Montag, 20. Dezember 2021

Demokratieverständnis: Fanatiker sind's

Süddeutsche Zeitung: hier  Auszüge aus der Kolumne von Carolin Emcke

Es war verantwortungslos und feige, lange Zeit Hetzer nicht als das zu benennen, was sie sind. Eine Demokratie braucht auch diese Fähigkeit: zu spalten.

.....Im Wörterbuch der Aufklärung, der 28-bändigen Enzyklopädie von Denis Diderot, findet sich folgender Eintrag, der immer noch gültig ist: "Fanatismus - das ist ein blinder Eifer, der abergläubischen Anschauungen entspringt und dazu führt, dass man nicht nur ohne Scham und Reue, sondern sogar mit einer Art Freud und Genugtuung lächerliche und grausame Handlungen begeht." Es reiht sich Jahr an Jahr, in dem wechselnde populistische Mobilisierungen absolut schamfrei auftreten und mit Genugtuung ihren lächerlichen und grausamen Furor exhibitionieren.


 Sie unterfüttern und flankieren ihre Positionen mit kruden Verschwörungsmythen: ganze Geschichten anfangs, später reichen dann bloße Erzählfetzen, einzelne Begriffe und Codes, die den Assoziationsraum aus Irrsinn und Ressentiment aufrufen, ohne noch irgendwelche Gründe oder Motive für den Furor angeben zu müssen.......

So verantwortungslos wie feige waren die rhetorischen Verrenkungen, die jahrelang in der Öffentlichkeit angestellt wurden, um diese radikalen, fanatischen Ideologien bloß nicht als das zu benennen, was sie sind, eben radikal und fanatisch, sondern um sie unbedingt noch als Teil des demokratischen Spektrums zu definieren. Was wurde da alles weichgespült, um nur bloß keine Abgrenzung formulieren zu müssen. Welche absurden Fehlinformationen wurden da aufgewertet als berechtigte "Skepsis" oder "Bedenken", die es unbedingt abzubilden und zu besprechen gelte, welch hanebüchener Narzissmus wurde da noch als "Freiheit" deklariert, die zu verteidigen sei. Eine gigantische Illusionsmaschine produzierte ständig das Bild einer Gesellschaft, die keine Umgangsformen, keine Regeln, keine Gesetze akzeptieren will.

Es wurde ein entstellendes, verwirrendes Vokabular geschaffen, das Kritik an den populistischen Mobilisierungen eilig als "Ausgrenzung" brandmarkte. Da wurde jede noch so systemfeindliche Position als "sorgenvoll" pädagogisiert, jede noch so abgesicherte Anhängerschaft als ökonomisch hilflos oder politisch vernachlässigt dargestellt, um nur ja nicht differenzieren und benennen zu müssen, wer da mit welchen Phantasien gegen "den Staat", gegen "die Medien", gegen "Genderwahn", gegen den "Bevölkerungsaustausch", gegen "die Verordnungs-Diktatur" protestiert. Jetzt wird staunend eine Radikalisierung beklagt, die man sich nicht erklären kann,....

Mit der Furcht vor der "Spaltung" wurden eben jene Gruppierungen legitimiert, die tatsächlich nichts anderes wollen als eine Spaltung der demokratischen Gesellschaft. ....

Eine demokratische Gesellschaft kann nicht bestehen, wenn sie sich in der öffentlichen Auseinandersetzung der Instrumente beraubt, begriffliche und politische Grenzen zu ziehen. ...

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