Europa und die USA: Vielleicht müssen wir das Problem eines verrückt gewordenen Amerikas einfach bei den Hörnern nehmen, anstatt zu fürchten.
Andy Warhol, Big Mac, iPhone: Das war eine große Epoche der USA. Aber sie ist vorbei. Europa sollte sich emanzipieren – nur nicht so verdruckst wie Jürgen Habermas.
Danke für Andy Warhol. Danke für den Big Mac und für das iPhone. Danke auch für Francis Ford Coppola, für Stanley Kubrick und Quentin Tarantino. Danke für Angela Davis, Joan Mitchell und Susan Sontag. Danke für Scott Fitzgerald, für Aretha Franklin, Edward Hopper und auch für die Levi's Jeans. Und jetzt: Tschüss.
Ja, das war eine große amerikanische Epoche, sie hat uns in Europa hundert Jahre lang Sicherheit und Genuss und Anregung geschenkt. Aber nun ist es auch mal gut. Jetzt können wir endlich aufhören, uns immer weiter so klein zu machen. Müssen nicht jede neue irrsinnige Regung der präpotenten, rotkrawattigen Männer aus dem Weißen Haus verschreckt zur Kenntnis nehmen, nicht mehr mit angstgeweiteten Augen zuhören, wenn uns der amerikanische Vizepräsident die Freundschaft aufkündigt, nicht mehr sofort eine schwere Grippe bekommen, wenn in Amerika irgendjemand hustet. 1925, also vor hundert Jahren, schenkten uns die Amerikaner den Großen Gatsby von F. Scott Fitzgerald, Manhattan Transfer von John Dos Passos, Hemingways erste Kurzgeschichten, Josephine Bakers ersten Tanz. Sie bescherten der Welt das erste Motel und die Zeitschrift The New Yorker. Und so ging das dann zehn Jahrzehnte weiter.
Der Weltgeist ließ sich in Amerika nieder, und der Westwind blies uns von dort verlässlich alle Segnungen und Verwerfungen des Kapitalismus herüber, jeden neuen Musikstil, jede neue Kunstrichtung, jede neue Studentenbewegung, jede neue Weltdeutung. Nun aber, wo sich der Wahnsinn in Washington für vier Jahre häuslich eingerichtet hat, ist endlich der richtige Moment für Europa gekommen, um es wieder selbst mit dem Weltgeist zu versuchen. Das hat in den 2000 Jahren vor Hemingway und dem Big Mac eigentlich auch ganz gut geklappt.
Kleine Erinnerung: Als Anfang des 16. Jahrhunderts die Europäer den amerikanischen Kontinent eroberten, sagten sich dort, wo später einmal New York oder Los Angeles liegen sollten, noch Kojote und Grizzlybär Gute Nacht – da zeichneten und malten und bauten gerade zeitgleich im Florenz der Medici, dem geistigen Zentrum der Welt, Raphael, Michelangelo und Leonardo um die Wette. Und diese Hochrenaissance war selbst nur eine "Wiedergeburt" der bewunderten Hochkulturen der griechischen und römischen Antike ein paar Tausend Jahre zuvor.
Wir haben also etwas mehr Kulturgeschichte hinter uns als die Nordamerikaner. Und ja, es ist in der Tat unglaublich, wie schnell sie das seit dem 19. Jahrhundert aufgeholt und im 20. Jahrhundert sogar locker überholt haben, technisch und militärisch und kulturell. Aber nun ist es an der Zeit, sich nicht immer nur über die Demütigungen aus der Neuen Welt aufzuregen, sondern auf die eigenen Wurzeln und Stärken der Alten Welt zu besinnen.
Nie vergessen: Es gab auch schon Kaffee vor Starbucks. Und der Computer wurde von Konrad Zuse erfunden, nicht von Steve Jobs. Die besten Bücher von Fitzgerald und Hemingway und Susan Sontag spielen in Europa, Andy Warhols Mutter kommt aus den Karpaten, Bill Gates sammelt französische Impressionisten und der Direktor des Metropolitan Museums stammt aus Wien.
Es gab seit dem Zweiten Weltkrieg in der europäischen und vor allem deutschen Wahrnehmung der USA immer eine Schizophrenie: So sehr man McCarthy, den Vietnamkrieg oder den Irakkrieg ablehnte, so begierig und bewundernd sog man jahrzehntelang alles auf, was kulturell und popkulturell in Amerikas liberalen Universitäten, Verlagen, Film- und Plattenstudios entstand. Deren Produkte waren meist die eine Stufe origineller, witziger, tiefsinniger und: besser.
Nun aber, mit dieser Regierung von Donald Trump, ist nicht nur die amerikanische Politik empörend, ja empörender als je zuvor – nein, auch die Konsumkultur hat plötzlich ihren Reiz verloren, weil sie wie infiziert wirkt vom Trump'schen Ungeist der Illiberalität. Wie eine ansteckende Krankheit breitet er sich aus.
Wer Instagram nutzt, weiß, dass Mark Zuckerberg seinen Kniefall vor Trump gemacht hat, wer bei Amazon kauft, weiß, dass Jeff Bezos den Präsidenten zu seiner Hochzeit eingeladen hat – und jeder Teslafahrer möchte täglich ins Lenkrad beißen, weil aus seinem fahrenden Nachweis von Coolness und Klimabewusstsein urplötzlich ein Unterstützungsfahrzeug für den Kettensägenirrsinn Elon Musks geworden ist. Es scheint, als habe plötzlich alles Amerikanische seine Unschuld verloren – allein die wackeren widerständigen Journalisten von der New York Times, vom New Yorker und vom Atlantic stehen für uns noch nicht unter Generalverdacht.
Etwas geht gerade zu Ende
So ein Rundumschlag ist natürlich genauso maßlos übertrieben wie der willfährige Import von Ideen und Produkten in den sieben Jahrzehnten davor. Aber vielleicht ist es doch der richtige Impuls, um damit anzufangen, nun unser eigenes Wertesystem hochzuhalten – und in die USA zu exportieren. Also Humanismus statt Menschenverachtung, Gewaltenteilung statt Willkür, Respekt statt Einschüchterung. Die Amerikaner könnten das gerade gut gebrauchen, dringender jedenfalls als unsere Autos.
inferioren Perspektive gegenüber den USA,
dass Trumps Rattenfänger-Slogan "Make Amerika Great Again" von einer überraschenden Voraussetzung ausgeht:
Wer wieder groß werden will, der ist logischerweise gerade klein.
Es ist also ein Versprechen an eine Supermacht im Niedergang. Und dieses Bewusstsein der eigenen Schwäche und Verunsicherung scheint so selbstverständlich zu sein, dass keiner der patriotischen Wähler Trumps sich daran stört. Nein, die Amerikaner, oder zumindest knapp mehr als die Hälfte von ihnen, sind dankbar, dass ihnen da einer wieder Trost und Zuversicht spendet und neue Stärke verheißt.
Das würde in einem ersten Schritt also schon mal helfen: die Irrungen und Wirrungen aus Amerika nicht als ein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche zu sehen. Da trommeln sich gerade ein paar Jungs vor laufender Kamera permanent auf die Brust, um sich selbst Mut zuzusprechen: Wir wollen Grönland, wir wollen Panama, wir wollen den Golf von Amerika – das klingt alles eher nach einer Schreitherapie als nach Außenpolitik.
Etwas geht gerade zu Ende. Aber war es nicht einfach ein ungeheures historisches Glück und ein riesiger Zufall, dass Amerika die Europäer trotz eines gigantischen Ozeans als Hindernis in zwei Weltkriegen vor den Deutschen gerettet hat? Und ist es nicht eigentlich viel logischer, dass der Atlantik zwei Kontinente langfristig eher trennt als verbindet?
Ganz nüchtern hat es der polnische Ministerpräsident Donald Tusk zusammengefasst:
"Was ist das eigentlich für eine komische Situation?
500 Millionen Europäer bitten 300 Millionen Amerikaner,
sie vor 144 Millionen Russen zu schützen."
Ja, es ist an der Zeit, dass die halbe Milliarde an Europäern ihr eigenes Selbstbewusstsein wiederentdecken, ihre Stärke, ihre Geschichte – und endlich aufhören, bei Europa nur an die EU-Verordnungen zum Krümmungsgrad von Bananen zu denken. Wer Donald Trump, J. D. Vance, Pete Hegseth oder Marco Rubio zuhört, der weiß: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Trump in seiner lachsfarbenen Golfclubhölle von Mar-a-Lago sagt allen Ernstes: "Die Europäische Union wurde gegründet, um die USA zu ärgern."
Würde es da nicht Spaß machen, einen Präsidenten mit solch einem sensitiven Beziehungswahn einmal wirklich zu ärgern?
Vorschlag:
Wir sollten der amerikanischen Regierung im Allgemeinen und Donald Trump im Besonderen das entziehen,
was sie am dringendsten brauchen:
unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.
Nein, es interessiert uns nicht, wenn er den Garten des Weißen Hauses in eine peinlichen Verkaufsbühne für die Elektroautos von Elon Musk umfunktioniert. Nein, wir regen uns nicht mehr auf, wenn Anna Karenina aus den Bibliotheken in Florida entfernt wird und die Columbia-Universität kein Geld mehr bekommt, weil sie vor zwanzig Jahren kein überteuertes Grundstück von Trump gekauft hat. Nein, danke. Amerikaner, macht bitte, was ihr wollt. Aber wir sind dann mal gedanklich weg.
Die Welt von Habermas existiert nicht mehr
Dieser Aufmerksamkeitsentzug wird nicht nur für die Amerikaner, sondern auch gerade für uns co-abhängige Deutsche schmerzhaft sein: Nirgendwo auf der Welt beherrscht die USA die nationale Medienberichterstattung so sehr wie bei uns, ja, es ist fast zu einer Besessenheit geworden.
Egal, ob 2024 eine Million Menschen in Deutschland die drei Ausstellungen von Caspar David Friedrich gesehen haben – ein wichtiger Künstler wird er anscheinend erst, wenn die Alliierten ihren Segen geben und Friedrich eine Ausstellung im Metropolitan Museum erhält.
Und als Kamala Harris im Rennen um die Präsidentschaft Joe Biden ersetzte, da glaubten die hiesigen Leser und Zuschauer, dass allein schon die deutschen Sympathien für ihr herzhaftes Lachen den Sieg der Demokraten besiegeln würden. Wie schmerzhaft war dann die Erkenntnis am 4. November, dass die Menschen aus Bietigheim-Bissingen und Clausthal-Zellerfeld bei der amerikanischen Präsidentenwahl gar nicht mitwählen dürfen
Die Obsession, mit der sich der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance gerade auf Europa einschießt, könnte uns Europäern helfen, unsere eigene obsessive Fixierung auf Amerika zu überwinden.
Wenn er in dem geleakten Signal-Gruppenchat zum Militärschlag gegen die Huthi sagt, dass er es leid sei, Europa ständig aus der Patsche zu helfen, dann sollten wir nüchtern sagen: Stimmt! Wir müssen uns in Europa auch militärisch endlich um unsere eigenen Probleme kümmern. Und wir würden es gerne auf unsere Weise tun – und zwar ohne die Hilfe dieser testosterongesteuerten Boygroup aus dem Weißen Haus, die mehr Wert auf das passende Emoji legt als auf die richtigen Angriffsziele.
Die Abnabelung vom bombigen Amerika ist vor allem militärisch und sicherheitspolitisch hoch kompliziert; wir sind schließlich Teil der Nato. Das weiß auch Jürgen Habermas. Für Europa heißt, sehr verheißungsvoll, seine aktuelle Intervention. Auf zwei sehr langen Seiten in der Süddeutschen Zeitung rügt er die "unverständliche Kurzsichtigkeit der europäischen Politik" und bietet stattdessen das an, was er für weitsichtig hält.
Der große, überragende Philosoph des Jahrgangs 1929 allerdings demonstriert in diesem Text vor allem, dass er seiner eigenen nachkriegsdeutschen Prägung nicht entkommen kann. Er ruft zwar auch – notgedrungen – nach einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik, aber er singt dazu noch einmal die besten Songs der 60er, 70er und 80er-Jahre: Die Wehrpflicht dürfe auf keinen Fall wiederkehren und alle in Europa hätten Angst vor einem militärisch starken Deutschland. Noch einmal Aufrüstung, es hilft ja alles nichts, aber dann müsse doch bitte wirklich der große Weltfrieden kommen.
Kann es sein, dass der 95-jährige Prophet des "Strukturwandels der Öffentlichkeit" den großen Wandel der öffentlichen europäischen Wahrnehmung selbst nicht mehr mitbekommen hat? Nach Jahrzehnten der deutschen Duckmäuserei, nach dreijährigem lautem Schweigen von Olaf "Nö" Scholz, scheint nach übereinstimmender Aussage der europäischen Zeitungen und Regierungschefs die Sehnsucht sehr groß, dass die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, das stärkste Land Europas, der verdruckste und postheroische Moral- und Debattenweltmeister Deutschland endlich seine Führungsrolle annimmt.
Doch es geht nicht nur um Sicherheitspolitik – sie hat aktuell lediglich die höchste Dringlichkeit. Es geht um einen grundlegenden Emanzipationsprozess, in dem sich Europa auch mental von Amerika lösen sollte. Zu lange haben wir dankbar in der Rolle des Kindes gelebt, deren amerikanische Eltern schon einschreiten, wenn es mal brenzlig wird. Nun haben die Eltern aber Lust auf was Neues. Und die sollten wir dann auch haben. Ja, wir müssen einfach zu stolz sein, um uns ständig von diesen ruchlosen Amerikanern vorführen zu lassen. Und unwillig, permanent ihren größten Blödsinn zu übernehmen – oder zu kommentieren.
Was also tun, wenn Trump die Einfuhrzölle auf französischen Champagner und Cognac um lockere 200 Prozent erhöhen will? Uns freuen. Denn dann können wir den herrlichen französischen Champagner, von dem bislang etwa 10 Prozent in die USA gingen, endlich ganz alleine trinken und müssen ihn nicht mehr mühsam über den Atlantik schiffen. Also: Champagner statt Starbucks. Cognac statt Whiskey. Den europäischen Binnenmarkt anheizen! Und die Amerikaner so lange ihren Süßwein aus dem Napa Valley süffeln lassen, bis sie bei ihrem nächsten Europa-Urlaub angekrochen kommen und uns auf Knien anflehen um ein Glas Champagner unter 50 Euro.
Kommentar von Blablablubblub
Europa hat jetzt eine allerletzte Chance, der Welt zu zeigen, wie man eine rechts-populistisch-totalitäre Diktatur mit nur einer einzigen Rede zu Fall bringt:
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben uns entschieden, den USA zu zeigen, wer seit 15 Jahren wen ausnutzt. Am dem 02.04. ist Liberation Day. Alle digitalen Dienstleistungen aus den USA, deren Firmen ihren Hauptsitz und die Mehrheit ihrer Mitarbeiter in den USA sitzen haben, aber uns Europäer auf gemeine, fiese Weise ausnutzen, indem sie unser Geld nehmen, aber hier gar kaum Arbeitsplätze schaffen und praktisch keinerlei Steuern zahlen, werden ab dem 02.04. mit einer Sondersteuer von 100% belegt.
Das Netflixabo für 10 EUR kostet dann 20 EUR - oder Netflix absorbiert die Kosten. Das Office 365 Abo für 100 EUR kostet ab jetzt 200 EUR pro Jahr. Oder Microsoft verzichtet auf 50% Marge, um die Kunden nicht zu verlieren. Das Tech-Schmarotzertum der USA mit unseren Euros ist endgültig vorbei. Und das iPhone kostet ab dem Liberation Tag eben 2500 EUR statt 1250 EUR. Die zusätzlichen Steuereinnahmen werden wir nutzen, um zu kompensieren, dass die USA aus dem Klimaabkommen ausgetreten sind und die Welt gerne in Flammen sehen wollen.
... und nicht mal 5 Sekunden später wird an der Wallstreet der Handel gestoppt wegen des größten Flash-Crasht der Geschichte. Und nicht mal 24h später wird Sir Donald Trump einlenken, weil die gesamte US-Wirtschaft ausnahmslos von der Wallstreet abhängig ist.
Make America PAY again!
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