,4 Jahren die CSU. Die SPD-Teilnehmer sind dagegen mit 48,8 nur gute vier Jahre älter als die deutsche Bevölkerung im Schnitt.

Kritik von Abgeordnetenwatch

Ebenfalls unterrepräsentiert sind – wie so häufig in der Bundespolitik – die Frauen:
Liegt der Frauenanteil an den 83,5 Millionen Menschen in Deutschland bei rund 50,7 Prozent, so rangiert er in den schwarz-roten Verhandlungsrunden bei nur 36,4 Prozent. Besonders wenige Frauen sind mit 26,3 Prozent im Team von CDU-Chef Friedrich Merz, während die CSU-Teilnehmer zu beinahe einem Drittel Frauen sind (31,4) und die SPD fast zur Hälfte (46,7 Prozent).

Die Transparenz-Initiative Abgeordnetenwatch kritisierte diese Zusammensetzung: „Eine lebendige Demokratie lebt von Vielfalt und gleichberechtigter Teilhabe“, sagte Geschäftsführerin Léa Briand dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Werden politische Entscheidungen in einem begrenzten Kreis getroffen, droht auch hier eine Verzerrung der Interessen.“ 



Damit Politik zukunftsfähig und glaubwürdig sein könne,
müssten alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen Gehör finden
und Einfluss nehmen können,

 betonte sie.



Der Einfluss von Lobbyisten
Doch nicht nur das Übermaß von älteren Männern sorgt für Kritik, auch andere Gruppen sind in den Verhandlungsrunden überrepräsentiert – zum Beispiel die Landwirte. Und das auch noch in den Politikbereichen, von denen sie am stärksten direkt betroffen sind: Die Umwelt- und die Landwirtschaftspolitik werden von Schwarz-Rot direkt in ein- und derselben Arbeitsgruppe verhandelt.

Schon das allein finden Kritiker problematisch: „Diese beiden Themenkomplexe mit großen, individuellen Herausforderungen sollten nicht in einen Topf geworfen werden“, sagt etwa der Präsident des Naturschutzbundes, Jörg-Andreas Krüger. „Beide Themenkomplexe bedürfen einer eigenständigen Befassung – schon wegen der Größe der Herausforderungen.“ Insgesamt sorgt sich der Nabu angesichts der AG-Aufstellung, dass Natur- und Klimaschutz vernachlässigt werden.

Die personelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppe Umwelt und Agar besorgt dabei auch die Umweltschützer besonders: nicht wegen Alter, Geschlecht oder Herkunft – sondern wegen der Interessen, die sie dabei vertreten.

So verhandeln für die CDU mit Albert Stegemann und Hermann Färber zwei Abgeordnete, die neben ihrer politischen Tätigkeit auch in der Landwirtschaft aktiv sind, sowie Marco Mohrmann, der nebenher Forstwirtschaft betreibt, und für die CSU mit Günther Felßner sogar ein Agrarlobbyist: Felßner ist Präsident des Bayerischen und Vizechef des Deutschen Bauernverbandes.

Bundesweit bekannt wurde er als einer der Köpfe der Bauernproteste von 2023/24, bei denen er als Sprecher einer Kundgebung etwa erklärte: „Esst Fleisch fürs Klima!“ Ein Gericht verurteilte den Milchbauern aus Franken 2018 zu 7.200 Euro Geldstrafe wegen Boden- und Gewässerverunreinigung.

Gegen seine Ernennung zum Bundesagrarminister, die sich die CSU wünscht, hat das Umweltinstitut München eine Online-Petition gestartet, die nach zwei Tagen mehr als 30.000 Unterzeichner gesammelt hat. „Felßner leugnet wissenschaftliche Erkenntnisse zu negativen Auswirkungen von Pestiziden auf die Artenvielfalt und zur Klimawirkung von Fleischkonsum“, erklärte das Umweltinstitut. „Er steht für eine Politik, die die Interessen der Agrarindustrie über Umwelt- und Verbraucherschutz stellt.“ Laut Umweltbundesamt stößt die Landwirtschaft mehr als ein Zehntel der Treibhausgase in Deutschland aus und ist maßgeblich für das Artensterben verantwortlich.



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Das Ziel ist 325.000 Unterzeichner*innen.
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Auch Jens Spahn sorgt für Kritik
Auch die CDU-Aufstellung sorgt für Kritik: Dass etwa Jens Spahn ihr Chefverhandler für Wirtschaftspolitik ist, sei ein schlechtes Signal, so lange nicht endgültig geklärt sei, warum er als Bundesgesundheitsminister Corona-Schutzmasken zu teuer angekauft habe.

„Die Union muss jetzt zeigen, dass sie aus vergangenen Lobbyskandalen wie der Maskenaffäre gelernt hat und im Umgang mit Lobbyinteressen Transparenz und Integrität wirklich ernst nimmt“, sagte etwa der Sprecher des Vereins Lobbycontrol, Timo Lange, dem RND. „Dazu gehört auch, eine kritische Distanz zu besonders starken Lobbygruppen zu wahren und auf Ausgewogenheit bei der Beteiligung und der Besetzung von Arbeitsgruppen zu achten.“

Lobbycontrol beobachte daher mit Sorge, „wie viele Landwirte und Agrarfunktionäre CDU und CSU allein in die Verhandlungsgruppe zu Landwirtschaft und Umwelt entsandt haben“, so Lange. Auffällig sei in der Arbeitsgruppe Landwirtschaft auch die Personalie Artur Auernhammer.

Der CSU-Politiker ist zwar schon seit vielen Jahren Bundestagsabgeordneter, aber zugleich Vorstandschef des Bundesverbands Bioenergie - also ein weiterer Lobbyist im Herzen der Vorbereitungen von Schwarz-Rot. Lobbycontrol mahnt aber, dass CDU und CSU gerade als Regierungsparteien verschiedene Interessen ausgewogen beteiligen müssten: „Mit Personalien wie Günther Felßner und Artur Auernhammer sendet die Union jedoch ein gegenteiliges Signal“, klagt Lange.

So sieht es auch Abgeordnetenwatch: „Die Zusammensetzung der Verhandlungsgruppen wirft erhebliche Fragen zu möglichen Interessenkonflikten auf“, sagte Geschäftsführerin Briand dem RND. Dass aktive Landwirte und Vertreter der Agrarlobby für die Union sowohl über Landwirtschaft, als auch über Umweltschutz verhandelten, sei problematisch, warnte sie: „Die Gefahr besteht, dass Umwelt- und Gemeinwohlinteressen zugunsten wirtschaftlicher Lobbys vernachlässigt werden.“

 
Das Personal der Arbeitsgruppen im Überblick siehe hier




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