Standard hier David Rennert 27. Oktober 2022
Der globale Ausstoß des potenten Treibhausgases nahm 2021 neuerlich zu. Fachleute warnen vor einem Teufelskreis – und kritisieren fehlende Gegenmaßnahmen
Die Konzentration von Methan in der Atmosphäre, jenem nach CO2 gefährlichsten Treibhausgas, ist 2021 erneut in einem Rekordtempo angestiegen. Nach Angaben der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in Genf sei für das Vorjahr der stärkste Methananstieg seit Beginn der systematischen Messungen 1983 zu verzeichnen. Aber auch Kohlendioxid und Lachgas erreichten neue Höchstwerte.
Die globale Durchschnittskonzentration von Methan (CH4) stieg nach WMO-Schätzungen 2021 um 18 parts per billion (ppb) auf 1.908 ppb, zu einem vergleichbaren Ergebnis kam schon im April die US-amerikanische Ozean- und Atmosphärenbehörde. Die heutige Methankonzentration in der Atmosphäre entspricht demnach 262 Prozent des Niveaus vor Beginn der Industrialisierung – und trägt beachtlich zum Klimawandel bei.
Kurzfristige Klimakurbel
Methan ist zwar ein viel kurzlebigeres Treibhausgas als CO2, aber kurzfristig rund 80-mal klimaschädlicher. Die Daten der vergangenen Jahre zeigen, dass sich die Zunahme der Methankonzentration in der Atmosphäre nach einigen stabilen Jahren rund um die Jahrtausendwende beschleunigt. Weshalb genau, ist nicht vollständig geklärt.
Das Gas entsteht im Prinzip überall, wo Biomasse unter Luftabschluss verrottet. Für die Freisetzung sind sowohl natürliche Prozesse als auch menschliche Aktivitäten verantwortlich: CH4 entweicht aus Sümpfen, Feuchtgebieten und tauenden Permafrostböden. Noch stärker fallen aber die Landwirtschaft, die Nutzung fossiler Brennstoffe und Mülldeponien ins Gewicht, rund 60 Prozent der Emissionen gehen Schätzungen zufolge auf den Menschen zurück.
Jüngste Studien zeigen, dass der Methanausstoß der Gas-, Öl- und Kohleindustrie bisher deutlich unterschätzt wurde. Ob sich der aktuelle Anstieg allein damit erklären lässt, ist aber umstritten. Denn die steigenden globalen Temperaturen kurbeln auch natürliche Prozesse an: In wärmeren Feuchtgebieten wird organisches Material schneller abgebaut, aus tauenden Permafrostböden entweicht mehr Gas.
Gefährliche Kipppunkte
Fachleute warnen, dass es in Permafrostregionen, in denen gigantische Mengen an Kohlenstoff lagern, zu einem Teufelskreis kommen könnte: Wenn mehr Treibhausgase aus den Böden entweichen, weil es wärmer wird, heizen diese den Klimawandel weiter an und beschleunigen den Emissionsausstoß zusätzlich.
In Sibirien dürfte derzeit aber noch ein anderer Prozess für die Emissionszunahme verantwortlich sein, berichtet ein deutsches Forschungsteam in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Nature". Demnach stieg der Methanausstoß aus der frühsommerlichen Tundra seit 2004 um etwa zwei Prozent jährlich. Die Ursache dürfte aber bisher nicht ein massives Auftauen der Böden sein, sondern die erhöhten Lufttemperaturen: Die wärmere Luft kurbelt das Pflanzenwachstum an, durch die verstärkte Durchwurzelung des Bodens und die Zunahme biochemischer Prozesse gelangt mehr Methan in die Luft.
In der globalen Methanbilanz würden die arktischen Permafrostgebiete derzeit noch eine kleine Rolle spielen, sagte Studienleiter Lars Kutzbach von der Universität Hamburg. Etwa drei Prozent der atmosphärischen Belastung stammten aus dieser Region, viel weniger als etwas aus der Landwirtschaft. Allerdings sei es schwierig, die Emissionen genau zu beziffern. "Um so wichtiger ist es, dass wir über lange Datenreihen zu verlässlichen Aussagen kommen, die wir dann mit den Modellen vergleichen können", sagte Kutzbach.
120 Millionen Tonnen aus fossiler Industrie
Einigkeit besteht unter Fachleuten, dass eine Eindämmung des Methanausstoßes nicht nur schnell und vergleichsweise einfach machbar wäre, sondern auch eine rasche Wirkung auf das Klima hätte: Während freigesetztes CO2 das Klima über Jahrhunderte hinweg beeinflusst, ist CH4 schon nach weniger als zehn Jahren wieder verschwunden. Einsparungen wären vor allem in der Landwirtschaft und der fossilen Industrie dringend geboten.
Die Gaslecks der beiden Nord-Stream-Pipelines, aus denen nach mutmaßlichen Sabotageaktionen Ende September schätzungsweise 300.000 Tonnen Methan austraten, halfen nicht gerade dabei, die Emissionen 2022 zu drücken. Sie machen aber nur einen Bruchteil des Methanausstoßes aus, der jährlich durch Förderung, Verarbeitung, Transport und Nutzung von Gas, Öl und Kohle entweicht: Forschende gehen von mindestens 120 Millionen Tonnen Methan aus.
Schwache Umsetzung
Trotz jüngerer politischer Bekenntnisse zu einer Reduktion des gefährlichen Klimagases fehlt es an effektiven Maßnahmen. Zwar schlossen sich anlässlich der Weltklimakonferenz 2021 in Glasgow 111 Länder dem sogenannten Global Methane Pledge an, einer Initiative der EU und der USA zur Senkung der Methanemissionen um mindestens 30 Prozent bis zum Jahr 2030. Die Zusage von Großemittenten wie China, Indien und Russland blieb aber aus.
Und schon jetzt ist auch die EU auf dem Weg, die eigenen Zielvorgaben deutlich zu unterschreiten, wie aus einem internen Dokument der Europäischen Kommission hervorgeht, das dem US-Medienunternehmen "Bloomberg" Anfang Oktober zugespielt wurde. Ohne strengere Regulierungen im Agrarsektor sei derzeit von einer Reduktion um nur 23 Prozent bis 2030 auszugehen, heißt es darin.
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