Montag, 24. Oktober 2022

FDP-Alt-Politiker Baum: Die FDP verpaßt gerade das große Freiheitsthema "Klimaschutz"

Die Rückschlüsse aus den verlorenen Wahlen, die von hochrangigen FDP-Politikern wiedergegeben werden, sind mehr als unbegreiflich. Die heutige Partei scheint  weit entfernt von ihren Freiheitsidealen. Hoffentlich gelingt es da wenigstens einem alten Parteimitglied, seine reflektierten Erkenntnisse zum Wohl von Deutschland einzubringen.

Süddeutsche Zeitung  hier  21. Oktober 2022,
kleiner Auszug aus einem Interview von Detlef Esslinger

....demnächst feiert er seinen 90. Geburtstag: Der FDP-Politiker Gerhart Baum über den Zustand seiner Partei, Klimaschutz - und seine russische Mutter, die während der Oktoberrevolution floh.

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Reden wir über die FDP, der Sie seit 1954 angehören. Ist das eigentliche Problem Ihrer Partei heute, dass Sie Freiheit überwiegend über den Konsum definiert?

Die Frage ist doch: Was heißt Freiheit angesichts all der Veränderungen? Freiheit ist immer mit Verantwortung verbunden. Hier, in den Freiburger Thesen der FDP von 1971 (zieht ein Blatt aus dem Stapel vor ihm hervor): "Die Frage des gerechten Anteils an der Ertragsteigerung der Wirtschaft ist die Freiheitsfrage schlechthin." Freiheit durch Vernunft also. Das ist ein Beispiel. Die FDP muss klarmachen, dass sie eine Grundbotschaft hat, eine Vision, und das alles, was sie tut, Ausfluss dieser Überzeugung ist. Der Klimaschutz ist ein Freiheitsthema. Warum aber sagt das niemand so deutlich außer dem Bundesverfassungsgericht in seinem großen Urteil von 2021?

Die FDP hat das nie aufgegriffen.

Nicht deutlich genug. Und dabei hat das Gericht klargemacht, dass die Freiheit ganzer Generationen auf dem Spiel steht, wenn der Klimawandel so fortschreitet. Wir haben es uns in einer brüchigen Normalität bequem gemacht. Nun müssen wir das Land modernisieren. Die FDP muss die Modernisierungspartei sein. Was ist nicht alles marode in diesem Lande - auch Teile des bürokratisierten Rechtssystems, das unser Justizminister Marco Buschmann jetzt entrümpelt.

Das Problem ist: Die konsumistische Lebensweise, von der FDP stets geschätzt, hat Krisen eines Ausmaßes hervorgerufen, in denen nur noch der Staat zur Bewältigung überhaupt infrage kommt.

Konsumorientierung, das war allgemeine Meinung. Ich aber war immer der Meinung, dass dem Markt Grenzen gesetzt werden müssen. Die Zeit des Neoliberalismus ist vorbei. Frau Truss ist damit gerade in Großbritannien gescheitert. Also, die FDP muss in dieser Zeitenwende eine liberale Zukunftsperspektive entwickeln. Dabei muss sie sich mit dem entscheidenden Spannungsverhältnis befassen: Wie bringt sie das wachsende Schutzbedürfnis in der Gesellschaft in eine ausgewogene Beziehung zum Freiheitsgedanken? Vieles trägt die FDP mit, aber oft vermittelt sie den Eindruck, als sei sie davon nicht überzeugt, als müsse sie nur verhindern, statt zu gestalten. Die Ursachen der Wahlniederlagen liegen vor allem in Berlin.

Wieso?

Die Ampel ist ohne Alternative. Eine andere Mehrheit im Bundestag gibt es nicht. Es wird auch keine Neuwahlen geben. Den Bundespräsidenten möchte ich sehen, der Neuwahlen ansetzen würde. Aber viel wichtiger: In dieser kritischen Situation braucht das Land eine Regierung, die führt und nicht immer wieder Unsicherheit ausstrahlt. Ist es denn liberal Gesinnten nicht klarzumachen, dass Regierungshandeln anders aussähe, wäre die FDP nicht an der Regierung beteiligt? Warum sagt sie nicht, was sie erreicht hat, statt sich zu oft zu beklagen, dass sie mit zwei linken Parteien im Boot sitze? Das suggeriert, sie wolle so schnell wie möglich aussteigen. Wohin? Natürlich muss sie mitunter nein sagen und für ihre Ziele kämpfen. Aber der Eindruck, sie verhindere nur - der muss weg. Und es muss von der Ampel eine positive Grundstimmung rüberkommen.

Was hat die FDP denn erreicht?

Steuererhöhungen sind nicht gekommen. Und mit der auf den Haushalt bezogenen Schuldenbremse lehnt Christian Lindner die Begehrlichkeiten der anderen Ministerinnen und Minister ab. Andere Schulden sind jetzt unvermeidbar, aber müssen sehr genau überlegt werden. Ökonomische Kompetenz bringt die FDP ein. Neben liberalen Grundüberzeugungen. Sie ist in der Ampel unverzichtbar.

Fehlt es der Partei an Theorie und Grundsätzen?

Das Leitmotiv "Freiheit"- das unterscheidet sie von allen anderen. Wie ist die angesichts der neuen Bedrohungen zu realisieren? Ralf Dahrendorf, der große Liberale und Soziologe, hat immer gesagt: Demokratie ist Diskussion. Nur dann entsteht etwas, das trägt. Die FDP müsste mehr und offen über die Zukunft diskutieren.

Hat die FDP auch ein Sympathieproblem? Ihr Fraktionschef Christian Dürr erzählte neulich, eine Mutter aus der Kita seines Sohnes habe zu ihm gesagt: Was, er sei in der FDP? Dabei sei er doch ganz nett.

Es ist ein Empathieproblem mit der FDP. Ein bekannter Journalist schrieb: Es muss ein Wärmestrom ausgehen vom Politiker zum Wähler. Die Menschen, für die so vieles unverständlich geworden ist, brauchen Politiker, denen sie vertrauen und die ihre Gefühle respektieren. Ich war vergangene Woche in Donaueschingen bei den Musiktagen, ich bin von so vielen Leuten angesprochen worden, die sagen: Wenn Sie noch da wären! Das war zwar als Kompliment gemeint, gegenüber mir als uraltem Mann. Aber im Grunde ist es schmerzlich, in so eine Distanz gebracht zu werden zur eigenen Partei.

ZUR PERSON

Gerhart Baum, geboren am 28. Oktober 1932 in Dresden, kam 1972, drei Monate nach dem Münchner Olympia-Massaker, als Parlamentarischer Staatssekretär von Hans-Dietrich Genscher ins Bundesinnenministerium. 1978 wurde er als Minister dessen Nachnachfolger und blieb im Amt, bis die sozialliberale Koalition im September 1982 zerfiel. Baum war der einzige FDP-Minister, der das Bündnis mit der SPD und Kanzler Helmut Schmidt fortsetzen wollte. In den 40 Jahren danach blieb er immer präsent: als linksliberaler Verteidiger der Bürger- und Menschenrechte, als Anwalt, als Leiter der deutschen Delegation in der UN-Menschenrechtskommission, als Vorsitzender des Aufsichtsrats von Suhrkamp. Sein neues Buch "Menschenrechte" ist in dieser Woche erschienen. Baum ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von drei Kindern.

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