Mittwoch, 12. März 2025

Warum nur will China so unbedingt der erste Elektrostaat der Welt werden?

hier  Rico Grimm  March 11, 2025  Cleantech Ing.

Der versteckte Grund für Chinas Erneuerbaren-Boom 
„Amateure studieren Taktik, Profis studieren Logistik.“

..Wir schauen diese Woche auf ein altbekanntes Thema – aber aus neuer Perspektive.

Ich zeige dir, welche sicherheitspolitischen Vorteile die großflächige Elektrifizierung einer Volkswirtschaft bieten kann. China als der erste Elektrostaat der Welt gibt uns Europäern wertvolle Hinweise.


Es gibt die globale Energiewende und es gibt China.
Das Land bildet beim Ausbau von Solar- und Windkraft eine eigene Kategorie:

2024 installierte China 900 Gigawatt neue Solarleistung –
mehr als doppelt so viel wie alle anderen Länder zusammen.


China baut aktuell knapp zwei Drittel der weltweiten Wind- und Solarenergie-Kapazität auf.

Seine Batterieunternehmen dominieren den Markt für E-Autos und stationäre Speicher und kontrollieren große Teile der Wertschöpfungskette.

China (rot) elektrifiziert neunmal schneller als der Rest der Welt (grau):


Quelle: RMI, PDF, S.21


China wird der erste Elektrostaat der Welt


Elektrostaaten sind Länder, die immer größere Teile ihrer Industrie elektrifizieren und die Energie dafür vorwiegend aus erneuerbaren Quellen gewinnen.

Sie sind am besten in Abgrenzung zu Petrostaaten zu verstehen. Mein Vergleich gibt dir einen kompakten Überblick: siehe im Original hier

Die Vormachtstellung Chinas bei Cleantech betrachten wir als eine Art Naturgesetz; wir hinterfragen sie nicht. Der Apfel fällt herab auf Newtons Kopf und China ist Erneuerbare-Supermacht. Ist eben so.

Das ist aber nicht die ganze Geschichte.

Denn warum investiert China so viel in saubere Technologien und Elektrifizierung?

Wir reden sehr viel darüber, dass das ein industrie- und geopolitisches Kalkül ist. Die Logik dahinter: Wer die Technologien der Zukunft kontrolliert, kontrolliert die Welt.

Worüber wir zu wenig reden, offenbart ein Blick auf diese Karte: siehe im Original hier

Jup, das ist eine stinknormale Karte Ostasiens – wenn man als deutscher Zivilist darauf schaut. Aber ein chinesischer Militär schaut darauf und sieht etwas völlig anderes. Er sieht ein winziges Problem, das alles erschwert.

Ich habe es eingezeichnet. Schau auf die zwei parallelen Striche in der Nähe von Singapur.

Die rote Linie zeichnet die ungefähre Route von Öltankern aus dem Nahen Osten nach.

Quelle: Osmand, bearbeitet von Rico Grimm

Sollte China in einen großen Krieg verwickelt werden, würden 2,8 Kilometer offenes Meer darüber entscheiden, wie lange China diesen Krieg führen kann. Denn das Land verbraucht 770 Millionen Tonnen Öl pro Jahr, 80 Prozent davon erreichen laut Deutscher Welle die Raffinerien des Landes über die Straße von Malakka nahe Singapur. Und an ihrer engsten Stellen ist diese kaum drei Kilometer breit.

Diese Meerenge könnten die USA, Indien oder andere Länder leicht blockieren.

Das Malakka-Dilemma: Chinas strategische Schwachstelle

Der chinesische Premier Hu Jintao beschrieb diese Situation im Jahr 2003 als „Malakka-Dilemma“.

Seit dieser Rede sind mehr als 20 Jahre vergangen. Inzwischen hat China große Ölreserven im Norden des Landes entdeckt, importiert immer mehr russisches Öl über die Arktisroute und hat seine Marine mit sogenannten Anti-Zugangs-/Gebietsverweigerungsfähigkeiten (A2/AD) ausgestattet, die eine Blockade aushebeln könnten, bevor sie überhaupt beginnt.

Aber all das sind taktische Maßnahmen, keine strategischen.

Sie sind auf die eine oder andere Art immer noch anfällig. Russische Öltanker könnten bspw. blockiert und die bestehenden Pipelines aus Sibirien nach China mit recht einfachen Mitteln sabotiert werden. Vergangenes Jahr staute sich in den russischen Leitungen das Öl, weil das Stromnetz immer wieder zusammenbrach und damit auch die Pumpstationen der Pipelines. Wenn es der Ukraine gelingt, Moskau mit Drohnen anzugreifen, würde es im Zweifelsfall einer fremden Macht auch gelingen, diese Pipelines zu sabotieren.

Die einzige wirklich strukturelle Maßnahme, die China in den vergangenen Jahren ergreifen konnte, um das Malakka-Dilemma abzuschwächen, war Elektrifizierung.

Denn nur wenn immer mehr Autos mit Strom statt Benzin fahren und immer mehr Häuser mit Wärmepumpen statt fossilen Öfen heizen, sinkt mittelfristig der chinesische Ölbedarf und damit auch die Anfälligkeit im Kriegsfall.

Chinas Öl-Nachfrage stagniert dank der Elektrifizierung

Die Elektrifizierung zeigt Erfolge. Chinas Ölbedarf hat ein Plateau erreicht und wird in den nächsten Jahrzehnten fallen.

Die elektrische Energie, die Chinas Bevölkerung und Industrie verbraucht, kann das Land mit seinen Wind- und Solarparks, seiner großen AKW-Flotte, den riesigen Wasserkraftwerken im Osten des Landes und im Ernstfall auch den großen Kohlevorräten allein bereitstellen.

Das bedeutet: Wer elektrifiziert, kontrolliert seine Nachschublinien. Wie wichtig diese Kontrolle ist, zeigt eine in Militärkreisen verbreitete Redewendung: „Amateure studieren Taktik, Profis studieren Logistik.“

Die sicherheitspolitischen Vorteile einer großflächigen Elektrifizierung erschöpfen sich dabei nicht in größerer Autonomie.

Moderne elektrische Systeme, die auf viele Erzeuger und Konsumenten aufbauen, sind im Zweifel besser gegen direkte physische Angriffe gewappnet. Ein Schlag gegen einen einzelnen Solarpark hat nicht einen so großen Effekt wie ein Schlag gegen ein Kohle- oder Heizkraftwerk.

Die Ukraine musste genau das in den vergangenen drei Jahren erleben. Russlands Raketen attackieren immer öfter die Energieinfrastruktur des Landes – mit Erfolg. Produzierte die Ukraine zu Beginn des Krieges noch 18 GW Elektrizität und 17,1 GW Wärme, sind es heute bei der Elektrizität etwa 30 Prozent und bei der Wärmeproduktion mit Kraft-Wärme-Anlagen sogar 85 Prozent weniger (PDF).

Für den Wiederaufbau ihres Energiesystems empfiehlt die Internationale Energieagentur der ukrainischen Regierung deswegen, Dezentralisierung zur zentralen Säule des Wiederaufbaus zu machen (Studie der IEA als PDF).


🍏 Was ich denke

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Die Energiewende hat eine
  • klimapolitische Dimension,
  • eine industriepolitische,
  • eine finanzpolitische –
  • und eine sicherheitspolitische.

Das ist die zentrale Erkenntnis der vergangenen Jahre.


Genau das zeigen die zwei Beispiele China und Ukraine: Großflächige Dezentralisierung und Elektrifizierung steigern die nationale Sicherheit.

Noch-FDP-Chef Christian Lindner hatte das kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 selbst auf den Punkt gebracht. Damals sagte er im Bundestag:

Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien. Wir setzen auf Freiheitsenergien.
Christian Lindner, FDP, Rede vor dem Bundestag, 27.2.2022

Hinter diese Erkenntnis darf auch die nächste Regierung nicht zurückfallen. Sie sollte nicht so tun, als wären Batteriespeicher, Windkraftanlagen und Solarparks ein Hobbyprojekt der Grünen.

Denn eines ist doch klar: Europa gleicht mit seiner Geografie und seinen geringen fossilen Reserven viel eher dem Elektrostaat China als den Petrostaaten am Golf oder zurzeit auch den USA.

Jeder Euro, der in die Elektrifizierung fließt, bewegt einen der größten Hebel, die Deutschland und Europa aktuell in der Hand haben.

Mehr Erneuerbare und mehr Elektrifizierung bringen eine sicherheitspolitische Dividende. Sie bringen aber auch:

  • weniger Milliardenausgaben für Öl und Gas → mehr Spielraum für Investitionen
  • saubere Luft → gesündere Bevölkerung
  • digitalisierbare Technologie → mehr Produktivität und Effizienz
  • weniger Treibhausgase → ein Planet, der unser Überleben sichern kann.


Im Management-Sprech nennt man eine solche Investition einen „No-Brainer“.

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