27. März 2025 |SZ hier
Erstmals ist es Wissenschaftlern gelungen, den Trend des globalen Wasserkreislaufs im Klimawandel zu beschreiben.
Das Ergebnis ist alarmierend:
Die Kontinente trocknen aus.
Die Kontinente trocknen aus.
Seit der Jahrtausendwende findet auf der Erde eine globale Umverteilung von Masse statt, die so gewaltig ist, dass sie den gesamten Planeten ins Wanken bringt.
Die Masse, die hier gemeint ist, ist Wasser. Dieses geht einer Studie im Wissenschaftsjournal Science zufolge auf den Landmassen verloren.
Nicht nur in einzelnen Regionen wie dem Mittelmeerraum, wie es lange angenommen wurde, sondern auf allen Kontinenten. Die in den Böden gespeicherte Feuchtigkeit verdampft oder fließt ab in die Meere, ohne entsprechend ersetzt zu werden. „Der Knackpunkt ist: Die Landflächen haben sich nicht wieder erholt, das Wasser ist nicht zurückgekommen“, erklärt die Klimaforscherin Sonia Seneviratne von der ETH Zürich, die nicht an der Studie beteiligt war.
Auf den Landflächen der Welt hat ein Prozess eingesetzt, den manche Wissenschaftler als „Desertifikation“ bezeichnen, Verwüstung. Diese Entdeckung begann mit einem vermeintlichen Rechenfehler. Dank moderner Satellitentechnik und Messbojen in den Ozeanen lässt sich bestimmen, wie der jährliche Meeresspiegelanstieg zustande kommt. Eine Berechnung vor ein paar Jahren ergab:
1,8 Millimeter gehen auf das Konto der schmelzenden Gebirgsgletscher und Eiskappen.
1,3 Millimeter auf die thermale Ausdehnung der Ozeane. Insgesamt sind das also 3,1 Millimeter Meeresspiegelanstieg pro Jahr.
Das Problem war nur: Die zwischen 2005 und 2015 tatsächlich beobachtete jährliche Erhöhung lag bei 3,5 Millimetern.
Hieß: 0,4 Millimeter fehlten.
„Das ist ein signifikantes Wasservolumen“, stellte der südkoreanische Geophysiker Ki-Weon Seo von der Nationaluniversität Seoul schon im Jahr 2019 fest. „Ähnlich der Größe des Beitrags des schmelzenden Eises der Antarktis.“
Was aber konnte diese Lücke schließen? Weitere potenzielle Quellen für den Meeresspiegelanstieg waren: Grundwasser, Bodenfeuchte, Seen und Flüsse und das in der Vegetation gespeicherte Wasser. Aber hydrologische Modelle ergaben, dass sich jene Landwasserspeicher eher füllten oder zumindest kaum leerten. Ki-Weon Seo analysierte daraufhin Messdaten und kombinierte diese mit Modellen der Wettervorhersage. Dabei fand er heraus, dass sich der Wasservorrat der Landmassen keineswegs vermehrte. Mehr noch: Der Wasserverlust entsprach annähernd der Menge, nach der gefahndet wurde.
Von einem Trend mochte er damals noch nicht sprechen. Vielleicht stellte der Schwund nur eine natürliche Schwankung dar, schließlich deckten die Satellitendaten gerade mal gut zehn Jahre ab: Erst im Jahr 2002 waren die Grace-Satelliten in die Umlaufbahn der Erde geschossen worden, die das Gravitationsfeld der Erde genau vermessen.
Hundertmal das Wasser des Bodensees
Um weiter in die Vergangenheit zurückzublicken, wählten Seo und sein Team zwei weitere Methoden: zum einen Satelliten, die mit Altimetern bestückt waren und schon länger als die Grace-Satelliten um die Erde kreisten. Sie tasten die Höhe des Meeresspiegels ab. Zum anderen nutzten die Wissenschaftler eine Messung, derer sich normalerweise Astronomen bedienen: Der Erdkörper verhält sich nicht starr, sondern eiert mit seiner Rotationsachse immer ein wenig herum. Mit der genauen Messung dieser sogenannten Polschwankung lassen sich die Umverteilung von Masse auf dem Planeten bestimmen und damit auch Veränderungen der Landwasserspeicher.
Die Auswertung der unterschiedlichen Methoden ergab, dass der Schwund keine Schwankung war, sondern ein Trend: Zwischen 1979 und 2016 stieg der Meeresspiegel der Science-Studie zufolge allein durch den Verlust von Bodenfeuchte um mehr als einen Zentimeter an. Das mag nach nicht viel klingen, entspricht aber fast vier Billionen Tonnen Wasser, die die Kontinente zugunsten der Ozeane verloren haben – dem knapp Hundertfachen der Wassermasse des Bodensees.
In einer ähnlichen Größenordnung ging auch Grundwasser verloren. Zugleich verlagerte sich die Rotationsachse der Erde um fast einen halben Meter vom Anfang der 2000er-Jahre zum Anfang der 2010er-Jahre – allein aufgrund des Verlusts an Bodenfeuchte. „Das spiegelt einen Übergang zu einem trockeneren hydrologischen Regime seit dem frühen 21. Jahrhundert wider, der sich stetig verstärkt“, heißt es in der Studie.
Als Luis Samaniego die Vorgehensweise in der Studie das erste Mal sah, staunte er nicht schlecht. „Das war ein Wow-Effekt“, sagt der Hydrologe vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. „Das sind Beobachtungen aus ganz unterschiedlichen geophysikalischen Disziplinen, die nicht miteinander synchronisiert wurden und doch alle zum gleichen Ergebnis kommen.“
ETH-Forscherin Seneviratne hält das Ergebnis der Science-Studie für „sehr beunruhigend“. Auch da weitere Studien eine „Tendenz zur Austrocknung auf den Kontinenten“ belegen würden, darunter eine aus dem Herbst 2024, an der sie selbst beteiligt war. Allerdings nur für die trockenste Jahreszeit in den entsprechenden Erdregionen. „Nun wurde auch eine mittlere Austrocknung nachgewiesen“, sagt Seneviratne. „Das Signal ist damit deutlicher als bislang gedacht.“
Was Seo und sein Team besonders überraschte und überhaupt erst auf die Spur brachte: Ein erheblicher Anteil der Bodenfeuchte weltweit verschwand innerhalb von nur drei Jahren – zwischen 2000 und 2002.
1,6 Billionen Tonnen gingen damals an den Ozean verloren. Es war ein globales Ereignis mit einer besonders stark ausgeprägten Austrocknung in Zentral- und Ostasien, Zentralafrika und Amerika.
Seo dachte zuerst an einen Fehler im Rechenmodell. Aber er wusste auch, dass frühere Studien für just dieselbe Zeitspanne eine „durstigere Atmosphäre“ ausgemacht hatten, also eine wärmere Luft, die mehr Feuchtigkeit aus dem Boden ziehen konnte. Gleichzeitig sei der Niederschlag „in fast allen Kontinenten“ zurückgegangen. „Die scharfe Abnahme in der Bodenfeuchte für diese Periode ergibt sich wahrscheinlich aus einer Kombination aus jenen beiden Faktoren“, schätzt er.
Statt sich aber nach diesem Aderlass wieder zu erholen, verloren die Böden ab dem Jahr 2003 weltweit weiter Feuchtigkeit, erst graduell, dann in den Jahren 2015 und 2016 erneut sprunghaft.
„Die kombinierte Wirkung dieser allmählichen und plötzlichen Rückgänge über zwei Jahrzehnte hinweg deutet auf eine Verschiebung hin, wie sich Dürren auf globaler Ebene ausbreiten“, sagt Seo. Für die Welt und insbesondere für Regionen wie Europa bedeute dies, dass die Bodenfeuchte möglicherweise weiter ausgezehrt werde und es zu häufigeren, intensiveren Dürreperioden kommen könnte.
Es ist ein Teufelskreis: Sind die Böden erst mal knochentrocken, verdunstet weniger Wasser und es fällt auch weniger Niederschlag. Regnet es dann endlich, rauscht das Wasser auf den ausgetrockneten Böden oft einfach ab. Was das konkret bedeutet, lässt sich bereits heute im Mittelmeerraum beobachten. „Die Desertifikation in Südeuropa hat bereits begonnen“, sagt Luis Samaniego. „Schon in wenigen Jahrzehnten könnte es in Spanien Regionen geben, die schwierig zu bewohnen und zu bewirtschaften sind.“
Sonia Seneviratne drückt es noch drastischer aus: „In einer zwei Grad wärmeren Welt gegenüber vorindustriellen Zeit, das heißt im Durchschnitt nur circa ein halbes Grad wärmer als jetzt, werden in Südeuropa die meisten der heute existierenden Ökosysteme nicht mehr überleben.“
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