Montag, 24. Oktober 2022

Endlich: Deutschland bereitet Ausstieg aus Energiecharta vor

Grundlagen-Info zur Energiecharta, die schon hier im Blog veröffentlicht wurden: hier

hier  20. Oktober 2022 Von Nico Schmidt

Deutschland bereitet den Ausstieg aus dem umstrittenen Energiechartavertrag vor.
Das bestätigte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums im Gespräch mit Investigate Europe. Ein entsprechender Vorstoß des Ministeriums befinde sich momentan in der Ressortabstimmung. Diese solle in den kommenden Wochen abgeschlossen werden – spätestens aber bis Ende November, wenn die Vertragsparteien über die Annahme der modernisierten Energiecharta entscheiden werden. Deutschland würde damit Polen, Spanien und den Niederlanden folgen, die in den vergangenen Tagen ankündigten das Abkommen zu verlassen.

Über die Recherche: Energiecharta-Vertrag

Der kaum bekannte Energiecharta-Vertrag (ECT) erlaubt es Investoren EU-Staaten auf Milliardenentschädigungen zu verklagen, wenn diese notwendige Klimagesetze erlassen. Das könnte den Kampf gegen die Klimakrise entscheidend verzögern. 

Der Energiechartavertrag ist ein kaum bekanntes Investitionsschutzabkommen. Anfang der Neunzigerjahre unterschrieben alle EU-Staaten darunter auch Deutschland das Abkommen, um Investitionen in den ehemaligen Sowjetstaaten abzusichern. Mittlerweile haben 55 Vertragsparteien den Vertrag unterzeichnet. Doch wie Recherchen von Investigate Europe im vergangenen Jahr zeigten, hat das Abkommen mehrere Probleme.

Der Vertrag ist einseitig, nur Unternehmen können Staaten verklagen.
Zudem ist der Vertragstext vage formuliert. Investoren können klagen, wenn sie sich „unfair“ behandelt fühlen. Allein in Europa schützt der Vertrag nach Recherchen von Investigate Europe fossile Infrastruktur im Wert von 344,6 Milliarden Euro. In den vergangenen Jahren nutzten Investoren den Vertrag bereits, um EU-Staaten einzuschüchtern und Entschädigungen in Milliardenhöhe zu fordern. Die französische Regierung schwächte so etwa präventiv ein Klimagesetz ab, dass die Förderung fossiler Energieträger verbieten sollte. Der deutsche Energiekonzern RWE verklagte die Niederlande unlängst auf 1,4 Milliarden Euro, weil das Land seinen Kohleausstieg vorzog.

In den vergangenen fünf Jahren hatte die EU-Kommission sich deshalb dafür eingesetzt, den Vertrag zu reformieren. Dieser Prozess wurde im Juni dieses Jahres abgeschlossen. Die Kommission hat das Abkommen als Erfolg gefeiert und behauptet, dass sie ihr „Mandat erfüllt“ und „den ECT mit dem Pariser Abkommen und [den] Umweltzielen [der EU] in Einklang“ gebracht habe. Doch das sehen viele Mitgliedstaaten anders.

„Der Auftrag an die Europäischen Kommission lautete, den Energiechartavertrag in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu bringen“, sagte der niederländische Energieminister Rob Jetten am Dienstag vor dem Parlament in Den Haag. Trotz vieler Fortschritte in den Verhandlungen, sei das Abkommen „nicht ausreichend mit dem Pariser Abkommen in Einklang“ gebracht worden. Deshalb würden die Niederlande das Abkommen verlassen.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Politico berichtet, dass Spanien aus dem Energiechartavertrag aussteigen werde. In Polen hatte die Regierung im August einen Gesetzesentwurf zur „Beendigung des Energiechartavertrags“ auf den Weg gebracht. Ihren Vorstoß begründete sie unter anderem damit, dass ein Ausstieg aus dem Vertrag „das Potenzial hat die finanzielle Belastung des Staates deutlich zu reduzieren“. Anfang Oktober stimmten 418 der 460 Mitglieder des polnischen Parlaments für den Gesetzesentwurf. Er muss nun noch den Senat des Landes passieren.

Neben den Polen, Spanien, den Niederlanden und nun bald eventuell Deutschland könnten weitere Mitgliedstaaten zeitnah den Energiechartavertrag verlassen. In Brüssel stimmen die EU-Mitgliedstaaten ihr Vorgehen in der Ratsarbeitsgruppe Energie ab. Laut den Notizen eines anwesenden Diplomaten äußerte ein französischer Vertreter Anfang Oktober, dass Frankreich „die Ergebnisse der Modernisierung für nicht ausreichend erachte“. Dies betreffe vor allem „die Anpassung an das Pariser Abkommen“. Im schlechtesten Falle würden bestehende Investitionen in fossile Energieträger weiterhin bis 2040 geschützt.

Doch auch wenn nun mehrere Mitgliedstaaten aus dem Abkommen aussteigen, werden sie den Energiechartavertrag nicht so einfach los. Denn die Autoren des Vertrags sorgten für diesen Fall vor. In Artikel 47 des Vertrags legten sie Anfang der Neunzigerjahre fest, dass falls ein Staat den Vertrag verlasse die „Bestimmungen dieses Vertrags über einen Zeitraum von 20 Jahren weiter“ gelten. So verklagte der britische Öl-Konzern Rockhopper Italien, weil das Land im Zuge der Klimakrise Ölbohrungen verboten hatte. Italien hatte den Vertrag als erster EU-Staat bereits 2016 verlassen. Dennoch urteilten Schiedsrichter im August dieses Jahres, dass Italien Rockhopper mit 190 Millionen Euro plus Zinsen entschädigen muss. Der Konzern hatte in seine Bohrungen nur 25 Millionen Euro investiert.


euractive.de  hier
Von: Paul Messad | EURACTIV.fr | übersetzt von Martin Herrera Witzel 20. Okt. 2022 

Klimarat: Frankreich muss aus Energiecharta-Vertrag austreten

Frankreichs Hoher Rat für das Klima hat Paris und die EU aufgefordert, dem Beispiel der Niederlande und Spaniens zu folgen und aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) auszutreten. 

Der ECT ist ein internationales Abkommen, das in den 1990er Jahren unterzeichnet wurde, um Investitionen in die Energieinfrastruktur der ehemaligen Sowjetstaaten zu schützen.
In den letzten Jahren wurde er jedoch von Unternehmen für fossile und erneuerbare Energien genutzt, um Regierungen wegen regulatorischer Änderungen zu verklagen, die ihre Investitionsrenditen gefährden.
Der Vertrag wird nun infrage gestellt, weil er größtenteils nur noch die Interessen der fossilen Brennstoffunternehmen fördert.

EU-Mitgliedstaaten sind oft zwischen ihren rechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des ECT und ihrer Dekarbonisierungsverpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens zum Klimawandel gespalten.
Den französischen Expert:innen zufolge würde „nur ein Austritt aus dem ECT […] es ermöglichen, die Unvereinbarkeit des Vertrages mit den Dekarbonisierungszielen für 2030 zu beseitigen“, wenn nicht sogar für 2050.

Nach Spanien in der vergangenen Woche haben auch die Niederlande am Dienstag (19. Oktober) ihre Absicht bekundet, unter Berufung auf ihre Klimaverpflichtungen einseitig aus dem ECT auszutreten.

Investitionen in fossile Brennstoffe

Die Europäische Kommission, die im Namen der 27 EU-Mitgliedstaaten verhandelt hat, hat die vorgeschlagene Überarbeitung des ECT verteidigt und erklärt, dass sie den Schutz für neue Investitionen in fossile Brennstoffe ab dem 15. August 2023 beenden und einen 10-jährigen Ausstiegszeitraum für bestehende fossile Infrastruktur einführen wird.

Aber die Bedingungen und Ausnahmen machen die Dekarbonisierungsagenda der EU „unvereinbar“ mit den Zielen des Vertrages, argumentiert der HCC.
„In keinem der möglichen Szenarien […] werden die Unterzeichnerparteien in der Lage sein, sich bis 2030 zu einem Dekarbonisierungspfad für ihre Energiesektoren zu verpflichten, der den Ambitionen des Pariser Abkommens entspricht“, so der HCC.

Zum einen, weil die bestehenden Investitionen noch zehn Jahre lang geschützt wären, während die Kohlenstoffneutralität im Jahr 2050 eine Dekarbonisierung des Energiesektors ab 2035 erfordert.

Und zweitens wegen einer „Sunset-Klausel“, die in der aktuellen Version des Abkommens bestehende und zukünftige Investitionen in fossile Brennstoffe bis 2043 schützt, sollte eine Vertragspartei aus dem Abkommen aussteigen.

Europäer in Aufruhr

Mehrere Länder haben sich bereits aus dem Vertrag zurückgezogen. Nach Italien im Jahr 2016, ist auch Australien im vergangenen Dezember ausgetreten.

Im Mai äußerten Deutschland, die Niederlande, Polen und Spanien Zweifel an der Fähigkeit der EU, den Vertrag mit dem Pariser Abkommen in Einklang zu bringen, und forderten die Europäische Kommission auf, sich rechtzeitig auf „mögliche Ausstiegsszenarien“ vorzubereiten.

„Das Mandat der Europäischen Kommission war es, den ECT mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang zu bringen“, sagte der niederländische Energieminister Rob Jetten am Dienstag vor dem Parlament.„Trotz der vielen Modernisierungen, die verhandelt werden, sehen wir nicht, dass der ECT ausreichend an das Pariser Abkommen angepasst wurde“.

Ein Regierungssprecher der Niederlande bestätigte den Rückzug und forderte „die gesamte EU“ auf, dasselbe zu tun, ebenso wie die französische Europaabgeordnete Marie-Pierre Vedrenne, die in der gleichen Partei wie der französische Präsident Emmanuel Macron im Europäischen Parlament sitzt.

„Die Niederlande haben Recht. Lassen Sie uns auf einen koordinierten Ausstieg aus dem Vertrag über die Energiecharta hinarbeiten“, sagte Vedrenne, die als Vizepräsidentin des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments tätig ist.

Für die Staaten, die den Vertrag beibehalten wollen, empfiehlt das HCC, zumindest die „Sunset-Klausel“ zu „neutralisieren“, indem ein koordinierter Ausstieg vereinbart wird, argumentierte Vedrenne auf Twitter.

Niederlande treten nach Spanien auch aus Energiecharta-Vertrag aus

Die Niederlande werden aus dem Vertrag über die Energiecharta (ECT) austreten, der in die Kritik geraten war, weil er Investitionen im Öl- und Gassektor absichert, so das Energieministerium des Landes am Mittwoch (19. Oktober).


Euractive  hier
Von: Frédéric Simon | EURACTIV.com | übersetzt von Helena Borst  17. Mai 2022

Europa kommt dem Ausstieg aus dem Energiechartavertrag näher

Mehrere EU-Länder sind angesichts der langsamen Reform des Energiechartavertrags (ECT) ungeduldig. Der ECT behindert der laut Kritiker:innen die internationalen Bemühungen um den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen.

Deutschland, die Niederlande, Polen und Spanien sind von den Versuchen, den ECT zu reformieren, frustriert und bezweifeln, dass die EU ihr Mandat erfüllen kann, den Vertrag mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel in Einklang zu bringen.Die vier Länder haben die Europäische Kommission, die im Namen der 27 EU-Mitgliedstaaten verhandelt, aufgefordert, zu prüfen, wie ein koordinierter Austritt gemäß den EU-Verfahren eingeleitet werden könnte, und sich rechtzeitig auf „mögliche Ausstiegsszenarien“ vorzubereiten, wie aus den durchgesickerten Berichten hervorgeht, die EURACTIV vorliegen.

„Spanien machte auch deutlich, dass es ein Ausstiegsszenario in Betracht ziehen würde, da es nicht sehe, wie der Energiechartavertrag an das Pariser Abkommen angepasst werden könne“, heißt es in den Dokumenten, die aus einer nicht näher bezeichneten europäischen Sprache ins Englische übersetzt wurden.

Japan behindert die Gespräche nach wie vor erheblich und hat „Rückschritte bei der Definition von Investitionen und nachhaltiger Entwicklung“ gemacht, die rechtliche Eckpfeiler der Vertragsarchitektur darstellen, heißt es dort.

Gemeinsam mit Aserbaidschan lehnt Tokio auch den Verweis auf Arbeitnehmerrechte im reformierten Vertrag ab und widersetzt sich Änderungen an der Definition des Begriffs „wirtschaftliche Tätigkeit“ – dem umstrittensten Aspekt.

Die EU beabsichtigt, den Investitionsschutz für fossile Brennstoffe schrittweise abzubauen.

Der 1994 zum Schutz grenzüberschreitender Investitionen im Energiesektor unterzeichnete Vertrag über die Energiecharta sieht sich zunehmender Kritik von Umweltgruppen und Regierungen ausgesetzt, die behaupten, er behindere den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen.

Das Abkommen ist umstritten, weil es ausländischen Investor:innen die Möglichkeit gibt, von Regierungen eine finanzielle Entschädigung zu fordern, wenn sich Änderungen in der Energiepolitik negativ auf ihre Investitionen auswirken.

So haben die Energieversorger RWE und Uniper das Abkommen genutzt, um die niederländische Regierung wegen des geplanten Kohleausstiegs zu verklagen. Auch der deutsche Energiekonzern Vattenfall hat schon mit Berufung auf den ECT geklagt.

Die Gespräche zur Reform des Abkommens begannen im Juli 2020, haben aber bisher kaum Fortschritte erzielt. Eine Reform der Charta ist schwierig, da sie Einstimmigkeit unter den mehr als 50 Unterzeichnern erfordert, zu denen fast alle EU-Länder und die Europäische Union als internationale Organisation gehören.

Frankreich und Spanien zählen zu den größten Befürwortern radikaler Reformen und forderten die EU-Länder auf, gemeinsam auszusteigen, wenn die Verhandlungen bis Ende 2021 keine Fortschritte bringen.

Doch obwohl die letzte Verhandlungsrunde die Atmosphäre verbesserte, „blieb die Diskussion schwierig, und die Fortschritte waren geringer als die Europäische Kommission erhofft hatte“, heißt es in den geleakten Dokumenten.
Die EU-Exekutive versucht nun, einen bilateralen Kompromiss mit Japan zu schmieden, der einen 15-jährigen Ausstiegszeitraum für bestehende Investitionen vorsieht.

Die Kommission hofft, dass die anderen Vertragsparteien diesen Vereinbarungen folgen und am 24. Juni auf einer Ad-hoc-Energiechartakonferenz in Brüssel eine politische Einigung erzielen können. Der Konferenz soll am 23. Juni eine eintägige Sitzung der Arbeitsgruppe für die Anpassung des Vertrags vorausgehen, in der Meinungsverschiedenheiten in letzter Minute ausgeräumt werden könnten.

Umweltschützer:innen erhöhen unterdessen den Druck auf die Kommission, indem sie im Laufe des Tages in Brüssel am Schumann-Kreisel im Herzen des Europaviertels protestieren wollen.
„Der Klimakiller ECT kann niemals mit dem Pariser Abkommen und dem europäischen Green Deal in Einklang gebracht werden“, sagte Paul de Clerck, ein Aktivist bei Friends of the Earth Europe.

Er prangerte den zaghaften Kompromiss an, der mit Japan ausgehandelt wurde und sagte: „Die erwartete Einigung wird den Schutz von Investitionen in fossile Brennstoffe um mindestens ein weiteres Jahrzehnt verlängern, was mit dem Pariser Abkommen unvereinbar ist.“
„Die einzige vernünftige Option für die EU und ihre Mitgliedstaaten, um ihrer Klimaverantwortung gerecht zu werden, ist der Rückzug aus diesem toxischen ECT.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen