riffreporter hier 29.09.2022
es lohnt sich den Originaltext mit den hinterlegten Bildern zu lesen - wer kennt nicht diese aussagekräftigen Situationen aus eigener Erfahrung!
Aufräumen am Fahrbahnrand: Wie Städte parkende Autos von der Straße vertreiben
Die Städte sind im Zugzwang: Autos verbrauchen immer mehr Platz im öffentlichen Raum. Maßnahmen, um Platz zu schaffen, gibt es viele
Die Mobilitätswende lässt auf sich warten. Trotz Klimaschutzdebatten, extremen Wetter wie Hitze, Dürre und Extremregen und Dauerstaus auf den Straßen wächst die Zahl der Autos und der gefahrenen Pkw-Kilometer. Anfang Januar 2022 waren bundesweit 48,5 Millionen Pkw zugelassen. Das waren 13 Prozent mehr als noch zehn Jahre zuvor. Mit 575 Wagen pro 1000 Einwohner hatte der Autobesitz im Sommer 2021 bereits einen neuen Höchstwert erreicht.
Die langjährige Taktik des Verkehrsministeriums und vieler
Kommunen, Autofahrerïnnen mit Anreizen zum Umstieg auf nachhaltige
Verkehrsmittel zu bewegen, ist fehlgeschlagen.
Politik, Stadt – und
Verkehrsplaner brauchen neue Strategien, wenn sie klimaresiliente Städte
wollen mit mehr Rad- und Fußverkehr.
Mobilitätsexpertïnnen und
der Deutsche Städtetag sind sich einig: Der Autobesitz und die Zahl der
Pendlerfahrzeuge in den Städten müssen drastisch sinken.
2018 hatte das
Umweltbundesamt für die „Stadt von Morgen“ maximal 150 zugelassene Pkw pro 1000 Einwohner
als Zielwert genannt. Diese Vision ist nur in einer Stadt der kurzen
Wege umsetzbar. „Wir müssen unsere Städte umbauen und unser
Mobilitätsverhalten verändern, um das zu schaffen“, sagt der
niederländische Mobilitätsexperte Bernhard Ensink vom
Beratungsunternehmen Mobycon.
Sein Konzept lautet: Autoverkehr vermeiden, verlagern und verändern. Möglichst viele Autofahrten sollten demnach überflüssig werden, notwendige Fahrten auf den Umweltverbund verlagert werden und erst in letzter Instanz sollten Verbrenner durch E-Autos ersetzt werden. Vorreiter-Kommunen wie Amsterdam machen vor, wie die Zahl der parkenden Autos systematisch aus der Innenstadt entfernt werden können.
„Die
Niederlande sind eine Fahrradnation, aber wir sind auch eine
Autonation“, sagt Ensink.
Das gilt auch für die Fahrradmetropole
Amsterdam. Wer an den Grachten entlangschlendert, blickt statt auf
Wasser auf Reihen von parkenden Autos. Die Politik will das ändern.
Der
Platz in den schmalen Straßen soll zurück an die Menschen gehen. Seit
2019 reduziert die Verwaltung deshalb die Zahl der Anwohnerparkausweise
im Zentrum um rund 1.500 jährlich. Sobald jemand die Stadt verlässt,
sein Auto aufgibt oder stirbt, werden die Ausweise nicht mehr ersetzt.
Und das, obwohl die Warteliste für Parkausweise lang ist. Außerdem
werden bei Umbauarbeiten und Renovierungen der Uferstraßen und Hafenkais
weitere Parkflächen im Zentrum entfernt. Bis 2025 will die Verwaltung
auf diese Weise rund 11.000 Parkplätze aus der Innenstadt entfernen.
Zürich: 33.000 Parkplätze reichen
Auch in Zürich hat der Rückbau von Parkplätzen Tradition. 1996 hat die Politik im sogenannten „historischen Parkplatzkompromiss“ beschlossen, die Zahl der Parkplätze in der Innenstadt auf den Stand von 1990 zu deckeln. „Seitdem wird für jeden Parkplatz, der unterirdisch gebaut wird, oberirdisch einer entfernt“, sagt Martina Hertel, Verkehrsforscherin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Das zeigt Wirkung. Mittlerweile nutzen nur noch 25 Prozent der Züricherïnnen ihren Privatwagen, wenn sie sich in der Stadt bewegen. Das sind 15 Prozent weniger als noch im Jahr 2000.
Eigene Garagen nutzen
Ein
weiteres wirksames Mittel, um den Parkverkehr in der Innenstadt und in
den Wohnvierteln zu verringern, sind Anwohnerparkgebühren. Diese
Stellschraube steht deutschen Städten erst seit Juli 2021 zur Verfügung.
Damals hat der Bund die Deckelung der Gebühren aufgehoben. Inzwischen
können die Länder oder die Kommunen die Höhe ihrer Parkgebühren selbst
regeln. Wie effektiv das sein kann, macht die 47.000 Einwohnerstadt
Landau in der Pfalz vor. Dort hat die Politik im Oktober 2021 in der
Innenstadt das kostenfreie Anwohnerparken flächendeckend abgeschafft.
Wer seinen Wagen jetzt auf der Straße parken will, braucht ein Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahresticket.
„Seitdem stellen viele Anwohner ihren Privatwagen nicht mehr auf der
Straße ab, sondern in der eigenen Garage oder auf einem Stellplatz auf
ihrem Grundstück“, sagt Martina Hertel. Leichter Platz zu schaffen, geht
kaum.
Mit Gebühren SUV-Trend stoppen
„Über die Anwohnerparkgebühren können die Städte langfristig auch die Zahl und die Art der Privatwagen regulieren, die in ihrer Stadt unterwegs sind“, sagt die Verkehrsforscherin. Aus ihrer Sicht ist das überfällig. „Die Autos werden mit jeder Generation größer, schwerer und PS-stärker“, sagt sie. Der Anteil der Neuzulassung von SUV lag im Jahr 2020 bei gut 21 Prozent. Bislang können ihre Besitzer sie fast überall im öffentlichen Raum abstellen. Damit sind sie privilegiert. Ein durchschnittliches Fahrzeug verbraucht rund zwölf Quadratmeter. So groß sind manche Kinderzimmer. Aber während Wohnraum immer teurer wird, bleibt Parken vielerorts kostenfrei. Freiburg versucht diesem Trend, der immer größer und schwerer werdenden Fahrzeuge, etwas entgegenzusetzen. Dort orientiert sich die Höhe der Parkgebühren seit April 2022 an der Fahrzeuggröße. Je größer der Wagen, umso teurer ist seitdem der Parkausweis für Anwohner. Der Durchschnittspreis liegt bei 360 Euro.
Mobilitätswende steht für Vielfalt
Der Druck auf die Autofahrerïnnen muss größer werden, das findet auch der Stadtbaurat von Osnabrück, Frank Otte. „Wir brauchen diese Kombination aus Push und Pull-Maßnahmen, um den Druck auf die Autofahrer zu erhöhen, damit sie umsteigen“, sagt er. Otte ist sich sicher: Die Menschen, die freiwillig vom Auto aufs Rad umsteigen, habe Osnabrück mit seinen Angeboten pro Fahrrad bereits erreicht. Aber die Zahl der Autos auf den Straßen wachse weiter. Otte und sein Team wollen mit einer Vielzahl von Maßnahmen den Richtungswechsel schaffen. Dazu gehört unter anderem, das Anwohnerparken zu bepreisen, Quartiersgaragen einzurichten und in Neubaugebieten den Bau neuer Parkplätze möglichst häufig durch Mobilitätskonzepte zu ersetzen.
Aber der Stadtbaurat verfolgt noch eine weitere Strategie: „Wir wollen die verschiedenen Zielgruppen direkt ansprechen und individuelle Lösungen anbieten“, sagt er. Dazu sprechen die Mobilitätsexpertïnnen in Einrichtungen und Unternehmen direkt mit den Arbeitgeberïnnen, um klimafreundliche Alternativen zum Privatwagen zu finden. „Natürlich wollen wir die Menschen in erster Linie aufs Rad bringen“, sagt Otte. Die Stadt sei fürs Radfahren prädestiniert. Vom Zentrum aus erreiche man alles, was man im Alltag brauche, in einem Fünf-Kilometer-Radius. „Aber die Menschen müssen verstehen, dass die Mobilitätswende vielfältig ist und nicht nur aus Radfahren besteht“, sagt Otte, „diese Entweder-oder-Schere muss raus aus den Köpfen.“
Unternehmen könnten ihren Mitarbeiterïnnen den Umstieg leicht machen, indem sie ihnen beispielsweise den Zugriff auf Sharing-Fahrzeuge sichern, Plattformen für Fahrgemeinschaften einrichten oder Fahrräder oder Jobtickets bezuschussen, sagt der Stadtbaurat. Mit dieser Strategie hofft er, dass Pendlerïnnen kurzfristig ihren Zweitwagen abschaffen und langfristig im Idealfall auch der Erstwagen. Geht es nach ihm, werden möglichst viele dieser Maßnahmen parallel in einem Viertel umgesetzt, damit die Vorteile der Mobilitätswende für die Anwohnerïnnen sichtbar werden.
„Das Auto aus den Städten zu vertreiben, ist kein Selbstzweck“, sagt Ensink. Die frei werdenden Flächen werden gebraucht, um mehr Rad- und Fußverkehr zu realisieren. Dabei geht es um deutlich mehr, als nur um mehr und sichere Wege für aktive Mobilität. Es müssen auch Flächen entsiegelt werden, damit die Zentren große Wassermassen aufnehmen können und es müssen Bäume und Sträucher gepflanzt werden, die im Sommer die Extremhitze mildern.
Die Zeit drängt. 1983 wurden erstmals Temperaturen über 40 Grad in Deutschland gemessen. Seitdem wächst die Zahl der extremen Hitzetage in unseren Städten stetig an. „Eine hohe Lebensqualität und gute Wege für Radfahrer und Fußgänger sind die Voraussetzung, um mehr nachhaltige Mobilität in unseren Städten umsetzen zu können und Autoverkehr zu vermeiden“, sagt Ensink. Er plädiert seit Jahren für das Konzept der 15-Minuten Stadt oder auch der Stadt der kurzen Wege. Das beinhaltet: Alles was man zum Leben braucht, kann man in 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad erreichen.
Was manchen Menschen auf den ersten Blick als Verzicht erscheint, ist für andere längst ein Synonym für hohe Lebensqualität. Etwa in Groningen. Dort wurden bereits in den 1980er-Jahren die Autos aus dem Zentrum verbannt und die Innenstadt in vier große Quartiere unterteilt. Besucherïnnen und Anwohnerïnnen dürfen seitdem mit ihrem Wagen zwar in ihr Wohnviertel hineinfahren, landen dort aber in einer Sackgasse. Durchfahrten in die angrenzenden Quartiere dürfen nur Radfahrerïnnen und Fußgängerïnnen. Dieser stadtplanerische Kniff führt dazu, dass Radfahrer schneller im nächsten Viertel ankommen als Autofahrerïnnen. „Das Konzept funktioniert auch in Großstädten", sagt Ensink. Sie brauchten dann allerdings mehrere Zentren. Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, baut Frankreichs Hauptstadt nach diesem Prinzip gerade um.
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