hier Heise 02.10.2022 Christiane Schulzki-Haddouti
Digitalisierung kann Umwelt- und Klimaschutz voranbringen. In Landwirtschaft und Ernährung könnten neue Praktiken die Wende voranbringen, zeigt "Bits & Bäume".
Wie Digitalisierung nachhaltig gestaltet werden kann und wie Nachhaltigkeit mit Digitalisierung vorangebracht wird – das ist das Thema der Konferenz „Bits & Bäume“ an diesem Wochenende in Berlin. Lange Zeit war der Strom- und Ressourcenbedarf der Digitalisierung der Elefant im Raum, über den in der netzpolitischen Debatte kein Wort verloren wurde. Spätestens seitdem der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung 2019 dazu ein Hauptgutachten vorlegte, ist das Thema jedoch auf dem Tisch: Wie kann der notwendige Ausbau der digitalen Infrastrukturen mit Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität in Einklang gebracht werden?
Tech-Konzerne verfehlen 1,5-Grad-Ziel
Kurs auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommen hat die Internetbranche trotz vieler Beteuerungen noch nicht gesetzt. Betrachtet man allein die Unternehmen Google, Apple, Microsoft, Amazon und Deutsche Telekom zusammen, würde sich das Klima bis 2100 um 4,1 Grad Celsius erwärmen, wenn die gesamte Welt die gleiche Klima-Performance wie diese fünf Unternehmen hätte. Diesen Befund teilte das Frankfurter Start-up-Unternehmen "right.based on science" auf Nachfrage von heise online mit. Das Start-up rechnet auf Basis der Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen deren Wirtschaftstätigkeit in eine Klimakennzahl um. In diesem Fall ist das Ausgangsjahr der Berechnung 2019 und Klimaziele, zu denen die Unternehmen sich bekannt haben, noch nicht berücksichtigt.
Selbst wenn man die aktuellsten Nachhaltigkeitsberichte der Tech-Unternehmen berücksichtigt, sieht der Befund aber kaum anders aus. Laut dem Bericht „Digital Reset“ , den Forscher der TU Berlin, Universität Zürich und University of Sheffield zur Bits&Bäume-Konferenz vorstellten, tragen die Tech-Konzerne nicht zur Lösung der Klimakrise bei, sondern beschleunigen sie noch.
So zeigt eine Analyse der Energieverbrauchs-Statistiken und Umsatzstatistiken von Meta und Alphabet, dass Umsatz und Energieverbrauch trotz massiver Effizienzsteigerungen in den Rechenzentren überdurchschnittlich stark um 6 bis 7 Prozent jährlich ansteigen.
Tilman Santarius von der TU Berlin: „Diese Unternehmen gerieren sich häufig als Nachhaltigkeitsvorreiter, aber die meisten klimapolitischen Strategien sind nicht ausreichend, um das 1,5-Ziel zu gewährleisten.“ Generell reiche es nicht aus, den Strom für die Datenzentren aus erneuerbaren Energien bereitzustellen, betont Santarius, denn aufseiten der Nutzung der bereitgestellten Dienstleistungen müsse auch eine Reduktion erfolgen.
Rechenzentren auf dem Weg zur Klimaneutralität
„Die Rechenzentren werden stärker in den Fokus der Klimaschutzregulierung rücken", ist sich Jens Gröger vom Öko-Institut sicher. Der aktuelle Entwurf für das Energieeffizienzgesetz sieht ein öffentliches Register für Rechenzentren vor, in dem sich Rechenzentren ab einer gewissen Größe eintragen müssen. Hier dokumentieren sie Kennzahlen zur Verfügbarkeit und ihrer Energieeffizienz. So erfahren Regulierungsbehörden, wo Großverbraucher sitzen und wie viel sie verbrauchen, damit sie bei der Planung des Netzausbaus berücksichtigt werden können. So werden derzeit die Stromnetzkapazitäten im Raum Frankfurt am Main knapp, weil sich dort immer mehr Rechenzentren ansiedeln.
Gleichzeitig ist das geplante Register Grundlage für ein Rechenzentren-Benchmarking. Unternehmen und die öffentliche Hand können nachsehen, welches Rechenzentrum in der Nähe ist oder welches die beste Energieeffizienz vorweist. Für Jens Gröger ist der Aufbau des Registers ein wichtiger Schritt: „Wir brauchen hier mehr Transparenz." Den Weg dahin hat auf europäischer Ebene bereits die EU-Kommission mit ihrer Absichtserklärung vorgezeichnet, dass Rechenzentren bis 2030 klimaneutral arbeiten müssen – wozu eine Umstellung auf Ökostrom nicht ausreichen wird. Das Energieeffizienzgesetz sieht etwa Informationspflichten zur Wärmeauskopplung und zur Beratung von IT-Betreibern innerhalb eines Rechenzentrums vor.
Software ressourceneffizient gestalten und nutzen
Zum Thema Energieeffizienz gehört auch die Frage, wie der Energieverbrauch von Software gemessen werden kann. Jens Gröger hat in dem Forschungsprojekt „Entwicklung und Anwendung von Bewertungsgrundlagen für ressourceneffiziente Software unter Berücksichtigung bestehender Methodik“ gemeinsam mit Forschern der Hochschule Trier und der Uni Zürich bereits 2018 gezeigt, dass verschiedene Software mit vergleichbarer Aufgabe im Energie- und Ressourcenverbrauch erheblich unterscheiden kann. Im Vergleich von zwei Textverarbeitungsprogrammen stellte sich heraus, dass das eine fast viermal so viel Energie verbrauchte wie das andere. Bei Browsern unterschied sich der Energieverbrauch um den Faktor von 2,7.
Diese Untersuchung bildete die Grundlage für die Entwicklung eines „Blauen Engel" für Software, der in diesem Jahr erstmalig vergeben wurde, nämlich an das KDE-Projekt Okular. „Softwareentwickler werden sich verstärkt darüber bewusst, dass Software zum Energieverbrauch beiträgt", sagt Gröger: „Das ist in der Szene angekommen."
Im neuen Firefox-Release 104 ist als integriertes Browser-Werkzeug ein Energiemessgerät enthalten. Damit kann überprüft werden, wie sich der Energieverbrauch durch neue Releases und Komponenten verändert. Außerdem kann gemessen werden, wie viel Energie auf dem lokalen Gerät durch das Laden von Websites verbraucht wird.
Energieverbrauch in der Nutzung reduzieren
Energieeffizienz-Experte Jens Gröger zeigt sich zuversichtlich: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Apple, Microsoft ähnliche Werkzeuge in ihren Softwareprodukten einführen, um einen stärken Blick auf den Energieverbrauch von Software zu legen." Spätestens dann können private Nutzer:innen selbst beurteilen, welche Software am energieeffizientesten arbeitet.
Die Wahl der Software ist das eine, aber auch die Wahl der Hardware entscheidet über den privaten digitalen Energieverbrauch. Wie Gröger in einer früheren Untersuchung zu „Green Cloud Computing“ zeigte, ist der Energieverbrauch in den Rechenzentren relativ gering.
Eine wesentliche Rolle spielen hier die Endgeräte in den Haushalten: So ist etwa die Teilnahme an einer Videokonferenz mit einem Laptop mit Treibhausgasemissionen von 55 Gramm CO₂-Äquivalenten pro Stunde verbunden. Mit einem Desktop-PC mit Monitor sind es 90 Gramm. Findet die Teilnahme vor einem großen Videomonitor statt, ist dies mit Treibhausgasemissionen von 295 Gramm CO₂-Äquivalenten pro Stunde verbunden – kurzum: Je kleiner das Display, desto weniger Energie wird verbraucht. Zusätzlich können Nutzer:innen die Auflösung der Videoübertragung reduzieren und die Autoplay-Funktion deaktivieren, um den Energieverbrauch zu drosseln.
Kinderarbeit im Notebook
EU-Kommission und EU-Parlament arbeiten derzeit darauf hin, bestimmte sozialökologische Standards über die Kontrolle von Lieferketten weltweit zu verankern. Dazu gehört etwa die vom Europäische Parlament Mitte September verabschiedete Verordnung über entwaldungsfreie Produkte sowie die von der EU-Kommission ebenfalls Mitte September vorgelegte Vorschlag, den Import von Produkten zu verbieten, die auf Zwangsarbeit sowie erzwungener Kinderarbeit basieren. Außerdem arbeitet die EU-Kommission an einer horizontalen Lieferkettenregulierung, die für Unternehmen mit weiteren Überprüfungspflichten verbunden sein werden.
Wie der Anteil von Kinderarbeit von IT-Hardware heute bereits ohne konkreten Einblick in die Lieferkette eines Unternehmens geschätzt werden kann, hat Sebastian Jekutsch vom Verein FairLötet e. V. im Projekt untersucht. Woher die Unternehmen welche Bauteile beziehen, unterliegt in der Regel dem Betriebsgeheimnis. Deshalb muss dazu eine Untersuchung ohne die Angaben der Unternehmen auskommen. Die Lösung: „Wir betreiben eine Wahrscheinlichkeitseinschätzung auf Basis öffentlicher Daten“, erklärt Jekutsch, „insbesondere haben wir nicht die tatsächlichen Einkaufpraktiken der Bauteilhersteller betrachtet, deren Lieferketten auch auf Nachfrage nicht verraten werden.“ Im Ergebnis zeigte sich, dass zwei Prozent Kinderarbeit in einem Notebook stecken können.
Die Schätzung basiert auf der Menge Bauteile und ihrer Materialien in einem beispielhaften Open-Hardware-Laptop. Welche Rohstoffe für bestimmte Bauteile oder Materialien verwendet wurden, geht aus den in einer Life-Cycle-Assessment-Datenbank dokumentierten Prozessen hervor. In die Auswertung wird überdies die statistische Herkunft dieser Rohstoffe einbezogen, die auf Informationen von Bergbaubehörden basieren. Zusätzlich werden die sozialen Risiken in den Herkunftsländern einbezogen – basierend auf Angaben zur Kinderarbeit seitens Unicef, der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und der Weltbank.
Elektronik-Design orientiert sich an Menschenrechten
Der Verein FairLötet habe auf diese Weise einen ersten Hinweis auf Hotspots und Größenordnungen bekommen, sagt Jekutsch. Letztlich gehe es darum, Design-Entscheidungen daraufhin anzupassen, dass die Wahrscheinlichkeit sozialer Risiken sinkt. Das für das „menschenrechtsorientierte Elektronik-Design“ benutzte und vom Verein in ehrenamtlicher Arbeit entwickelte Werkzeug Fairtronics kann frei verwendet werden. Der Verein will damit Bastlern, Makern und Kleinunternehmen die nötige Unterstützung bieten.
Der Verein will „damit einen einfachen und freien Einstieg in eine Rohstoffsorgfaltspflicht für Hersteller elektronischer Geräte ermöglichen“, erklärt Jekutsch – frei nach der Art: „Bauplan rein, Sozialbilanz raus“. Hardware-Hersteller sollten transparenter werden – am besten mittels eines Transparenz-Index, indem veröffentlicht wird, wo was herkommt. Allein das Herkunftsland wie „China“ zu kennen, genüge mit Blick auf die Zwangsarbeitslager in Xinjang nicht – man müsse schon den Standort kennen.
Der Verein unterstützt im Rahmen seines „Faires Kupfer“-Projekts das Unternehmen Syllucid, für dessen USB-Kabel Kupfer aus einer möglichst fairen Quelle zu beziehen. In Kooperation mit der Firma Stannol hatte der Verein einen Lötdraht mit gesichertem Recyclingzinn entwickelt.
Commoning-Muster in digitalen Werkzeuge abbilden
Klassische netzpolitische Konfliktthemen wie Monopolisierung und Commons, Zentralisierung und Dezentralisierung, proprietäre und offene Daten, Datenschutz und IT-Sicherheit, die in den vergangenen 25 Jahren der Digitalisierung intensiv diskutiert wurden, werden auch in klimapolitischen Sektoren wie Verkehr und Energie, Landwirtschaft und Ernährung oder Themen wie Kreislaufwirtschaft aufschlagen und erneut durchdekliniert werden.
Die urheberrechtliche Regelungen von „Creative Commons“ beispielsweise haben weltweit die Verwendung von urheberrechtlich geschützten Materialien deutlich vorangebracht. Commoning-Prinzipien sind jedoch grundsätzlich in allen Bereichen anwendbar, in denen Menschen kooperieren. Das Projekt „Global Commoning System“ konzipiert und entwickelt digitale Werkzeuge, die über effiziente Kooperationsstrukturen ein Aushandeln über materielle Dinge verschiedenster Art „auf Augenhöhe“ ermöglichen sollen, wie Marcus Meindel sagt, der im Projekt für die Konzeption verantwortlich ist.
Das Projekt basiert auf den Grundlagenarbeiten von Commons-Forscherinnen wie Silke Helfrich und David Bollier und soll „neue Beziehungsformen“ aufbauen, aus denen eine „post-kapitalistische und nachhaltige Gesellschaft“ entstehen kann. Bisher spielen sich die meisten Commoning-Beziehungen im analogen Raum ab und zeigen typische Interaktionsmuster auf. Unterstützt wird das Projekt unter anderem vom Schweizer Konsumentenschutz.
Die Entwicklung Freier Software hat gezeigt, wie erfolgreich Commoning-Prozesse sein können. Digitale Tools, die gezielt Commoning-Praktiken außerhalb der digitalen Welt unterstützen, gibt es jedoch bisher nur ansatzweise. Dazu gehört beispielsweise Karrot für basisdemokratische Aktivitäten, das etwa für Lebensmittelrettungsprojekte verwendet wird. Oder auch OpenOlitor für die Verwaltung von Abos in der Direktvermarktung von landwirtschaftlichen Produkten etwa der Solidarischen Landwirtschaft (SOLAWI). Die Hauptarbeit im „Global Commoning Projekt“ liegt daher in der Entwicklung einer sogenannten Iss-mit-App, sagt Meindel, der als Teil eines fünfköpfigen Team das Projekt seit 2018 voranbringt.
Die App soll ein erster Umsetzungsschritt für Commoning im Lebensmittelbereich sein, über die sich Menschen zum gemeinsamen Kochen und Essen leichter verabreden können. Es gibt Überlegungen, die Issmit-App mithilfe des Activity-Pub-Protokolls und der Value-Flows-Ontology Teil einer Commoning-Infrastruktur werden zu lassen. „Der Plan ist es, dass wenn es eine aktive und beständige Community gibt, eine Umfrage zu machen, welche Lebensbereiche als Nächstes unterstützt und an die bestehende Struktur angeschlossen werden sollen“, sagt Meindel. Das Ziel sei es, langsam in Richtung von Produktion zu gehen, also in Bereiche, in denen komplexere Kooperationen notwendig sind. Von der Konzeption her sollte die Commons-gemäße Vermittlung in jedem Lebensbereich unterstützt werden können. Meindel: „Aber dahin ist es natürlich ein langer Weg.“.“
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