Klimareporter hier aus der Kolumne "Tacheles", Sebastian Sladek!
Sebastian Sladek ist geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Der studierte Archäologe ist seit 2011 bei dem bekannten Ökostromunternehmen im Schwarzwald in Geschäftsführungsverantwortung. Er gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.
Natürlich gibt es gute Gründe für verhaltenen Optimismus. Der Fahrplan für eine drastische Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus macht nach der jahrelangen Groko-Verhinderungspolitik Hoffnung.
Wirklich mutig wäre ein Bekenntnis zu 100 Prozent erneuerbaren Energien bis 2030 gewesen. Aber 80 Prozent Erneuerbare zur Deckung des Bruttostrombedarfs sind ein guter Anfang, und auch die Bezugsgröße von jährlich 680 bis 750 Milliarden Kilowattstunden ist realistisch. Das entspricht rund 600 Milliarden Kilowattstunden aus Erneuerbaren – so viel Strom wurde in Deutschland 2019 insgesamt erzeugt. Anspruchsvoll ist das auf jeden Fall!
Optimistisch stimmt auch das Ausbauziel bei der Photovoltaik. Die Ampel plant für 2030 etwa 200.000 Megawatt an installierter Solarleistung. Das ist ein echtes Ausrufezeichen, denn es bedeutet einen jährlichen Zubau von mindestens 15.000 Megawatt. Zu den Hochzeiten des Solarausbaus vor einem Jahrzehnt waren es um die 7.000 Megawatt.
Bei der Windenergie an Land werden die Ambitionen dann deutlich zurückhaltender. Der Vertrag kündigt zwar den Abbau vieler Hemmnisse an, ein konkretes Ausbauziel für 2030 fehlt jedoch. Das ist beunruhigend, denn gerade die Windkraft an Land, das zweite wichtige Zugpferd für die dezentrale Energiewende, birgt in Deutschland noch riesige Potenziale.
Realistischerweise wird der enorme Genehmigungsstau bei der Windkraft den Ausbau auch ohne Hemmnisse noch über Jahre verzögern, was das Fehlen eines konkreten Ziels nachvollziehbar macht.
Die Reaktivierung der Bürgerenergie
Der Vertrag nennt viele weitere, schon bekannte Vorschläge zur Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus. Ziemlich unerwartet und damit um so erfreulicher ist, dass die Bürgerenergie reaktiviert werden soll. Diese avancierte ja vor allem in den Nullerjahren zum Kerntreiber der Energiewende und wurde dann in den letzten Jahren bestenfalls ignoriert, wenn nicht gar gezielt kaltgestellt.
Nun soll die Reaktivierung mit den bürgerenergiefreundlichen Ideen der europäischen RED-Richtlinie gelingen, die im Altmaierschen Wirtschaftsministerium noch auf erbitterten Widerstand gestoßen waren. Die Neukoalitionäre nennen hier zum Beispiel das Recht auf Energy Sharing und die Anpassung der De-minimis-Regelung.
Schlussendlich ist mit dem Bekenntnis zu einem CO2-Mindestpreis und der Absenkung der EEG-Umlage auf null bis Ende kommenden Jahres auch ein wichtiger Schritt zur Beschleunigung der Sektorenkopplung getan, sodass erneuerbarer Strom künftig verstärkt in Wärmepumpen und Elektroautos genutzt werden kann.
Also Vollgas bei der dezentralen Energiewende in Richtung 1,5 Grad? Wohl nicht ganz, auch wenn der designierte Vizekanzler und Klimaminister Robert Habeck dies bei der Vorstellung des Papiers mit Inbrunst beschwor.
So vermisst man im Koalitionsvertrag leider schmerzlich den Bezug zu einem CO2-Budget. Will Deutschland seinen Beitrag zur Erreichung des Pariser Klimaziels leisten, dann dürfte die Bundesrepublik gemäß dem Sachverständigenrat für Umweltfragen seit 2020 nur noch knapp 6,7 Milliarden Tonnen CO2 emittieren. Im Koalitionsvertrag findet sich aber kein konkreter Anhaltspunkt, wie das Restbudget eingehalten werden soll.
Zwar schafft es das Papier recht glaubwürdig zu vermitteln, wie der Kohleausstieg bis 2030 über den CO2-Mindestpreis gelingen kann. Doch für "Paris" braucht es nicht nur Klarheit, was die Kohle angeht, sondern schnellstmöglich auch ein Ende der Erdgas-Verbrennung. Der Erdgasausstieg ist in seiner Klimawirksamkeit jahrelang unterschätzt worden.
Umso bedenklicher ist daher die Aussage, dass Erdgas "für eine Übergangszeit unverzichtbar" sei. Wann diese Übergangszeit endet, ist völlig offen. Selbst die Bedingung, dass neue Gaskraftwerke künftig "H2-ready", also für die Nutzung von Wasserstoff geeignet sein müssten, ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wärme und Verkehr bleiben Sorgenkinder
Besonders heikel wird es, wenn wir im Koalitionsvertrag auf das Thema Wärmewende schauen. Über 60 Prozent der Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor gehen auf die Erzeugung von Wärme auf Basis von Erdgas zurück. Der Wärmesektor war der einzige Sektor, der in den vergangenen Jahren stets seine Klimaziele verfehlte, und ist neben dem Verkehrssektor das größte Problemkind der Energiewende.
Das aktuelle Klimaschutzgesetz ist daher mit seinen strengen Sektorzielen und Sanktionsmechanismen ein wichtiges Steuerungsinstrument, um Fehlentwicklungen schnellstmöglich zu beheben. Just dieser Mechanismus soll aber nun wohl über die Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes im kommenden Jahr aufgebohrt werden, indem künftig nur noch eine "sektorübergreifende mehrjährige Gesamtrechnung" erfolgen soll.
Zwar soll es künftig "Klimachecks" sowie ein jährliches Monitoring geben. Doch bleibt völlig unklar, was genau damit bezweckt werden soll und vor allem welche Konsequenzen eine erneute Zielverfehlung zum Beispiel im Gebäudesektor haben werden. Hier entsteht der Eindruck, dass sich die Politikbereiche Wärme und Verkehr im Windschatten des ambitionierten Erneuerbaren-Ausbaus am notwendigen Ausstieg aus den fossilen Energien vorbeimogeln.
Nach alldem stellt sich noch die bedeutsame Frage, warum die Ampel auf eine Verschärfung der Klimaziele verzichtet und de facto mit dem weiterarbeitet, was die Groko im Eilverfahren noch vor der Sommerpause beschlossen hatte – obwohl allen klar sein muss, dass diese Klimaziele für Paris nicht ausreichen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Ampel-Vertrag ist aus energie- und klimapolitischer Sicht durchaus vielversprechend. Auch die Richtung stimmt, denn er stößt die Tür zum Lösungsraum auf.
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