Es gibt Aufnahmen von Wladimir Putin und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, die aus heutiger Sicht so seltsam wie prophetisch wirken. Bei einem G20-Gipfel im Dezember 2018 begrüßten die beiden Männer einander mit einem schwungvoll brüderlichen Handschlag, die Daumen ineinander hakend wie abklatschende Sportler. Beide grinsen, als hätte ihr Team gerade ein Turnier gewonnen.
So kann das aussehen, wenn sich Männer treffen, die ihre Feinde bei Bedarf ermorden und zerstückeln (Mohammed bin Salman) oder mit langsam wirkendem Gift zu Tode quälen lassen (Putin).
Ein dritter Mann wurde bei dem gleichen Gipfel nicht in die herzliche Kumpeligkeit einbezogen: Donald Trump mied bei diesem speziellen G20-Gipfel sowohl den saudischen Prinzen wie den russischen Autokraten. Der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi war da gerade erst zwei Monate her, und Russland hatte gerade ukrainische Marineschiffe beschossen und Seeleute in seine Gewalt gebracht.
Die kühle Phase zwischen Trump, Putin und Mohammed bin Salman währte aber nicht lange: Schon bald sprach Trump wieder mit den beiden, und dabei ging es vermutlich oft um den Ölpreis . Trump sollte zum Beispiel im Auftrag texanischer Ölfirmen für höhere Preise sorgen, als der Ölpreis zu Beginn der Coronapandemie dramatisch abstürzte. Genaueres weiß man nicht, denn Trump ließ die Inhalte von Telefonaten mit den beiden als Staatsgeheimnis behandeln. Von einem Telefonat mit Mohammed bin Salman scheint nicht einmal eine Abschrift zu existieren , was für Gespräche auf diesem Niveau extrem unüblich ist.
Immer wieder einmal gab es Spannungen zwischen den drei Männern, und auch dabei ging es in der Regel um den Ölpreis . Grundsätzliche Probleme hat Trump mit MBS und Putin dagegen offenbar nicht, im Gegenteil: Er scheint Männer, die andere umbringen lassen, aufregend männlich zu finden . Trump gab sogar einmal damit an, dass er Mohammed bin Salman nach dem Khashoggi-Mord vor allzu unangenehmen Nachfragen aus dem US-Kongress »beschützt« habe . Und seinen Schwiegersohn Jared Kushner pflegte eine so innige Beziehung zu MBS, dass manche von einer »Bromance« sprachen .
»Genial« und »ziemlich gewieft«
Über Trumps Begeisterung für Wladimir Putin muss hier wohl nichts mehr gesagt werden. Unmittelbar vor dem Einmarsch noch nannte Trump Putins Ukrainemanöver »genial« und »ziemlich gewieft« .
Diese Woche zeigte sich erneut, dass zwischen Saudi-Arabien und Russland eine mindestens auf gemeinsamen Interessen basierende, handlungsfähige Allianz besteht, von der auch Trump profitieren könnte. Eine Allianz, die Saudi-Arabiens diktatorisches Regime im Zweifel den Interessen Europas oder der aktuellen US-Regierung vorzieht.
Am 5. Oktober erklärten die verantwortlichen Minister der Opec und weiterer Staaten, der sogenannten Opec+ einschließlich Russland, ihre Ölförderleistung zu reduzieren. Solche Kartellentscheidungen zur Preismanipulation sind so alt wie die Opec, aber diese hier hat eine besondere Geschmacksrichtung: Sie reflektiert nämlich demonstrative Einigkeit zwischen Russland und Saudi-Arabien.
Ein hoher Ölpreis ist natürlich schön für Länder, die Öl verkaufen. Und die Vereinbarung ist eine direkte Reaktion auf die Bemühungen der EU und der Regierung von Joe Biden, den Preis für russisches Öl ihrerseits mit Absprachen zu drücken.
Die alte Allianz offen aufgekündigt
Saudi-Arabien hat also gerade seine alte Allianz mit den USA offen und mitten in einer Kriegssituation aufgekündigt, um sich, dem Ölpreis zuliebe, mit Wladimir Putins Russland zu verbünden. Ein offener Affront gegen die USA – oder doch nur gegen die Regierung Biden?
Die Sicherheitsexpertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations fragte bei Twitter erstaunt, ob man es da womöglich mit einem Versuch Mohammed bin Salmans zu tun habe, die Midterm-Wahlen in den USA zu beeinflussen :
Die Argumentation geht etwa so: Wenn der Ölpreis steigt (was er im Anschluss an die Opec+-Ankündigung prompt tat), dann steigt auch die Inflation in den USA. Benzin und vieles andere wird teurer. Und wenn die Inflation steigt, dann fällt das im Zweifel auf die Regierung zurück. Inflation und die wirtschaftliche Lage sind Umfragen zufolge derzeit die mit Abstand die größte Sorge der US-Wählerschaft.
Vorschau für künftige Konfliktlinien
Russland und Saudi-Arabien haben sich also nicht nur gegenseitig weiterhin kräftige Öleinnahmen verschafft – sie schaden potenziell auch den Chancen der US-Demokraten , bei den Kongresswahlen im November ihre Mehrheiten im Repräsentantenhaus und dem Senat zu halten.
Das wiederum ist ein Vorbote.
Wir steuern derzeit bekanntlich mit nach wie vor wachsender Beschleunigung auf eine globale Katastrophe bislang unbekannten Ausmaßes zu.
Schuld daran ist der menschliche Expansionsdrang, vor allem aber unsere Sucht nach fossilen Brennstoffen. Es gibt Staaten, die an diesen fossilen Brennstoffen viel Geld verdienen, dazu gehören die USA, mittlerweile das größte Ölförderland der Welt . Und es gibt Staaten, die fast vollständig von den Einnahmen leben, die mit aus dem Boden gepumptem oder ausgegrabenem Roh-CO₂ erzielt werden.
Lauter Diktaturen
Dazu gehören Länder wie Aserbaidschan, aber vor allem Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, der Irak, Iran, Kuwait und diverse andere. Die meisten Staaten, in denen Öleinnahmen mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen , sind Diktaturen oder zweifelhafte Pseudodemokratien.
Und es gibt Staaten, die zwar auch noch andere wirtschaftliche Güter herstellen, aber trotzdem extrem abhängig von Öl und Gas sind –dazu gehört selbstverständlich Russland. 2017 machten Öl- und Gasverkäufe der OECD zufolge über 63 Prozent aller russischen Exporte aus .
Es hat seinen Grund, dass Wladimir Putins KGB-Spießgesellen sich frühzeitig die vollständige Kontrolle über die Öl- und Gasproduktion des Landes verschafft haben. So finanzierten sie ihren feudalistischen Lebensstil, so legten sie die schwarzen Kassen an, mit denen nun überall auf der Welt russischer Einfluss auf Politik und Gesellschaften finanziert wird.
Trump, der ideale Kandidat
In den USA ist das etwas anders: Die Ölindustrie dort ist zwar extrem mächtig – immerhin stellte sie in den vergangenen 30 Jahren sogar zwei US-Präsidenten, George Bush und seinen Sohn George W. Bush. Die fossilen Branchen in den USA haben viele Jahre lang daran gearbeitet, sich einen Supreme Court nach ihren Wünschen zusammenzustellen, sie kaufen Politiker und entscheiden, welche Kandidaten eine Chance haben und welche nicht.
Doch die US-Wirtschaft ist beileibe nicht so abhängig vom Verkauf fossiler Brennstoffe wie Saudi-Arabien oder Russland (die von Texas allerdings schon ). Die Ölbranche übt ihren Einfluss daher auf politischem Weg aus, vorrangig über die direkte Beeinflussung der Republikaner, der Partei der Bushs und mittlerweile der Partei von Donald Trump.
Für die Ölbranche war Trump ein idealer Kandidat, denn er hat den Klimawandel schon einmal als »chinesischen Hoax« bezeichnet. Mit jahrzehntelanger Propaganda und Milliardeninvestitionen hat die Branche in den USA dafür gesorgt, dass bis heute nur 54 Prozent der US-Bürger die Klimakrise für eine »große Bedrohung« halten , allen Dürren, Riesenbränden und Monsterhurrikanen zum Trotz. In fast allen anderen Industrienationen sind dagegen etwa drei Viertel der Menschen oder mehr sehr besorgt wegen der Erhitzung der Erde.
Ideale Verbündete für die, die nichts zu bieten haben
Die US-Republikaner sind also ideale Verbündete für die Staaten, die außer Öl und Gas wenig bis nichts zu bieten haben. Die Entscheidung der Opec+-Staaten, den Ölpreis künstlich hochzuhalten, zum Wohle Russlands, ist deshalb ein Vorbote jener geopolitischen Konstellation, die die nächsten Jahrzehnte bestimmen wird: Ölstaaten wie Saudi-Arabien und Russland, in zerstörerischer Gemeinschaft vereint mit von der Öl-, Gas- und Kohlebranche und ihren Finanziers gekauften Parteien wie den US-Republikanern.
Es ist kein Zufall, dass die Freunde fossiler Brennstoffe sich auch in anderen Fragen oft einig sind: Auch was den Umgang mit Homosexuellen, mit trans Menschen, was die Haltung zu Frauenrechten oder Antidiskriminierung angeht, fänden Wladimir Putin, Mohammed bin Salman und Donald Trump mühelos Gemeinsamkeiten. Weil die alte, fossil angetriebene, männerdominierte Welt mit ihren Machtstrukturen bedroht scheint, können sich die reaktionären Profiteure fossiler Brennstoffe auch leicht auf reaktionäre Positionen in gesellschaftlichen Fragen verständigen.
Die Achse des Öls
Diese Achse des Öls markiert die zentrale Konfliktlinie des 21. Jahrhunderts. Die Frage »auf welcher Seite stehst du?« betrifft jetzt nicht mehr primär rechts oder links, konservativ oder progressiv – auch wenn insbesondere die Rechte weiterhin so zu tun versucht, als sei das der Fall.
Die wahre Konfliktlinie verläuft zwischen denen, die weiterhin am heranrasenden Untergang der menschlichen Zivilisation verdienen – und denen, die den Klimakollaps verhindern wollen. Europa muss sich schnell, entschlossen und demonstrativ auf die letztgenannte Seite stellen.
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