Tagesschau hier Von Ingrid Bertram, WDR
Die Immobilienpreise sind hoch, weil Wohnraum knapp ist. Muss deswegen mehr gebaut werden? Nein, sagen Experten. Potenzieller Wohnraum sei da - den derzeitigen Neubau-Boom halten sie für "ökologischen Irrsinn".
Beim Vorbeifahren lässt sich nicht erkennen, was sich alles hinter der mosaikartigen Fassade verbirgt. Von der einen Seite kann man in der Magnusstraße 31 in der Kölner Innenstadt in ein Parkhaus fahren und das Auto fürs Shopping in der Stadt abstellen. Von der anderen Seite führt ein moderner Glaseingang in einen Wohnkomplex auf dem Deck des Parkhauses. Die Bungalowwohnungen reihen sich in mediterranem Weiß Tür an Tür in luftiger Höhe oberhalb des Stadtverkehrs. 31 Appartements wurden hier in bester Lage geschaffen. Die Designerwohnungen dürften zwar nicht für Entspannung bei den Kölner Immobilienpreisen sorgen. Trotzdem zeigt das Beispiel, wie Wohnraum entstehen kann, ohne neue Flächen zu versiegeln. Aber bisher ist es nur eines von wenigen.
Flächenversiegelung wächst
Derzeit wird in Deutschland ungebremst gebaut - und die Klimabilanz ist verheerend. Jeden Tag verschwinden mehr als 60 Hektar Fläche - für Wohnungsbau, Infrastruktur, Gewerbe und Verkehr. Ursprünglich sollten mit den Nachhaltigkeitszielen von 2002 die Flächenversiegelung bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag begrenzt werden. Dieses Ziel wurde aber mit den neuen Klimazielen auf 2030 verschoben. Mit dem derzeit rund doppelt so hohen Flächenverbrauch ist Deutschland noch weit von diesem Ziel entfernt.
Die Folgen der anhaltend hohen Flächenversiegelung: Das Wasser kann schlechter versickern, Überschwemmungen werden begünstigt. Mit jedem neuen Haushalt steigt der Energieverbrauch, und damit nehmen beim derzeitigen Energiemix auch die CO2-Emissionen zu.
Die deutschen Haushalte zusammen benötigen ungefähr gleich viel Energie wie die gesamte deutsche Industrie. Das liegt vor allem an der stetig wachsenden Wohnfläche pro Person: Derzeit bewohnt eine Person im Schnitt 46,5 Quadratmeter. Im Jahr 2000 waren es noch 39,5 Quadratmeter. Die Single-Haushalte werden mehr, und die Menschen leben länger allein, weil sie älter werden. Gleichzeitig wächst aber der Bedarf nach neuem Wohnraum.
Städte wie Donuts
Karsten Tichelmann von der TU Darmstadt hat in seiner "Deutschlandstudie" ermittelt, dass es derzeit einen Bedarf von 1,5 bis 1,7 Millionen Wohneinheiten gibt. Gedeckt wird der derzeit vor allem flächenweise mit Neubaugebieten rund um die Städte. Wie Donuts mit dicken Speckgürteln breiten sich die Städte in das Umland aus. Je weiter die Neubaugebiete von der City entfernt sind, desto intensiver wird der Pendlerverkehr.
Für Tichelmann ist das ein "ökologischer Irrsinn", zumal Neubau mit Fördermitteln wie dem Baukindergeld und KfW-Programmen intensiv unterstützt werden - das Bebauen bestehender Gebäude und die Sanierung aber deutlich weniger. Dabei wäre das aus seiner Sicht der richtige Weg.
Potenziellen Wohnraum gibt es genug
Tatsächlich schlummert mitten in den Städten ein großes Potenzial. Nicht nur Parkhäuser wie in der Magnusstraße in Köln, sondern auch Supermärkte und leerstehende Bürohäuser könnten umgewandelt werden. Viele dieser Gebäude stehen in bester Lage. "Autos in Parkhäusern brauchen keine schöne Aussicht", so Tichelmann, Menschen in Wohnungen schon.
In einigen Großstädten in den USA ist man schon einen entscheidenden Schritt weiter: Dort dürfen in Stadtgebieten neue Supermärkte und Parkhäuser nur noch unterirdisch gebaut werden, da sie eigentlich kein Licht benötigen. Würde man wiederum das Potenzial von bestehenden Gebäuden für Wohnraum richtig ausnutzen, so hätten nach der "Deutschlandstudie 2019" schon vor Corona 2,5 Millionen Wohneinheiten entstehen können. Mit der Pandemie und dem Trend zum Homeoffice werden derzeit sogar noch mehr Büroimmobilien frei. Die könnten leicht zu Wohnraum umfunktioniert werden.
Umdenken beim Wohnbedarf
Neubauen ist aber für viele der Weg des geringsten Widerstandes, weiß auch Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut. Für eine Umnutzung müssen Bauordnungen berücksichtigt, Eigentumsverhältnisse oder gar die Beteiligung von Finanzfonds geklärt werden. Das seien oft große Hürden.
Aber auch die Architektin und Umweltwissenschaftlerin fordert "einen Wachstumswandel". Schaue man allein auf die demografische Entwicklung, dürfte es keinen Mehrbedarf an Wohnraum geben. Sie sieht vor allem ein großes Potenzial im generationengerechten Wohnen. Viele Menschen lebten in Wohnflächen, die viel zu groß für ihre Bedürfnisse geworden seien. Gebaut wurden sie für eine Familie. Die Zeit, die sie nur noch zu zweit oder gar allein darin verbringen, werde aber immer länger.
"Was wirklich gebraucht wird, wird nicht hinterfragt", sagt Bierwirth. Aus ihren Forschungsprojekten weiß sie, "dass viele Menschen in ihrem Viertel oder Dorf wohnen bleiben wollen, aber nicht unbedingt in ihrer Wohnung". An dieser Stelle seien nicht nur Kommunen gefragt, sondern auch Länder und Bund. Einfamilienhäuser gäbe es, so schätzt sie, genug, wenn man den Senioren und Seniorinnen altengerechte Angebote als Alternative anbieten würde.
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