Sonntag, 19. Dezember 2021

EU: Teil 2 des "Fit for 55"-Pakets

 SPIEGEL Klimabericht von Viola Kiel

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

als supranationale Behörde hat man es nicht leicht. Erst recht nicht in einem Jahr, in dem der Kontinent, um den man sich kümmern soll, noch immer und schon wieder unter der Last einer Pandemie ächzt. In einem Jahr, in dem wieder einmal vieles drängender erscheint als die Bewältigung der Klimakrise, in dem international anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Konsens aber erneut klar und deutlich formulieren:
Die Zeit läuft ab, in der wir eine Chance haben, die Härte der Klimakrise abzufedern.

Deshalb ist hier der Moment der Anerkennung gekommen.

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Das, was die EU-Kommission vor wenigen Tagen vorgelegt hat, ist ein echt guter Schritt. Der zweite Teil des »Fit for 55«-Pakets enthält viele Punkte, die bürokratisch-unaufregend klingen mögen, die aber entscheidend sind, um die europäischen Klimaziele zu erreichen: klimaneutral bis 2050, 55 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030 – daher der Name des Maßnahmenpakets. Den ersten Teil hatte die Kommission am 14. Juli vorgelegt.

Was sind die wichtigsten Punkte aus Teil Zwei? Eine Auswahl:

  • Ein Fokus der Maßnahmen liegt auf Gebäuden mit hohem Energieverbrauch – ich hatte Sie ja gewarnt, es klingt dröge, ist aber wichtig. Denn: Gebäude sind für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU verantwortlich, und damit für mehr als ein Drittel der ausgestoßenen Treibhausgase. Dass sich das ändern sollte, erklärte auch die EU-Energiekommissarin Kadri Simson bei der Vorstellung der Maßnahmen am Mittwoch: Mehr als 85 Prozent der heutigen Gebäude »stehen auch noch 2050, wenn Europa klimaneutral sein muss«. Die 15 Prozent des Gebäudebestands mit der schlechtesten Klimabilanz in jedem Mitgliedsland sollen also saniert werden müssen. Ab dem Ende dieses Jahrzehnts müssten alle Neubauten klimaneutral sein.
  • Eine zweite Säule der Maßnahmen, die die Kommission vorgestellt hat, ist der Umgang mit fossilem Gas. Die Europäische Union will neue Öl- und Erdgaspipelines künftig nicht mehr mit eigenen Mitteln fördern. Statt in Erdgas solle in emissionsarme Gase wie Wasserstoff investiert werden. Vor allem in Sektoren wie der Schifffahrt oder der Industrie, wo viel fossiler Brennstoff eingesetzt wird, kann das einen gewichtigen Unterschied machen.
  • Und: Öl-, Gas- und Kohleindustrieunternehmen sollen sich mehr ins Zeug legen müssen, um Methanemissionen aus ihren Anlagen zu vermeiden. Außerdem soll es ihnen nur noch eingeschränkt erlaubt sein, überschüssiges Gas einfach zu verbrennen. Durch diese Maßnahme verspricht sich die Kommission, die Emissionen in den betroffenen Sektoren um 80 Prozent zu senken.
  • Die Land- und Forstwirtschaft soll finanziell dabei unterstützt werden, mehr CO₂ im Boden und in Pflanzen zu speichern. Bis 2030 sollen so nach Wunsch und Willen der EU-Kommission 42 Millionen Tonnen CO₂ in natürlichen CO₂-Senken gebunden werden. Wahnsinnig viel ist das nicht: Diese Summe entspricht ungefähr sechs Prozent der Gesamtmenge an Treibhausgasen, die 2020 in Deutschland freigesetzt wurden.
  • Die Kommission hat außerdem einen Gesetzesvorschlag vorgestellt, mit dem Vergehen an der Umwelt und der Natur – wie illegaler Holzhandel und illegale Wasserentnahme – härter bestraft werden können. Künftig sollen bis zu zehn Jahre Haft drohen.

»Überfällig« oder »Heuchelei?«

Und wie ist das zu bewerten?

Die Richtlinie zur Gebäudesanierung sei ein »überfälliger« Schritt, hieß es zum Beispiel von der Deutschen Umwelthilfe, doch die Maßnahmen im Gas-Sektor seien »ein frühes Weihnachtsgeschenk an die Gasindustrie«.

Das Netzwerk Friends of the Earth Europe sprach von einem »wichtigen Schritt« bei den Mindeststandards für die Energieeffizienz, aber von »Heuchelei« angesichts eines Gaspakets, das keinen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen vorsehe.

Gut – und »überfällig« – sei es, sagte der Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring, dass die Methanemissionen im Energiesektor erstmals reguliert würden. Nicht gut sei hingegen, dass es keine Minderungsverpflichtung für Methanemissionen außerhalb Europas gebe.

Einen »Erfolg« nannte der Chef des Nabu die verbindlichen Standards für Gebäude. Aber: »Fraglich bleibt, ob das Ambitionsniveau hier ausreichend ist.«

Ambitionen kann man immer vermissen

Nun kann man als Umweltverband schlecht sagen: Die Arbeit ist getan! Dann schafft man sich schließlich selbst ab. Und klar, Ambitionen kann man immer vermissen. Vieles, was die EU-Kommission vorgeschlagen hat, könnte weiter gehen. Und »vorgeschlagen« ist schon das nächste Problem: Umgesetzt werden müssen die Maßnahmen auch erst noch.

Trotzdem: Es gab schon schlechtere Nachrichten in diesem Jahr. Die EU hat das Problem der Klimakrise als umfassendes, Sektoren übergreifendes erkannt und zeigt Lösungen auf, zumindest für ein paar Problemteile. Für eine supranationale Behörde ist das nicht so verkehrt.

Und damit möchte ich mich für dieses Jahr verabschieden: Der SPIEGEL-Klimanewsletter geht in die Weihnachtspause. Die nächste Ausgabe senden wir Ihnen gern im neuen Jahr zu.

Dann gibt es bestimmt auch wieder einen Anlass, sich aufregen.

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