Liebe Leserin, lieber Leser,
Um einen Eindruck davon zu bekommen, was sich die neue Bundesregierung
in der Klimapolitik vorgenommen hat, genügt schon eine einzige Zahl: 30. Sie
steht auf Seite 57 des Koalitionsvertrages und gibt an, wie viel Strom bis 2030 in Offshore-Windanlagen gewonnen
werden soll. 30 Gigawatt müssen es »mindestens« sein, schreiben SPD, Grüne und
FDP. Aktuell sind es gerade einmal 7,8. Dazu muss man wissen: Es hat gut zehn
Jahre gedauert, um das jetzige Niveau zu erreichen – nun soll in weniger Zeit
mehr als das Doppelte hinzukommen.
An den meisten Stellen in diesem langen Papier, die
konkrete Zahlen bei der Energie- und Verkehrswende nennen, geht es in die
gleiche Richtung: Das Tempo soll deutlich erhöht werden. Bei der
Fotovoltaik, den Elektroautos oder (»idealerweise«) beim Kohleausstieg.
Was die Ampelparteien hier vorgelegt haben, ist das
wohl ambitionierteste deutsche Klimaschutzregierungsprogramm der deutschen
Geschichte.
Doch Applaus mag nicht so recht aufkommen –
wenn man auf das schaut, was das Team von Kanzler Olaf Scholz eigentlich
erreichen müsste. Denn
gemessen an dem, was bisher für die Klimawende unternommen wurde, ist der neue
Plan zwar ein riesiger Sprung nach vorn. Unter Berücksichtigung dessen,
wo das Land schon in wenigen Jahren stehen müsste, aber noch ein zu kleiner
Schritt.
Fortschritt
beim Zuschnitt der Ressorts
Der Anspruch nämlich, mit der nationalen Politik einen
fairen Anteil zum Erreichen des weltweiten Ziels zu leisten, die Erderwärmung
auf möglichst 1,5 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen, dürfte
verfehlt werden. Das jedenfalls ist das Urteil mehrerer Experten (mehr dazu
lesen Sie hier).
Vom Ziel her gedacht, lautet der erste Eindruck vom Ampelplan also einmal mehr: zu
wenig und zu langsam.
In der Verteilung und Konstruktion der Ressorts ist den
drei Partnern aber immerhin ein Fortschritt gelungen, der sich noch
auszahlen dürfte. In den vergangenen Jahren wurde Klimapolitik regelmäßig
zwischen den beteiligten Ministerien Umwelt, Wirtschaft, Verkehr und
Landwirtschaft zerrieben, die sich teils gegenseitig bekämpften. In der neuen
Konstellation liegen Wirtschaft und Klima in der Hand des designierten
Vizekanzlers Robert Habeck, auch das Umwelt- sowie das Landwirtschaftsressort
wurde den Grünen zugeschlagen.
In diesen vier Bereichen darf man also eher auf Synergien
denn auf Blockaden hoffen. Was die SPD im klimapolitisch extrem wichtigen Bauministerium
voranbringt, wird man sehen, der größte Unsicherheitsfaktor aber ist
das Verkehrsministerium, das künftig unter FDP-Führung steht. Ob der
designierte Minister Volker Wissing die Wende einleitet oder den Kurs von
Andreas Scheuer fortführt?
Angesichts der Größe des
Regierungswechsels – die CDU ist nach 16 Jahren Kanzlerschaft raus aus der
Regierung, das erste Dreierbündnis auf Bundesebene nimmt die
Arbeit auf – wäre ein Abgesang auf 1,5-Grad-konforme Politik der Ampel
aber verfrüht. Ein Koalitionsvertrag ist schließlich kein Drehbuch,
sondern nur ein Festhalten von Programmpunkten, die man in jedem Fall erreichen
will. Darüber hinausgehen kann man schließlich auch. Dass das wirklich
passiert, ist ganz und gar nicht ausgeschlossen
Kurt Stuckenberg
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