Donnerstag, 6. Oktober 2022

Klimaproteste: Klimaaktivisten sind keine Extremisten

 Süddeutsche Zeitung  hier   6. Oktober 2022  Kommentar von Ronen Steinke

Die Sicherheitsbehörden in Deutschland verteufeln die Aktivisten der Klimabewegung und nehmen sie als Feinde der Demokratie ins Visier. Das ist absurd.

In Deutschland werden neuerdings Menschen als "Verfassungsfeinde" abgestempelt und überwacht, deren politische Ziele erst vor Kurzem von höchster Stelle, vom Bundesverfassungsgericht gepriesen worden sind. Das ist ein Treppenwitz, aber lustig ist er nicht.

Zum Zusammenhang zwischen Erderhitzung und Demokratie hat das Bundesverfassungsgericht etwas sehr Klares, sehr Richtiges gesagt. Von der Zerstörung des Klimas "ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden" und damit künftig "von drastischen Einschränkungen bedroht sind", schrieben die Richterinnen und Richter in einem Beschluss vom 29. April 2021.

Sie erklärten: Wer heute über seine Verhältnisse lebt, der zerstört morgen die Freiheiten der Bürger. Wer sich heute zu große Freiheiten in der Wirtschafts- und Energiepolitik herausnimmt, der trägt die Verantwortung dafür, dass die Freiheit morgen umso erdrückender eingeschränkt werden muss. Die Richterinnen und Richter sind rhetorisch spröde geblieben, wie es ihres Amtes ist, sie sprachen von "intertemporaler Freiheitssicherung", aber sie meinten: Klimazerstörung ist Demokratiezerstörung.

Was soll dieser Angriffsmodus?

Klimaaktivisten wie von "Fridays for Future", "Ende Gelände", "Extinction Rebellion" oder "Die letzte Generation" durften sich davon eigentlich bestätigt fühlen: Klimarettung ist ein Gebot der Demokratiesicherung, die Richterinnen und Richter, die über die freiheitliche demokratische Grundordnung zu wachen haben, sagten es deutlich. Deutschland müsse seine Art des Wirtschaftens ändern, und zwar dringend. Sie ließen nur offen, wie. Man kann sich da ja verschiedene Wege vorstellen. Die Aktivisten treten bekanntlich für einen besonders schnellen Weg ein. Ihnen ist auch zu langsam, dass RWE nun den Ausstieg aus der Braunkohle um acht Jahre vorzieht, auf 2030 - denn auch dies bedeutet, dass das rheinische Dorf Lützerath trotzdem noch für den Tagebau abgerissen wird.

Das ist eine Protestkultur, die - ein Novum - sozusagen den frischen Rückenwind Karlsruhes hat. Erstaunlich ist dann nur, wie viele Sicherheitsbehörden auf diese legitime politische Position anspringen. Und zwar im Angriffsmodus. Man erschrickt geradezu, wenn man manche Innenminister und deren Verfassungsschutzchefs über Klimaschützer reden hört.

Da kritisiert in Nordrhein-Westfalen der CDU-Innenminister Herbert Reul die Aktivisten, die eine Grabung nach Braunkohle blockierten, rundweg als "Extremisten", die man überwachen müsse, einschließlich ihrer "Sympathisanten", als gehe es um Umstürzler. In Hamburg, Berlin oder Hessen ist es ähnlich: Die Regierungen stellen jene Protestkulturen, die sie in der Klimafrage besonders stark zum Umlenken drängen, per Verfassungsschutzbericht als Feinde der Demokratie hin. Ausgerechnet.

Es geht den Behörden dabei nicht einmal um die Wahl der Protestmethoden, das Blockieren von Autobahnen zum Beispiel oder das Festkleben auf Asphalt. Nein, es geht ihnen ausdrücklich um die Ideologie. Liest man die Begründungen, läuft es immer auf die Besorgnis hinaus, diese Gruppen würden die Dinge lieber nicht dem freien Markt überlassen wollen.

Was man in Hamburg für eine "unzweideutige Parole" hält

In Hamburg klingt das so: Wenn Aktivisten unter dem Slogan "System change not climate change", also Systemwandel statt Klimawandel, auf die Straße gingen, dann sei dies eine "unzweideutige Parole", schreibt das Landesamt für Verfassungsschutz. Wer die "Enteignung von Unternehmen, Wohnungsbaugesellschaften, privaten Krankenhäusern und sogenannten 'Superreichen'" für wünschenswert halte, der befinde sich "in einem nicht aufzulösenden Widerspruch zum Grundgesetz".

Das ist falsch, sehr sogar. Das Grundgesetz ist in Wahrheit wirtschaftspolitisch offen. Die Vergesellschaftung von Industriebetrieben, wie sie etwa die Aktivisten von "Ende Gelände" befürworten, wird dort sogar ausdrücklich als Option angeboten. Nachzulesen in Artikel 15. Das Grundgesetz nimmt offenbar nicht an, dass es das Ende der Demokratie darstellen würde, wenn Unternehmen stärker oder sogar sehr viel stärker von den Regierungen in die Pflicht genommen werden würden.

Aber etliche Sicherheitsbehörden behaupten das derzeit, sie diskreditieren die Klimaproteste, sie schrecken Menschen davon ab, sich zu beteiligen. Sie erstellen Dossiers, wonach die Klima-Szene immer häufiger über das große Ganze reden wolle statt nur über einzelne CO₂-Grenzwerte - nämlich über eine Welt, in der Energie-, Wohnungs-, Agrar- und Verkehrspolitik zu einem einzigen großen Problem verknäult sind.

Zur Frage, warum dies denn, bitteschön, "extremistisch" sein solle, heißt es im Verfassungsschutzbericht des Landes Hessen aber nur: "Viele dieser Beiträge verstanden den Protest im Dannenröder Wald nicht nur als Kampf gegen eine Autobahn bzw. für eine Mobilitätswende ..., sondern auch gegen die Wirtschaftsordnung." Schon klar. Das ist richtig. Aber noch mal: Wer gibt einer Sicherheitsbehörde das Recht, dies für illegitim zu erklären?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen