hier Eine Spiegel- Kolumne von Christian Stöcker 2.3.25
Von Christian Stöcker ist auch ein super Youtube Video verfügbar - meine absolute Empfehlung. Es fängt etwas verwirrend an, steigert sich dann aber immer mehr. Also unbedingt dranbleiben hier
US-Präsident Donald Trump und sein Kabinett schwärmen von geopolitischer Dominanz durch Öl und Gas.
Wenn man so will, haben wir die entscheidende Grenze schon überschritten.
Im Jahr 2024 wurde in Europa erstmals mehr Strom aus Wasser, Wind und Sonne erzeugt als mit fossilen Brennstoffen. Kohle, Öl und Gas sind auf dem Rückzug, erneuerbare Energien gewinnen. Die installierte Kapazität zur Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne wächst weltweit rasend schnell. Schneller als irgendeine andere Form der Stromerzeugung jemals gewachsen ist.
In Polen etwa überschritt der aus Sonne und Wind erzeugte Strom im vergangenen Sommer mehrere Monate lang eine wichtige Schwelle: Ein Drittel des insgesamt erzeugten Stroms in Polen war in diesen Monaten erneuerbar, denn auch dort wachsen Sonnen- und Windenergie stetig.
Solche Zahlen kann man der kürzlich veröffentlichten jährlichen Präsentation des Bloomberg-NEF-Analysten Nat Bullard entnehmen, einer in Branchenkreisen mittlerweile sehnsüchtig erwarteten jährlichen Fakteninfusion. Diese Fakten zeigen der nächsten Bundesregierung und natürlich auch der EU-Kommission, wohin die Reise geht.
Zum Autor : Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitionspsychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.
Kabinett der fossilen Fossile im Petrostaat USA
Für die USA soll die Reise, zumindest, was die Erlösquellen angeht, zunächst einmal zurück in die fossile Vergangenheit gehen: Das Land exportiert derzeit mehr Energie als je zuvor in seiner Geschichte, das meiste davon in Form von Öl und (Flüssig-)Gas. Die USA förderten zuletzt mehr Rohöl als jemals ein Land in der Geschichte .
Die Profiteure sitzen mit Donald Trump am Kabinettstisch. Der neue Energieminister der USA, Chris Wright, stand zuletzt einem Unternehmen vor, das unter anderem auf Frackingtechnologie spezialisiert ist. Er ist als lautstarker Gegner von Klimaschutzmaßnahmen bekannt. Trumps Innenminister Doug Burgum strebt, wie Wright, nach »amerikanischer Energiedominanz«, und damit meint er vorrangig Öl und Gas. Die USA von heute sind ein Petrostaat, und die Regierung Trump will, dass das so bleibt. Aber: Selbst dort wachsen erneuerbare Energien und Speicher atemberaubend schnell, paradoxerweise gerade in republikanisch regierten Staaten.
China ist der erste Elektrostaat
Anders in China. Das Land verfügt nur über vergleichsweise wenige Öl- und Gasreserven. Das dürfte einer der Treiber dafür sein, dass sich das Land rasant elektrifiziert. China baut erneuerbare Energien bekanntlich schneller aus als jedes andere Land der Welt. Ähnliches gilt für Elektroautos und Speichertechnologie. Etwa die Hälfte aller in China verkauften Neuwagen sind mittlerweile vollelektrisch oder zumindest Plug-in-Hybride.
Elektrifizierte Technologien sind in der Regel viel effizienter als verbrennungsbasierte. In einen Verbrenner muss man etwa viermal so viel Primärenergie stecken wie in ein E-Auto, um damit gleich weit zu kommen. Noch schlechter wird die Bilanz mit »E-Fuels« wegen der Umwandlungsverluste. In anderen Bereichen, etwa beim Heizen, sieht es ähnlich aus: Wer verbrennt, verschwendet.
Chinas Elektroboom ist messbar : Laut öffentlich verfügbaren Zahlen hat das Land 2024 weniger Öl verbraucht als im Vorjahr. Der Gipfelpunkt scheint erreicht. Zudem hat China Ölimporte aus den USA mit neuen Zöllen Anfang Februar noch unattraktiver gemacht. Für die ölexportierenden Länder der Welt sind das beunruhigende Nachrichten. Für alle anderen gute.
Zudem sieht es so aus, als würde der Treibhausgasausstoß Chinas im Jahr 2025 zu sinken beginnen. Womöglich ist das schon im Jahr 2024 geschehen, das ergeben jedenfalls Analysen von »Carbon Brief«
Allerdings fördert China – noch – gigantische Mengen Kohle ...
Neunmal so schnell wie alle anderen
China ist trotzdem »der erste große Elektrostaat«. So hat es das Rocky Mountain Institute (RMI), ein unabhängiger Thinktank in den USA, im vergangenen Jahr formuliert. Der Anteil von Elektrizität am Endenergieverbrauch des Landes liegt jetzt schon bei über 30 Prozent. Und China elektrifiziert sich neunmal so schnell wie der Rest der Welt, so die RMI-Analysten .
Europa kann und sollte daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Petrostaaten gibt es in Europa so gut wie keine, vielleicht mit Ausnahme von Norwegen, dem zwölftgrößten Erdölproduzenten der Welt . Auch Großbritannien hat noch einige Öl- und Gasreserven, exportiert aber noch weniger als Norwegen. Die europäische Erdölproduktion fällt schon seit 20 Jahren steil , Europa trägt zum Weltmarkt nur in sehr bescheidenem Umfang bei.
Vor allem die Petrostaaten – also die USA, diverse arabische Länder und Russland – haben ein Interesse an einem florierenden Weltmarkt für Öl und Gas. Fast alle anderen Länder haben in Wahrheit kein Interesse daran. Selbst dann, wenn man die Klimakrise außer Acht ließe. Mehr als acht von zehn Erdenbürgern leben in Ländern, die mehr fossile Brennstoffe im- als exportieren. Sie alle kämen in einer elektrifizierten, erneuerbar angetriebenen Welt billiger davon. Und da sind die gigantischen Umwelt- und Gesundheitsschäden, die fossile Brennstoffe zwangsläufig mit sich bringen, noch gar nicht eingerechnet.
Wer möchte nicht in Wachstum investieren?
Europa ist in einer guten Position, nach China der zweite große »Elektrostaat« zu werden, denn es hat:
- Keine allzu großen Öl- und Gasreserven, also keinen allzu großen Widerstand gegen die ohnehin zwangsläufige Transformation zu erwarten
- gute Kreditwürdigkeit, also Zugang zu Kapital
- eine vergleichsweise wohlhabende und technikaffine Bevölkerung
- relevante hier ansässige Industrien und technisches Know-how
- wachsenden ökonomischen und politischen Druck
Schon jetzt macht »Cleantech« dem RMI zufolge 10 Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums aus. Dieser Trend wird sich nicht umkehren, sondern verstärken. Dem Thinktank Ember zufolge hat Europa dank erneuerbarer Elektrifizierung in den vergangenen fünf Jahren 59 Milliarden Dollar an fossilen Importkosten eingespart . Und da geht noch einiges mehr. Allein Deutschland hat 2024 Zahlen der Fraunhofer-Plattform »Energy Charts« zufolge mehr als 64 Milliarden Euro für Öl - und Gasimporte ausgegeben. Was man damit alles machen könnte!
Wie unangenehm es ist, von einem Autokraten und Kriegsverbrecher wie Wladimir Putin energieabhängig zu sein, haben wir gerade erst erlebt. Die Herrscher anderer Ölstaaten, von Aserbaidschan über Katar bis Saudi-Arabien, sind auch keine Traumpartner, geschweige denn Verbündete. Und der derzeit größte Petrostaat der Welt, die USA, lässt unter Donald Trump Europa am ausgestreckten Arm verhungern.
Wer beliefert künftig Europa?
Wenn Trump und Putin sich wirklich so schnell einig werden, wie das im Moment scheint, steht demnächst womöglich eine neue Konkurrenzsituation im Raum: Wer beliefert Europa, Russland oder die USA?
Diese Frage könnten und sollten wir mit einer Alternative beantworten. Und zwar mit einem weiteren rapiden Ausbau von erneuerbaren Energien und Speicherkapazität und gleichzeitig rasanter Elektrifizierung aller Bereiche, in denen das irgend möglich ist.
Dass da – auch und gerade für Europas Industrie – noch viel Spielraum ist, zeigt eine weitere von Nat Bullards Folien: Sie dokumentiert, wohin im Moment die Transformationsinvestitionen fließen: 90 Prozent davon in elektrifizierten Transport, also hauptsächlich E-Mobilität, dicht gefolgt von erneuerbaren Energien und als drittes, mit einigem Abstand, Investitionen in Stromnetze. Auch die Investitionen in all diesen Sektoren wachsen weiter.
Wo noch jede Menge Platz für Investoren ist
Viel kleinere Summen fließen in die Elektrifizierung des Heizens (hier gingen die Summen von 2023 auf 2024 sogar zurück), stationäre Energiespeicher (36 Prozent Investitionswachstum von 2023 auf 2024) und saubere Industrie (auch hier gingen die Investitionen von 2023 auf 2024 zurück, und zwar um 50 Prozent). Ein weiterer, bislang kleiner, aber enorm schnell wachsender Investitionsbereich ist »Clean Shipping«.
Bei dieser Aufzählung sollten Vertreter der EU und europäischer Industrieverbände hellhörig werden. Denn Strom aus Sonne, Wind und Wasser wird weiterhin billiger werden (der Trend setzte sich auch 2024 fort). Rund um den Globus werden die Menschen deswegen künftig nicht nur E-Autos oder -Zweiräder, nicht nur Solarmodule und Windturbinen benötigen – sondern auch Wärme, smarte Speicher, smarte Netze, saubere Industrieanlagen, saubere Schifffahrt. Europa sollte sich diesen gigantischen Markt nicht entgehen lassen.
Vier Gründe, warum Trump die Energiewende nicht stoppen wird
Wenn Europa kein Öl und Gas mehr benötigt, platzen die Träume von Trump und seinen Ministern von geopolitischer Macht durch fossile Brennstoffe rasch. Stattdessen könnten wir die Technologien für ein billigeres, sauberes, gesünderes und leiseres Leben nutzen und exportieren. Die Revolution ist ohnehin unaufhaltsam, warum nicht vorn dabei sein?
Europa sollte schleunigst das Ziel ausrufen,
Elektrostaat oder -staatenbund zu werden –
im Dienste der geopolitischen Unabhängigkeit,
im Dienste der Zukunftsfähigkeit der eigenen Industrie,
und natürlich im Dienste der Menschheit.
Nennen wir es Electric Europe.
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