Südkurier hier 21.10.2022 |
Treffpunkt Friedrichstraße. An kaum einem Ort in der Stadt wird Mobilität so sichtbar. Autos, Busse, Fahrradfahrer, Fußgänger – sie alle sind in hoher Taktung unterwegs. Der perfekte Ort, um sich mit Nuri Köse zu treffen, der sich schon lange mit der Mobilitätswende auseinandersetzt. Am Donnerstag, 27. Oktober wird er bei der Vergabe des Deutschen Mobilitätspreises in Berlin dabei sein, mit dem das Bundesministerium für Digitales und Verkehr innovative Projekte auszeichnet. Mobilität neu denken und gestalten – genau Köses Thema.
„Ich stand mal am Friedrichshafener Bahnsteig und habe eine Rollstuhlfahrerin erlebt, die völlig verzweifelt war, weil sie nur Treppen vorfand“, erinnert sich Nuri Köse. Da sei ihm sehr bewusst geworden: Mobilität dürfe keine Last sein – für niemanden. Als der 29-jährige Wirtschaftsinformatiker die Ausschreibung für den Bürgersitz in der Jury des Deutschen Mobilitätspreises sah, bewarb er sich kurzerhand. „Technologische und wirtschaftliche Aspekte stehen beim Zukunftsthema Mobilität oft im Vordergrund, doch eigentlich müssten dringend auch soziale Aspekte viel mehr berücksichtigt werden“, sagt der dreifache Vater. Das Neun-Euro-Ticket sieht er als bestes verkehrspolitisches Projekt der vergangenen Jahre, denn das sei für alle gesellschaftlichen Schichten offen gewesen und habe die Menschen zurück in Züge und Busse gebracht.
Friedrichstraße als autofreie Zone?
In der Friedrichstraße brettern währenddessen die Autos vorbei. Feierabendverkehr. Wäre das nicht der perfekte Ort für eine autofreie Zone? Eine schöne Flaniermeile für Fußgänger, Radfahrer? Nuri Köse nickt zustimmend. „Ein Kompromiss wäre erst mal die Einspurigkeit“, sagt er, „dafür müsste der Fahrradweg deutlich breiter sein.“ Wer mehr Straßen und Parkplätze baue, kriege mehr Autos. Wer mehr Fahrrad- und Fußgängerwege baue, kriege mehr Fahrradfahrer und Fußgänger.
„In Friedrichshafen wird es Autofahrern noch sehr viel leichter gemacht als allen anderen, die unterwegs sind,“ stellt Nuri Köse fest. Dann verweist der Wirtschaftsinformatiker auf eine aktuelle Bitkom-Studie, die gezeigt hat, dass 96 Prozent der Deutschen in den vergangenen drei Jahren ihr Mobilitätsverhalten drastisch geändert hätten. „Steigende Energiepreise, die Corona-Pandemie, das Neun-Euro-Ticket und die Klimakrise haben das Mobilitätsverhalten so stark wie nie zuvor verändert“, heißt es darin. Die Menschen würden vom Fahrrad über E-Scooter und E-Moped bis hin zum Auto zunehmend auf Sharing-Konzepte setzen und seien aufgeschlossener in Sachen autonomes Fahren denn je, stellt die Studie fest. Kurz: Klima, Kosten und Corona treiben die Mobilitätswende.
Was müsste denn passieren, damit weniger Menschen in der Friedrichshafener Innenstadt Auto fahren? Köse lacht. Die Antwort geht ihm leicht über die Lippen: „Teurere Parkplätze, höhere Strafen für Falschparker. Und natürlich eine bessere Taktung der Busse.“ Wenn nur jede Stunde ein Bus fahre, dann sei das einfach keine Alternative. 20-Minuten-Taktungen hingegen schon.
Bedenken, wie es sie in Friedrichshafen oft gibt beim Thema Parkgebühren, wischt Köse vom Tisch: „Wer denkt, dass dann keiner mehr einkaufen geht, täuscht sich.“ Denn alle, die es in die Innenstadt ziehe, würden auch weiterhin kommen – und entweder die höheren Gebühren akzeptieren oder eben auf den Bus setzen. Wenn der Bus aufgrund seiner hohen Taktung eine echte Alternative sei, ließe der Bürger einfach auch das Auto zuhause stehen. „Man muss es den Menschen so bequem wie möglich machen in Sachen ÖPNV“, sagt Köse.
Nuri Köses Vision für Friedrichshafen: mehr Shuttles, in Zukunft dann auch autonom, also ohne Busfahrer an Bord. Beispielsweise in Form von sogenannten On-Demand-Angeboten. Das sind zumeist elektrisch betriebene Kleinbusse, die die Kunden auf Abruf abholen und dann zum gewünschten Ort bringen. Eine Art Sammeltaxi also als Ergänzung zum ÖPNV und als Ersatz zum Auto. In Großstädten wie Hamburg gibt es solche Angebote längst. „Natürlich alles barrierefrei – und damit inklusiv“, so Nuri Köse, „davon profitieren alle.“ Auch die Rollstuhlfahrerin, die sich das Taxi nicht leisten könne.
Neun Kategorien
Es gab rund 300 Mobilitätsprojekte, die für den Deutschen Mobilitätspreis eingesendet wurden. Die Preise werden vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr in insgesamt neun Kategorien vergeben. Wer dieses Jahr eine der wichtigsten Auszeichnungen in Sachen Digitales und Verkehr bekommt, entscheidet ein Team aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. In der Jury gibt es nur einen Bürgersitz, den Nuri Köse innehat.
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