Stern hier von Volker Königkrämer 13.10.2022
MEDIA LITERACY INDEX
Der Media Litaracy Index zeigt, welche Länder am wenigsten für Fake News anfällig sind. Ganz oben rangieren Finnland und weitere Länder aus Skandinavien. Das hat Gründe.
Die Flüchtlingskrise, Corona, die Lügen von Donald Trump, der Klimawandel und jetzt Russlands Angriffskrieg in der Ukraine – allesamt Themen, die an den Tag gebracht haben, wie anfällig Gesellschaften für Desinformation und sogenannte Fake News sind.
Zuletzt irritierte eine repräsentative Befragung des internationalen Meinungsforschungsinstituts Ipsos für die US-Nachrichtenseite "Axios", die zeigte, wie sehr sich in den USA das Narrativ der "gestohlenen Wahl" inzwischen auch bei Demokraten festgesetzt hat. Inzwischen wittern nicht nur beinharte Trump-Anhänger generell Betrug durch die Gegenseite. Satte 25 Prozent der Demokraten antworteten auf die konkrete Frage "Sollte Ihre Partei nicht die Kontrolle über den Kongress gewinnen, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie Wahlbetrug dafür verantwortlich machen?", dass sie dann von Wahlbetrug ausgehen würden. Ein erschreckendes Indiz dafür, wie sehr die grundlegende Skepsis gegen demokratische Institutionen inzwischen in der Mitte der US-amerikanischen Gesellschaft angekommen ist.
Doch was sind die Gründe dafür? Sind die USA besonders anfällig für Verschwörungserzählungen und Desinformationen? Gibt es womöglich Länder, die besonders gefährdet – oder positiv gewendet – besonders widerstandsfähig gegen Fake News sind?
Mit dieser Frage beschäftigt sich das Open Society Institut im bulgarischen Sofia und veröffentlich seit 2017 in regelmäßigen Abständen den Media Literacy Index (Medienkompetenz-Index). Er beschreibt, kurz gesagt, das Potenzial der Gesellschaften einzelner Länder, den negativen Auswirkungen von Fake News und Fehlinformationen zu widerstehen. Nun liegt die Auswertung für 2022 vor.
Dem Index zufolge ist Finnland das Land mit der höchsten Medienkompetenz. Gefolgt von Norwegen und Dänemark. Ebenfalls vorn dabei: Estland, Schweden und Irland. Deutschland liegt auf Platz 11, die USA rangieren auf Rang 18. Schlusslichter sind Albanien (43.), Bosnien-Herzegowina (44.), Kosovo (45.), Nord-Mazedonien (46.) und Georgien (47.).
Erstellt wird die Rangliste anhand mehrerer Indikatoren, die sich auf in die Bereiche Freiheit der Medien, allgemeines Bildungsniveau, zwischenmenschliches Vertrauen in der Gesellschaft und die Nutzung neuer, (digitaler) Partizipationsinstrumente aufteilen und unterschiedlich gewichtet werden. Die höchste Gewichtung wird dabei dem Grad der Pressefreiheit und der allgemeinen Lesefähigkeit beigemessen.
Auffällig: In dem Ranking gibt es ein klar ersichtliches Gefälle von Nord nach Süd und von West nach Ost. Demnach haben die Länder in Nord- und Westeuropa ein höheres Widerstandspotenzial gegenüber Fake News, da sie über eine bessere Bildung, freiere Medien und ein größeres Vertrauen zwischen den Menschen verfügen.
Was macht Finnland richtig?
Mag man auch von der Methodik und den etwas holzschnittartigen Indikatoren nicht komplett überzeugt sein, liefert die Liste doch zumindest Anhaltspunkte für die Widerstandsfähigkeit gegen Verschwörungserzählungen und Desinformation. Irgendetwas müssen die skandinavischen Länder richtig machen, denn auch in den Auswertungen der Jahre zuvor rangierten sie auf den vorderen Plätzen.
Finnland etwa ist eine Gesellschaft, in der die Menschen der Regierung ein großes Vertrauen entgegenbringen. Laut einem OECD-Bericht vertrauen 71 Prozent der finnischen Bevölkerung ihrer Regierung, der OECD-Durchschnitt liegt nur bei 41 Prozent. Der Vertrauensvorschuss in Finnland erstreckt sich ebenfalls auf das Parlament, den öffentlichen Dienst und die Medien.
Eine Schlüsselrolle spielt in Finnland zudem das Bildungssystem, in dem seit langer Zeit auch Medienkompetenz hoch geschätzt wird. Der Lehrplan wurde beispielsweise erst im Jahr 2016 angepasst, um etwa gefälschte Informationen in sozialen Medien im Rahmen des US-Wahlkampfs besser zu erkennen. Zudem leistet sich Finnland eine "Nationale Notfallversorgungsagentur", die auch das Thema Fake News in den Blick nimmt. "Die Regierung arbeitet mit privaten Unternehmen und den Medien zusammen, um die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber Bedrohungen zu stärken und die Menschen auf alle Arten von Störungen vorzubereiten", sagt Markus Kokko, Head of Communications des "European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats".
Das in der Untersuchung auftretende regionale Gefälle besorgt auch den Autor der Studie, Martin Lessenski: "Es ist besorgniserregend, dass die Gesellschaften, die am anfälligsten für die Auswirkungen von Fake News sind, sich gleichzeitig am wenigsten um die Verbreitung und die Auswirkungen von Desinformation scheren." So seien etwa die Länder Osteuropas diejenigen, in denen eine hohe Anfälligkeit für Fake News bestehe, die Bürger sich aber gleichzeitig wenig Sorgen über die Verbreitung solcher Nachrichten machten. "Dies erhöht die Risiken im Zusammenhang mit Desinformation in diesen Ländern, insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, da ein Teil der Öffentlichkeit sich ihrer Anfälligkeit nicht bewusst ist oder sie einfach ignoriert."
Als Schlussfolgerung aus der Untersuchung deutet sich an, dass Fehlinformationen umso leichter erkannt werden, je höher das Bildungsniveau ist, und hier insbesondere die Medienkompetenzerziehung für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen. Doch die zu verbessern, ist ein langer und mühsamer Weg. Kurzfristig halten die Autoren deswegen auch regulatorische Maßnahmen – sprich Verbote – für erforderlich. Die Bekämpfung von Fake News, so ihr Fazit, wird auf absehbare Zeit eine Kombination aus öffentlichen Maßnahmen und Bürgeraktionen erfordern.
Quellen: BBC, Open Society Institute Sofia
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