Freitag, 21. Oktober 2022

Sind wir zu verwöhnt?

20.10.2022  |  Kommentar von VON ALEXANDER MICHEL alexander.michel@suedkurier.de 

ENERGIEKRISE   

..Wenn wir also überlegen, was in diesem Versorgungsstaat in die falsche Richtung läuft und wie viel auf Kosten heranwachsender Generationen aufgewendet wird, um auch noch die letzte vermeintliche Gerechtigkeitslücke zu stopfen, dann dürfen wir uns nicht bei Pullovern aufhalten. Vielmehr steht die Frage im Raum, „ob es immer so weitergeht“, wie uns Schäuble ins Listenheft schreibt. Sie ist berechtigt, kommt aber viel zu spät. Oder andersherum: Sie wurde schon nach dem Ölpreisschock 1973 gestellt – aber, wenn wir ehrlich sind, nie beantwortet.

Grund: Der Mensch geht Kurswechseln aus dem Weg, wenn sie ihn selbst betreffen. Er verhält sich träge wie ein Supertanker, der Kilometer geradeaus fährt, bis eine Richtungsänderung eintritt. Die Politik wiederum – die nächsten Wahlen im Blick – hat schon gar kein Interesse daran, den Bürgern trocken Brot vorzuschreiben, wenn man weiter am Büfett reinhauen kann. So wurden unsere Autos immer dicker, die Straßen immer breiter, die Eigenheime immer zahlreicher und die damit einhergehende kollektive Anspruchswelle immer höher.

Vater Staat soll es richten. Daher wird aus der von Schäuble und Kretschmann verkündeten neuen Beschränkung aufs einfache Leben nichts werden. Man duscht vielleicht ein wenig kürzer als bisher, dreht die Heizung nicht ganz so hoch und drückt auf der Autobahn das Gas vielleicht nicht ganz so tief durch. Die Tendenz ist klar: Erst mal gemütlich weitermachen wie bisher. Wird schon alles nicht so schlimm werden! Der Ukraine-Krieg ist Gott sei Dank weit weg, und die Flüchtlinge kommen schon irgendwie unter bei uns.

Sind wir also verwöhnt? Nein. Wir scheinen uns vielmehr tiefenentspannt durch die Krise chillen zu wollen. Nicht mal ein Tempolimit auf Autobahnen testweise haben sich die Berliner Krisenbetreuer abringen können.

Was ist also – wie man so schön heroisch sagt – das Gebot der Stunde? Nicht warten, bis ein Minister etwas empfiehlt, sondern selber handeln. Einen Anfang machen – und sich besser dabei fühlen. Wie sagt unser Dichterfürst Goethe? „In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.“

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