Süddeutsche Zeitung hier Kommentar von Wolfgang Krach
Da werden Erinnerungen an Willy Brandt geweckt
Was Scholz und seine Regierung vorhaben, ist notwendig. Es wird aber das Leben nahezu jedes und jeder Einzelnen dramatisch verändern. So sehr, wie das keine Bundesregierung bislang getan hat.
Olaf Scholz ist ambitionierter, als es Angela Merkel jemals war. Wird seiner Regierung die große Veränderung gelingen? Die Chancen stehen nicht schlecht. Der Wackelkandidat im Bündnis sind allerdings die Grünen.
Die
scheidende Kanzlerin war in keiner ihrer vier Regierungen so
ambitioniert. Sie hatte nie einen großen Reformplan für Deutschland. ....
Merkels
große Entscheidungen in ihren 16 Jahren als Kanzlerin waren nie solche,
die zu Beginn einer Legislaturperiode vorgesehen oder gar geplant
waren. Es waren fast immer Reaktionen auf akute Veränderungen und
Krisen: die Finanzkrise 2008, die Euro-Krise, der Reaktorunfall von
Fukushima 2011, die Flüchtlinge, die 2015 nach Europa kamen, am Ende
Corona. Merkel entschied oft mutig und richtig. Aber es war selten von
langer Hand vorbereitet. Merkel war kompetent, aber nicht
unbedingt planungskompetent.
Genau das aber - große Veränderung mit Ansage - streben SPD, Grüne und FDP nun an. Sie möchten nicht diejenigen sein, die nur auf Krisen reagieren (obwohl sie genau das bei Corona jetzt müssen), sondern gestaltend das Land verändern. Die letzte Regierung, die einen solch ehrgeizigen Plan hatte, war - vor mehr als 50 Jahren - die sozial-liberale von Willy Brandt. ....
Die Chance dafür, dass das neue Ampel-Bündnis in den nächsten vier Jahren seine Ziele erreicht, stehen nicht schlecht. ....Der Koalitionsvertrag ist kein Minimalkonsens und keine Ansammlung von faulen Kompromissen. Er trifft, im Gegenteil, klare Entscheidungen, die einer, manchmal auch zwei der Partner vorher ausdrücklich abgelehnt hatten. Das gilt neben dem Tempolimit (kommt nicht), Steuererhöhungen (kommen ebenfalls nicht) oder der Schuldenbremse (bleibt) auch für viele Punkte, die in der öffentlichen Debatte bis jetzt kaum eine Rolle spielen.
In der Gesellschaftspolitik summieren sich die vielen vermeintlich kleinen Veränderungen - Kindergrundsicherung, doppelte Staatsangehörigkeit, Arbeitserlaubnis für in Deutschland lebende Ausländer und, vor allem, die zwölf Euro Mindestlohn - am Ende zu einer großen. Überragt wird all dies freilich von einem Ziel: das Land so umzugestalten, dass 80 Millionen Menschen in der viertgrößten Volkwirtschaft der Welt klimaneutral leben. Was Scholz und seine Regierung dort vorhaben, ist notwendig. Es wird aber das Leben nahezu jedes und jeder Einzelnen dramatisch verändern. So sehr, wie das keine Bundesregierung bislang getan hat.
....Die größte Gefahr für die Stabilität der Regierung geht deshalb von den Grünen aus. Weil sie für das ehrgeizigste Projekt der Koalition stehen, den Kampf gegen den Klimawandel, werden sie sich als Erste rechtfertigen müssen - vor der Parteibasis, vor "Fridays for Future" und Umweltgruppen. Die werden drängen und meckern, dass die Veränderung nicht schnell genug geht. Von der anderen Seite her werden diejenigen, denen die Zumutungen der Klimapolitik zu weit gehen (und das sind nicht wenige), ebenfalls ihren Unmut bei Robert Habeck & Co. abladen. Da wird man leicht nervös.
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