Dienstag, 23. November 2021

Gas: Streit über EU-Taxonomie belastet Ampel-Verhandlungen

Handelsblatt  hier

Die Grünen lassen nicht locker: Nach ihrer Überzeugung würde eine Aufnahme von Erdgas und Atomkraft den Interessen von Verbrauchern zuwiderlaufen. Doch das sehen nicht alle so.

Die Grünen drängen darauf, Erdgas und Atomkraft von der EU-Taxonomie auszuschließen. „Für viele Verbraucherinnen und Verbraucher dürfte ein EU-Label für Finanzanlagen bei der Kaufentscheidung von großer Bedeutung sein. Die künftige Bundesregierung muss dafür sorgen, dass das EU-Label nicht auch auf Mogelpackungen klebt“, sagte Lisa Badum, Klimaexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, dem Handelsblatt. Geldanlagen, die in fossiles Gas oder in Atomkraft flössen, seien alles andere als nachhaltig. „Das dürfte sich mittelfristig auch auf die Rendite solcher Anlagen auswirken“, warnte sie.

Mit der EU-Taxonomie will die EU-Kommission einheitliche Standards für nachhaltige Geldanlagen schaffen, damit verstärkt Geldströme in grüne Technologien fließen. Bei Technologien, die die Klassifizierung nicht erhalten, wird es schwer oder gar unmöglich, Banken für eine Finanzierung zu gewinnen. Andererseits dürfte die Aufnahme in die Klassifizierung als eine Art Gütesiegel wahrgenommen werden und somit die Anlageentscheidungen von privaten Anlegerinnen und Anlegern beeinflussen.

„Es würde der Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie massiv schaden, wenn auch Atomkraft und fossiles Gas als nachhaltig deklariert würden. Rational begründen ließe sich das jedenfalls nicht“, sagte Badum. „Die Entscheidung würde vielmehr der massiven Lobbyarbeit der französischen Regierung folgen, die bereit zu sein scheint, Erdgas für nachhaltig zu erklären, wenn im Gegenzug die Kernkraft ebenso eingestuft wird“, ergänzte sie. Die EU-Taxonomie sei eine wichtige Richtschnur für Finanzmarktakteure und auch für Kleinanlegerinnen und Kleinanleger. Sie müsse verlässlich und zukunftsfest sein.

In den bislang bekannt gewordenen Entwürfen eines Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP findet sich ein Satz, der auf Drängen der Grünen aufgenommen wurde: „Gegen die Aufnahme von Atomkraft und Gas als nachhaltige Technologie wird sich die Bundesregierung einsetzen.“ Badum pocht darauf, diese Formulierung eins zu eins beizubehalten.

Energiebranche sträubt sich gegen die Pläne

Weite Teile der FDP und auch viele Pragmatiker in der SPD sehen das komplett anders. Sie halten angesichts von Kohle- und Atomausstieg den Neubau von Gaskraftwerken für unumgänglich.

Gaskraftwerke müssen immer dann als Back-up-Lösung einspringen, wenn Windräder und Photovoltaikanlagen keine nennenswerten Beiträge zur Stromerzeugung leisten. Die SPD und insbesondere die FDP wollen daher verhindern, dass Erdgas von der EU-Taxonomie ausgeschlossen wird.

Seit Tagen läuft auch die Energiebranche gegen die Pläne Sturm. Die künftige Bundesregierung müsse sich „in Brüssel dafür starkmachen, dass die Verwendung von Erdgas in der Taxonomie zumindest vorübergehend als nachhaltig berücksichtigt wird, bis fossiles Erdgas durch CO2-freie Gase und Wasserstoff ersetzt werden kann“, hatte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), in der vergangenen Woche dem Handelsblatt gesagt.

Ein Ausschluss von Erdgas konterkariere die Klimaschutzziele im Strom- und Wärmebereich, gefährde die Versorgungssicherheit und widerspreche damit auch den Zielen des Sondierungspapiers, auf das sich SPD, Grüne und FDP im Oktober verständigt hatten.

In Brüssel tobt der Streit über die Taxonomie seit Wochen. Das Thema hat das Potenzial, die deutsch-französischen Beziehungen zu belasten.

Frankreich bietet Deutschland Kompromiss bei Kernkraft an

Während in Deutschland Kernkraft als energiepolitisches Tabu gilt, bildet sie für Frankreich das Fundament der Transformation zur Klimaneutralität. Mit aller Macht kämpfen die Franzosen dafür, dass Nuklearkraftwerke das Siegel der Klimafreundlichkeit erhalten. Denn sie fürchten, dass die Taxonomie nicht nur zur Richtschur der Kreditvergabe von Banken wird, sondern künftig auch darüber bestimmen könnte, welche Technologien noch EU-rechtskonform staatlich förderbar sind.

Aus Sicht Frankreichs ist der Umgang mit der Kernenergie daher nicht verhandelbar. „Wir können die Taxonomie nicht ohne die Atomkraft denken“, hatte Finanzminister Bruno Le Maire vergangene Woche im Interview mit dem Handelsblatt gesagt.

Der Kompromiss, den Frankreich den Deutschen anbietet, lautet: Vorübergehend und „unter strikten Bedingungen“ könnte auch Erdgas unter die grünen Investitionsregeln fallen. „Wir wissen, dass Frankreich und Deutschland unterschiedliche Entscheidungen in der Energiepolitik getroffen haben“, so Le Maire. „Die Frage ist: Werden wir die Unterschiede hervorheben oder versuchen, eine Einigung zu finden?“

Aus Sicht der Grünen wäre das ein Albtraum. Weder Erdgas noch Atomkraft dürfen nach ihrer Überzeugung das Taxonomie-Siegel erhalten.

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