ZEIT ONLINE hier Zacharias Zacharakis
Schon wieder ein Nein aus Deutschland
Viele EU-Länder fordern einen europaweiten Gaspreisdeckel. Deutschland aber stellt sich quer. Und arbeitet an einer eigenen Preisbremse. Warum der Alleingang?
Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte einige Übung darin, sich manchmal mit ihrer Politik in weiten Teil Europas eher unbeliebt zu machen. Bestes Beispiel ist die Eurokrise und die harten Sparauflagen, die Deutschland von den Südländern verlangte. Die neue Bundesregierung unter Führung von Olaf Scholz hat es bisher vermieden, in diese Tradition einzutreten, könnte aber auf dem EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag doch auf den merkelschen Wegen wandeln.
Wenn an diesem Nachmittag die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer in Brüssel zusammenkommen, dürfte dem Bundeskanzler vor allem eine Frage entgegenschallen: Warum ist Deutschland gegen einen europaweiten Gaspreisdeckel? Ja, warum eigentlich? Schließlich soll es doch einen solchen Deckel auch in Deutschland geben. Die Regierung hatte dazu eigenes eine Expertenkommission eingesetzt, die vor knapp zwei Wochen ihr Ergebnis präsentierte. Die schlägt vor, dass ein Gaspreisdeckel in Deutschland ab März für ein Jahr gelten soll.
Noch hat die Bundesregierung die Vorschläge der Kommission nicht umgesetzt, noch arbeiten die Ministerien an der praktischen Umsetzung des Konzepts. Aber das nötige Budget hat Kanzler Scholz schon in Aussicht gestellt: 200 Milliarden Euro. Und genau daran regt sich die Kritik der europäischen Partner. Wie kann es sein, dass Deutschland seinen Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen mit enormen Summen hilft, sich aber gegen eine europäische Lösung stellt? Dafür gibt es zwar eine sachlich gut begründete Erklärung – politisch aber wird es für Scholz nicht einfach, dies der europäischen Öffentlichkeit auch verständlich zu machen.
Welcher Deckel darf es sein?
In den vergangenen Wochen hat Deutschland, wohl zusammen mit den Niederlanden, verhindert, dass eine gesamteuropäische Gaspreisbremse auf die Agenda dieses Gipfeltreffens gesetzt wurde, obwohl sich bisher etwa 15 Länder dafür aussprechen, darunter Italien, Polen, Belgien und Griechenland. Selbst Italiens scheidender Ministerpräsident Mario Draghi, der zu Kanzler Scholz ein gutes Verhältnis pflegt, kritisierte Deutschland indirekt. "Kein EU-Mitgliedsstaat kann langfristig wirksame Lösungen im Alleingang anbieten, wenn es an einer gemeinsamen Strategie mangelt – auch nicht diejenigen, die aus finanzieller Sicht weniger anfällig erscheinen", sagte er.
Allerdings gehen auch unter den Befürwortern die Vorstellungen darüber auseinander, wie genau ein solches Instrument aussehen könnte. Vereinfacht gesagt soll der Großhandelspreis von importiertem Gas begrenzt werden. Die Rede ist auch von einem dynamischen Deckel, der sich immer unterhalb des Marktpreises bewegen könnte.
Trotz des Widerstands aus Deutschland hat man in Brüssel die Idee noch nicht aufgegeben. Die EU-Kommission stellt in Aussicht, dass im Fall hoher Gaspreise der Großhandelspreis Title Transfer Facility (TTF) gedeckelt werden könnte – wenn auch nur im extremsten Fall. Der TTF-Preis, der an der Börse in den Niederlanden gebildet wird, gilt als Referenz für alle europäischen Handelsplätze und würde sich somit auf dem ganzen Kontinent durchsetzen.
In seiner Regierungserklärung nur wenige Stunden vor Beginn des Gipfels räumte Scholz vor dem Bundestag ein, dass man in Brüssel sicherlich auch über einen möglichen Preisdeckel sprechen müsse, aber darin auch ein Risiko liege. Wo genau die Gefahren gesehen werden, ließen hochrangige Beamte der Bundesregierung am Tag vor dem Gipfel erkennen. Schlimmstenfalls könne sich ein solcher Markteingriff so negativ auswirken, dass Europa tatsächlich in eine Mangelsituation gerate: Nicht mehr allein, weil über die russischen Pipelines kein Gas mehr fließe, sondern weil dann kaum mehr Flüssiggas auf Schiffen nach Europa gebracht würde. "Das ist ein globaler Markt, in dem die Schiffe dorthin fahren, wo es den besten Preis gibt", hieß es aus Regierungskreisen. Auch wenn das sehr banal klinge, fehle vielen in der EU das Bewusstsein für diese möglichen Konsequenzen eines Deckels.
Im Moment sei die Lage umgekehrt, hieß es weiter. Vor der spanischen Küste stauen sich etwa die Flüssiggasfrachter, weil es dort zu wenig Terminals gibt, an denen das Gas abgeladen werden kann. Die Anbieter aber nehmen diese Verzögerungen in Kauf, weil die europäischen Abnehmer aufgrund der Knappheit auf dem Kontinent im Moment höhere Preise zahlen als andere Kunden weltweit. Die hohen Preise seien schließlich auch der Grund, so Regierungsvertreter, warum man in Europa überhaupt die Gasspeicher so zügig auf mehr als 90 Prozent habe füllen können. Auch wenn es schmerzhaft sei, habe der hohe Preis immerhin seine Funktion erfüllt. Wenn man jetzt aber den Preismechanismus außer Kraft setze, dann würden "diese Schiffe, die jetzt in Spanien auf Entladung warten, nach Japan oder Korea weitersegeln", wenn der Preis dort höher als der gedeckelte Preis in Europa sei.
Wo ist der Unterschied zum deutschen Deckel?
Die Bundesregierung ist also wenig offen für den europäischen Deckel. Nur wo ist der Unterschied zu dem Gaspreisdeckel, an dem Regierungsvertreter gerade arbeiten? Entscheidend ist, ob man den großen Gasexporteuren der Welt einen Preis vorschreiben möchte, wie es auf europäischer Ebene gerade diskutiert wird – oder ob man für die Endkunden künstlich einen niedrigeren Preis festsetzt, so wie es die Expertenkommission gerade vorgeschlagen hat. Im deutschen Modell würden die Gasgroßhändler weiterhin am Weltmarkt einkaufen. Um den privaten Haushalten und den Unternehmen in Deutschland aber einen vergünstigten Preis anbieten zu können, begleicht der Staat für die Gashändler die Differenz zwischen dem sehr hohen Einkaufspreis und dem gedeckelten Preis, den die normalen Gaskunden in Deutschland zahlen.
Für dieses Modell will die Bundesregierung nun 200 Milliarden Euro bereitstellen. Das sorgte bereits für Kritik seitens der europäischen Amtskollegen, darunter der scheidende italienische Ministerpräsident Mario Draghi. Kanzler Scholz verteidigt dagegen den Doppelwumms: Der Abwehrschirm der Bundesregierung sei immerhin auf zweieinhalb Jahre angelegt, sagte er am Donnerstagmorgen in seiner Regierungserklärung. "Auf diesen Zeitraum gerechnet entsprechen die 200 Milliarden Euro um die zwei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts", sagte Scholz. "Das liegt in den Größenordnungen der Pakete, die in diesem Jahr auch anderswo in Europa geschnürt wurden: in Frankreich, in Italien oder in Spanien zum Beispiel." Ob sich seine Amtskolleginnen und Amtskollegen damit überzeugen lassen, wird sich am Abend in Brüssel zeigen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen