Montag, 17. Oktober 2022

Pläne für Pipeline-Netz

Der große Hype um den grünen Wasserstoff läuft. Das mag in Maßen auch ganz richtig sein. 
Ich frage mich allerdings: wo kommt das Wasser in der Wüste her? Ist es wirklich so harmlos wenn man im großen Stil für die Energiegewinnung  Meereswasser-Entsalzung betreibt? Wenn man unsere Energie - ganz wie gewohnt- in Riesenschiffen über`s weite Meer schippert und die Probleme der Gewinnung vor Ort lässt?
Ich mag mich der Begeisterung noch nicht so recht anschließen und bleibe vorsichtig - so wie Claudia Kemfert, die vom "Champagner der Energiewende" spricht.
siehe dazu auch hier

ARD  hier   Stand: 08.10.2022,  Von Tim Diekmann, SWR

Countdown zur Wasserstoff-Revolution

Weil Erdgas immer teurer wird, rücken neue Energieträger wie Wasserstoff in den Fokus. Klimaneutral produziert, könnte es Gas ersetzen. Noch ist die Technik zu teuer - doch ausgerechnet der Ukraine-Krieg könnte das ändern. 

"Wir werden Ende des Jahres, im Dezember, in Betrieb gehen", sagt der stellvertretende Projektleiter. Dann soll hier zunächst Erdgas durch die Leitungen fließen. Ab 2030 soll die Neckar-Enztal-Leitung aber Teil einer insgesamt 250 Kilometer langen Wasserstoffpipeline werden, die von Hessen über Baden-Württemberg nach Bayern reicht. 

Wasserstoff als Alternative zum Erdgas 

Die Planungen für ein europäisches Wasserstoff-Netz nehmen durch den Krieg in der Ukraine und die gestiegenen Erdgaspreise Fahrt auf. Und auch die Europäische Kommission verbindet mit Wasserstoff die Hoffnung, Erdgas, Kohle und Öl in der Industrie und im Verkehrssektor zu ersetzen. Bis zu 20 Millionen Tonnen Wasserstoff soll nach Willen der Kommission im Jahr 2030 in der EU transportiert werden. Deswegen müsse man nun den Ausbau der Infrastruktur beschleunigen.

Für die Betreiber von Erdgasleitungen entsteht dadurch ein neuer Markt. Erste Ziele haben sie bereits formuliert: Bis 2040 wollen die europäischen Gasnetzbetreiber 53.000 Kilometer Pipeline für den Wasserstofftransport zur Verfügung stellen. Viele ehemalige Erdgasleitungen könnten dafür einfach umgenutzt werden, heißt es von der Gasnetzbetreiber-Initiative "European Hydrogen Backbone". Einige Leitungen müssten aber auch neu gebaut werden.  

Deutschland ist Netto-Importland

"Grüner Wasserstoff ist grundsätzlich in der Lage, fossile Energieträger wie etwa Erdgas zu ersetzen", sagt Karsten Lemmer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Der studierte Elektrotechniker ist Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat, der die Bundesregierung berät. Das Gremium sieht in Wasserstoff einen Energieträger, der "einen signifikanten Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele" leisten kann.

Damit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt, empfehlen die Mitglieder des Wasserstoffrates ein "rasches Hochlaufen der Wasserstoffwirtschaft" und einen schnellen Ausbau der Infrastruktur. "Deutschland ist, was die Energie betrifft, ein Netto-Importland. Das merken wir gerade sehr schmerzhaft. Und es wird zukünftig auch so sein, dass der Bedarf an grünem Wasserstoff nicht mit 'Bordmitteln' erfüllt werden kann", so Lemmer. Man werde auch zukünftig erhebliche Mengen importieren müssen. 

"Rohöl der Zukunft" 

Wasserstoff entsteht, vereinfacht gesagt, durch die Spaltung von Wasser unter Einsatz von Strom - der Vorgang heißt Elektrolyse. Wird dafür Strom von erneuerbaren Energien genutzt, gilt Wasserstoff als "grün". Der große Vorteil des Wasserstoffs: Er kann Energie speichern und nahezu verlustfrei über weite Strecken transportieren. "Das ist ein großer Unterschied zum grünen Strom", sagt Markus Hölzle vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Ulm. Während der Strom idealerweise regional erzeugt und verbraucht wird, kann Wasserstoff "irgendwo auf der Welt erzeugt werden, wo es im Moment viel Sonne und Wind gibt". Über Pipelines und Schiffe könne das Gas dann dorthin transportiert werden, wo viel Energie benötigt wird - zum Beispiel nach Deutschland. "Wasserstoff ist quasi das Rohöl der Zukunft."  

Auf tagesschau.de hat die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zuletzt Wasserstoff als teuren und knappen Energieträger bezeichnet. Er sei der "Champagner der Energiewende". Forscher Hölzle kennt die Diskussion: "Wenn Sie in Deutschland Wasserstoff über grünen Strom machen wollen, dann haben Sie relativ teuren grünen Strom zur Verfügung, weil Deutschland relativ wenig Sonne und Wind hat." Deshalb müsse man die Wasserstoffproduktion ins Ausland verlagern: "Jetzt gehen Sie mal in andere Regionen wie den Mittleren Osten, Saudi-Arabien. Wenn Sie dort eine Photovoltaik-Anlage aufbauen, bekommen Sie heute schon den Strom für einen Cent je Kilowattstunde produziert." Das Ziel müsse also sein, dass dort Strom in Wasserstoff gespeichert und über Pipelines nach Deutschland transportiert wird.  

ARD hier 03.10.2022  Von Linn Mertens, rbb

Zukunftsversprechen Wasserstoff

Mit Champagner Feuer löschen?

Wasserstoff gilt vielen als Energieträger der Zukunft. Doch Studien zeigen, dass H2 zwar in der Anwendung klimafreundlich, aber in der Umsetzung kosten- und energieaufwendig ist - und damit relativ ineffizient.

Wasserstoff soll in vielen Sektoren die grüne Energie von morgen werden. Vor allem in puncto Gebäudewärme und im Verkehrssektor wird für den Einsatz von Wasserstoff geworben. Im Bereich Luftverkehr und in der Schifffahrt, aber auch für Pkw und Lkw soll das Gas eingesetzt werden.

Im Individualverkehr eher keine Option

Die geplante Verwendung im Individualverkehr erntet allerdings Kritik von Expertenseite.
"Wasserstoff ist ein knapper und teurer Energieträger, er ist daher der 'Champagner' der Energiewende", erklärt Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen.

Wasserstoff, der mit Erneuerbaren Energien produziert werde, sei zwar nachhaltig und emissionsfrei; ungeachtet dessen sei der Energieaufwand aber hoch, so Kemfert. Das begründet unter anderem den hohen Preis des grünen Treibstoffs. Die direkte Nutzung von Strom ist effizienter und daher günstiger. In vielen Bereichen sei dies möglich, so bei der Gebäudewärme und im motorisierten Individualverkehr, zum Beispiel mit Elektroautos, sagt Kemfert.

Auch das Umweltbundesamt (UBA) ist kritisch: "Im Vergleich zu einem Elektroauto mit einem Gesamtwirkungsgrad von 75 Prozent ist diese Art von aus Strom hergestellten H2 zu nutzen ineffizient und ökologisch wenig sinnvoll."

Fehlende Infrastruktur

Ein weiteres Problem sei der Transport von Wasserstoff, sagt Harry Lehmann, Direktor des PtX-Labs Lausitz. Wollte man H2 mit dem Schiff transportieren, so müsse man es verflüssigen. Hierzu müsse das Gas allerdings auf minus 252 Grad heruntergekühlt werden. Das wäre zwar machbar, setze aber eine hohe Menge an Strom, Ressourcen und Änderungen der Infrastruktur voraus.

Die energieeffizienteste Alternative, Wasserstoff von A nach B zu transportieren, sei über Pipelines - allerdings benötige es hierzu einen Infrastrukturwandel in Deutschland und Europa, um dies bewerkstelligen zu können.

Klimaschonender fliegen?

Es gebe allerdings Bereiche, in denen die Nutzung von Wasserstoff oder auch seiner Folgeprodukte langfristig erforderlich sei, heißt es aus dem UBA: Dazu gehörten vor allem die chemische Industrie, die Stahlindustrie sowie der Schiffs- und Flugverkehr. Hier spielen Wasserstoff und Folgeprodukte wie E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, bereits eine wichtige Rolle, und nur in diesen Bereichen sollten sie öffentlich gefördert werden, so Kemfert. Das Fliegen und die Schifffahrt könnten klimafreundlicher werden, indem konventionelles Kerosin durch synthetisch hergestellten Power-to-Liquid-Kraftstoff (PtL) ersetzt würden. Der Herstellungsprozess von PtL-Kraftstoffen an sich ist einfach, braucht aber viel Energie: Per Elektrolyse wird zunächst Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten. Dem entstandenen Wasserstoff wird in einem speziellen chemischen Verfahren CO2 zugesetzt; daraus entsteht synthetischer Kraftstoff. Entscheidend auch hierbei: Der Strom, der bei der Elektrolyse eingesetzt wird, muss aus Erneuerbaren Energien stammen.

Auf diese Weise soll künftig auch grünes PtL-Kerosin produziert werden. Dies hätte zum Vorteil, dass "Kerosin aus dieser Route bereits heute bis zu 50 Prozent dem Flugkraftstoff beigemischt werden darf", sagt Lehmann. Ein weiterer Vorteil von PtL-Kerosin: Es bedürfe keines Infrastrukturwandels in Bezug auf den Transport, da es sich wie fossiler Kraftstoff transportieren ließe.

Fünffache Strommenge benötigt

Andererseits aber verschlingt die Herstellung von PtL-Kerosin im Vergleich zur direkten Nutzung von elektrischem Strom die fünffache Menge an Erneuerbarer Energie. "Deswegen sollte PtL-Kerosin nur in den Bereichen eingesetzt werden, in denen eine direkte Nutzung von elektrischer Energie derzeit nicht möglich ist, also im Luft -und Seeverkehr", erklärt Lehmann. Der ineffiziente Einsatz von H2 und PtL-Kraftstoffen in Bereichen, in denen es effizientere Alternativen gibt, sei nicht nur teuer, sondern verbrauche auch wichtige Ressourcen.

Felix Matthes, Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik, Energie und Klimaschutz am Freiburger Öko-Institut, sieht zwei Szenarien: Im besten Falle konzentriere man sich in den kommenden Jahren auf die Bereiche, in welchen der Einsatz von H2 erforderlich sei. Der schlimmste Fall hingegen sei, dass politisches Kapital und die begrenzten Geldmittel, die zur Verfügung stehen, in einer Vielzahl von Projekten verschwendet würden. Derzeit befürchte er, so Matthes, dass auf letzteres Szenario gesteuert werde

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