Süddeutsche Zeitung hier Kommentar von Michael Bauchmüller 14. März 2025,
Deutschland ist beim Klimaschutz auf gutem Weg,
Die Bundesrepublik hat ihre Emissionen um 50 Prozent gedrückt im Vergleich zu 1990. Bravo! Trotzdem wird die nächste Regierung um eine Frage nicht umhinkommen.
Die Zahlen sind schön, doch sie sind trügerisch. Seit 1990 hat Deutschland seine klimaschädlichen Emissionen um fast 50 Prozent gedrückt. Die Klimaziele für die nächsten Jahre, so zeigen neue Zahlen des Umweltbundesamtes, sind zum Greifen nah – ein Riesenerfolg. Die erste Hälfte ist schon mal geschafft, nur: Die zweite Hälfte wird viel schwerer.
Was das bedeutet, hat die verflossene Koalition spüren dürfen, als zumindest ihr grüner Teil in Heizkeller und Garagen vorrücken wollte. Je näher die Klimapolitik ans Private rückt, desto kniffliger wird es. Aber genau dort lauern die Aufgaben für die nächste Etappe. Klimaneutral wird dieses Land erst, wenn Menschen ohne fossile Energie mobil sind; wenn Wohnungen warm bleiben, ohne Öl und Gas zu verheizen. Um diese Wahrheit kommt keine künftige Regierung herum.
Schon die nächste Koalition wird sich deshalb verschärft einer Frage widmen müssen: der sozialen Flankierung der Klimapolitik. Absehbar wird es teurer werden, eine Gasheizung oder einen Verbrennungsmotor zu betreiben. Und es muss auch teurer werden, damit es weniger attraktiv wird. Umso wichtiger aber wird es, günstige Alternativen zu schaffen, oder Hilfen beim Umstieg anzubieten. Das können Kaufprämien sein, die gezielt kleine Elektroautos fördern oder Fördermittel für saubere Heizungen oder Fernwärmenetze. Denn die zweite Halbzeit gelingt nur, wenn viele Einzelne mitziehen – können. Auf Dauer profitieren eh alle: Wer keine fossile Energie mehr braucht, muss auch nicht dafür zahlen.
Süddeutsche Zeitung hier 14. März 2025,Von Michael Bauchmüller
Wirtschaftsminister Habeck zieht Bilanz - mit einer Ausnahme lief es gut
Ein letztes Mal legt der Vizekanzler die offiziellen Klimazahlen für Deutschland vor. Sie sind gar nicht so schlecht – mit einer großen Ausnahme.
Die Papptafel durfte schon vor drei Jahren nicht fehlen. Robert Habeck war damals frischer Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, und zum Auftakt wollte er erst einmal einen Kassensturz machen. Er nannte das „Eröffnungsbilanz“, doch die war nicht günstig. Auf der Papptafel führten Balken wie eine Treppe nach oben. Die Vorgängerregierung habe beim Klimaschutz eine einzige Baustelle hinterlassen, beklagte der Grüne. „Sie sehen, die Aufgabe ist groß“, befand Habeck. „Gigantisch.“
Drei Jahre später schleppt Habeck schon wieder eine Tafel an. Es ist, früher als gedacht, Zeit für eine Abschlussbilanz, jedenfalls fürs Klima. Und diesmal weisen die Kurven sanft fallend nach unten, Richtung Klimaziel. Die gigantische Klimalücke von damals sei verschwunden, stattdessen erbe die künftige Regierung sogar einen Puffer. Die Kärrnerarbeit der vergangenen Jahre habe sich gelohnt, findet Habeck. Das Land nehme jetzt Kurs auf „Zielerfüllung“. Bis 2030 sei nun ein Emissionsminus von 63 Prozent drin, verglichen mit 1990. Damit sind die 65 Prozent, die das deutsche Klimaschutzgesetz anstrebt, zumindest in greifbarer Nähe.
Das Schicksal will es so, dass Habeck diese Zahlen noch präsentieren darf. Denn das Gesetz verlangt jedes Jahr für Mitte März die offiziellen Zahlen für das Vorjahr, und neuerdings auch eine Prognose für die nächsten Jahre. Vorlegen muss diese Zahlen das Umweltbundesamt, sie sollen der Regierung Orientierung geben für ihre Klimapolitik. Und auch für eine angehende Regierung aus Union und SPD stecken ein paar interessante Botschaften drin.
Im Verkehr sind die Emissionen seit 2010 nur um magere fünf Prozent gesunken
Denn die schönen Zahlen können nicht verhehlen, dass noch eine ganze Reihe Baustellen bleiben, darunter eine große. Das deutsche Klimaziel für 2024 wurde demnach deutlich unterschritten – statt gesetzlich erlaubter 693 Millionen Tonnen Treibhausgase wurden hierzulande nur 649 Millionen Tonnen emittiert. Das waren 3,4 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Doch der Hauptgrund für diesen Rückgang heißt: Kohle. Weil immer mehr Ökostrom fließt, geht der Anteil des Kohlestroms von Jahr zu Jahr zurück. Von 23 Millionen Tonnen Emissionsrückgang stammten fast 18 aus diesem Bereich.
Doch damit lässt sich nicht ewig die Klimabilanz retten – zumal vor allem ein Bereich weiter schwächelt, der Verkehr. Seit 2010 sind auf deutschen Straßen, zur See und zur Luft die Emissionen nur um magere fünf Prozent gesunken. Das ist noch weniger als in Gebäuden, wo es vor allem um die Emissionen von fossilen Heizungen geht. Beide Bereiche hinken den Zielen hinterher. Geschehe hier nicht bald etwas, werde „die Kurve irgendwann so steil, dass es rein technisch nicht möglich ist, Klimaneutralität zu erreichen“, sagt Dirk Messner, der Chef des Umweltbundesamtes. „Wir sollten uns da nicht in Sicherheit wiegen.“
Das Ziel Klimaneutralität steht zwar erst für 2045 an, spürbar wird dieses Defizit aber schon für die nächste Koalition. Denn neben den deutschen gibt es auch europäische Klimaziele. Werden die verfehlt, muss Deutschland bei anderen EU-Ländern Emissionszertifikate zukaufen. Das könnte teuer werden, denn nach den Projektionen der Umweltbehörde häuft sich das Defizit bis 2030 auf 226 Millionen Tonnen Treibhausgase an. In der Industrie werden Zertifikate derzeit für 70 Euro je Tonne CO₂ gehandelt. Könnte sich also läppern.
Inzwischen geben Bäume und Pflanzen mehr CO₂ frei, als sie binden
Und auch aus der Land- und Forstwirtschaft droht Ungemach. Gerade Wälder, aber auch Weideland und Moore können wertvolle Speicher von Kohlendioxid sein. Nach den Vorgaben des Klimagesetzes sollen hier 2030 im Schnitt jährlich 25 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespeichert werden. Durch sorgsame Bewirtschaftung und stetes Wachstum könnten etwa Wälder sie der Atmosphäre entziehen. Doch das glatte Gegenteil geschieht: Nach mehreren trockenen Jahren geben Bäume und Pflanzen mehr CO₂ frei, als sie binden. Den Berechnungen zufolge könnten das im Jahr 2030 schon 32 Millionen Tonnen sein. Vom Gesetzesziel wäre das Land fast 60 Millionen Tonnen entfernt.
Es gehe deshalb nun darum, höhere Investitionen in die richtigen Bereiche zu lenken und dort Dynamik zu entfachen, sagt Umweltamt-Chef Messner. „Das ist die Bedingung dafür, dass es weitergeht.“ So ähnlich sehen das auch die Grünen, die das weitere Geschick der Klimapolitik aus der Opposition verfolgen dürfen. „Statt Rückschritten beim Klimaschutz braucht es jetzt kraftvolle Investitionen in Klimaschutz – auch mit Blick auf das Klimaziel 2040 und 2045“, sagt etwa Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden.
Immerhin: Seit sich Union, SPD und Grüne über das Sondervermögen haben verständigen können, gibt es nun auch wohl jenes Geld für den Klimaschutz, das Habeck zuletzt fehlte – 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transaktionsfonds. Die Bilanz darüber dürfen Habecks Nachfolger ziehen.
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