Tagesschau hier Von Marcel Kolvenbach, SWR
Koalitionsvertrag und Klimaschutz
Die
Klimaschutz-Pläne der neuen Bundesregierung reichen bei weitem nicht aus, um
die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Das ist das Ergebnis
einer Studie, die dem SWR vorab vorliegt.
Die
Ampel-Koalition will den Ausbau erneuerbarer Energien deutlich beschleunigen.
Bei den Klimazielen bleibt es bei den Zielen aus dem Klimaschutzgesetz der
Großen Koalition, das unter dem Druck des Bundesverfassungsgerichts in diesem
Frühjahr nachgebessert worden war. Demnach soll Deutschland bis zum Jahr 2045
klimaneutral sein.
Nach den
Modellrechnungen einer Studie der Berliner Hochschule für Technik und
Wirtschaft (HTW), die dem SWR vorab vorliegt, würden damit die
Klimaziele des Pariser Klimaschutzabkommen allerdings verfehlt. Zu diesem
Ergebnis kommt Studienleiter Volker Quaschning. Er ist Professor für
Regenerative Energiesysteme an der HTW. Der Mitbegründer von "Scientists
For Future", einem Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern, die dem Thema Klimaschutz mehr Gewicht geben möchte, hat die
aktuelle Studie mit seiner "Forschungsgruppe Solarspeichersysteme"
durchgeführt.
Studie:
Klimaneutralität bis 2035 erreichen
Wann
Deutschland CO2-neutral werden müsse, ermittelten die Forscher anhand des
sogenannten Budgetansatzes, einer globalen Obergrenze für die noch zu
emittierende Gesamtmenge an Kohlendioxid aus fossilen Quellen, um gefährliche
Klimaänderungen zu vermeiden - verteilt auf die Weltbevölkerung. Daraus
berechnet sich auch die CO2-Menge, die Deutschland noch emittieren darf. Die
Forscher stützen sich dabei auf Vorgaben des Sachverständigenrats für
Umweltfragen (SRU) und neueste Veröffentlichungen des Weltklimarats IPCC.
Nach den
vorliegenden aktuellen Daten zum CO2-Ausstoß und verschiedenen Modellierungen
der Reduzierung der Emissionen ergeben sich laut Studie 2030 und 2035 als
Referenzjahre zum Erreichen der CO2-Neutralität. "Die Maßnahmen des
Koalitionsvertrags lassen eine Kohlendioxidneutralität bis 2045 möglich
erscheinen, nicht aber das Einhalten des Pariser Klimaschutzabkommens",
sagt Volker Quaschning dem SWR.
Mindestens
die doppelte Photovoltaik-Leistung gefordert
Was
passieren müsste, damit diese Ziele erreicht werden, damit beschäftigt sich der
zweite Teil der Studie. "Unsere Studie ermöglicht erstmals anhand der
jährlichen Zubaumengen für die Photovoltaik, zu überprüfen, ob ein genanntes
Zieljahr realistisch ist und wie sich verschiedene Maßnahmen wie
Windkraftausbau, Importquote für grünen Wasserstoff oder andere Ambitionen bei
der Energiewende auf die nötige Photovoltaikinstallation auswirken. Damit lässt
sich auch überprüfen, ob der eingeschlagene Weg überhaupt schlüssig zu den
versprochenen Zielen führt", sagt Quaschning.
Im Jahr 2020 deckten erneuerbare Energien gerade einmal 19,3 Prozent des deutschen Endenergiebedarfs. Dieser Anteil müsse zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens demnach spätestens in 15 Jahren auf 100 Prozent gesteigert werden, so Quaschnings Studie.
Anhand von drei verschiedenen Szenarien haben er
und seine Kolleginnen den zukünftigen Energiebedarf Deutschlands und den
Wechsel zu fossilfreien Technologien modelliert. Darauf aufbauend, wurden ein
CO2-neutrales Energiesystem beschrieben und die dazu erforderlichen
Ausbaumengen der erneuerbaren Energien bestimmt.
"Um
überhaupt auf den Pfad des Pariser Klimaschutzziels zu kommen, ist mindestens
die doppelte Photovoltaikleistung erforderlich", kommentierte
Studienleiter Quaschning die Ausbauziele der Ampel-Koalition. Demnach sei die
installierte Photovoltaikleistung von derzeit 59 Gigawatt auf mindestens 590
Gigawatt zu verzehnfachen. Im Koalitionsvertrag der "Ampel" heißt es
hingegen: "Unser Ziel für den Ausbau der Photovoltaik (PV) sind circa 200
Gigawatt bis 2030."
Außerdem, so
die Fachleute, führe kein Weg daran vorbei, die Windkraft mit 200 Gigawatt an
Land und 70 Gigawatt auf See weiter massiv auszubauen . Klar sei auch, dass die
Energiewende ohne den Import von grünem, also mit erneuerbaren Energien
hergestelltem Wasserstoff, nicht mehr realisierbar sei. Aus Effizienzgründen
fordert die Forschungsgruppe eine rasche und konsequente Elektrifizierung des
Verkehr- und Wärmesektors. Die Studie rechnet mit 31 Millionen Elektroautos und
zwölf Millionen Wärmepumpen im Jahr 2035. Voraussetzung hierfür sei, dass ab
2025 keine neuen Benzin- und Dieselautos sowie Öl- und Gasheizungen mehr
verkauft werden dürften.
Grüne
verweisen auf Klima-Außenpolitik
Mit den
Ergebnissen der Studie konfrontiert, erklärte eine Sprecherin des
Bundesvorstandes von Bündnis90/Die Grünen gegenüber dem SWR, mit
dem Koalitionsvertrag gebe man nach Jahren des Stillstands für alle
klimaschutzrelevanten Bereiche ehrgeizige Ziele vor. "Dabei legen wir aber
- anders als Fridays for Future zum Beispiel - nicht das Konzept des
CO2-Budgets pro Kopf zugrunde. Täte man dies,
müsste
Deutschland bereits 2030 CO2-neutral sein, die USA Ende 2021,
also in gut
vier Wochen", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Essenziell
sei eine aktive Klima-Außenpolitik, die etwa Technologiesprünge, insbesondere
in Schwellen- und Entwicklungsländern, ermögliche.
Studienleiter
Quaschning kritisiert hingegen, dass die Ampel-Koalition sich nicht an dem
CO2-Budget orientiert: "Sich entwickelnde Länder werden derartige
Rechnungen nicht akzeptieren. Wenn jeder so argumentiert, dann ist das
Klimaschutzabkommen gescheitert."
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