Mittwoch, 29. Dezember 2021

Unbequeme Wahrheit: Wie Deutschlands vermeintlich nachhaltiger Lebensstil die Erde zerstört

 RND  hier Auszüge

Konsum mit gutem Gewissen: Avocados, Lithium, Biosprit sind begehrte Produkte für einen „nachhaltigen“ Lebensstil in Europa.

Doch die Herkunftsländer leiden. Wassermangel, Monokultur und Abholzung spalten ganze Gesellschaften in Lateinamerika.

Das Problem der anderen?

In Deutschland kennt die Euphorie um die vermeintlich so umweltschonende E-Mobilität kaum Grenzen. Im südlichen Amerika macht sie Angst. Sie bedroht Territorien und Lebensgrundlage der indigenen Völker in Chile und in Argentinien. Dort, wo sich zwei der größten ausbeutbaren Lithiumvorkommen der Welt finden.
Wir sind gierig auf das so seltene und deshalb so wertvolle Metall, weil wir es brauchen für die Batterien all der E-Autos. Sie müssen für den Abbau das Kostbarste geben, was sie haben: Wasser. Für den Abbau braucht es viel Wasser. Und davon gibt es ausgerechnet dort, wo es Lithium gibt, ohnehin schon viel zu wenig. Nicht unser Problem? Das Problem der anderen? Der Lithiumabbau ist nur ein Beispiel dafür, wie vermeintlich guter und nachhaltiger Trendkonsum der Industrieländer Natur und Gesellschaft in Lateinamerika aus dem Gleichgewicht bringt.

Avocado, die Frucht der Reichen

 Längst kon­trolliert die Drogenmafia den Avocadoanbau in Mexiko, wird der Amazonasregenwald für Soja oder Biosprit abgeholzt. Sie nennen sie „Superfood“ oder „Superheldin der Küche“: Avocados sind gut fürs Herz, kurbeln den Stoffwechsel an und enthalten jede Menge Vitamine. Und überhaupt: Die Frucht peppt jedes Rezept auf, heißt es in einschlägigen Blogs und Foodmagazinen. Viele preisen sie als klimafreundlichen Fleischersatz. Mit einem solch grünen, gesunden Lebensmittel kann man eigentlich nichts falsch machen. Eigentlich. In Chile sind die Menschen da ganz anderer Meinung.

In der Provinz Petorca rund 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago de Chile fallen nur 200 Millimeter Regen pro Jahr. Das ist praktisch nichts. Die Einheimischen leben daher seit jeher in den Talsohlen, wo das Wasser der Andenflüsse bescheidene Landwirtschaft ermöglicht. Ausgerechnet hier konkurriert seit einigen Jahren ein Millionenheer durstiger Obstbäume mit den Menschen um das kostbare Wasser. Auf rund 8000 Hektar Fläche bauen Firmen Obst für den Export an, die meisten von ihnen Avocados, die dann in deutschen Supermärkten landen. Das Problem: Jeder Avocadobaum benötigt rund 600 Liter Wasser pro Woche, hat die Nichtregierungsorganisation Rettet den Regenwald ausgerechnet. Mit Pumpen saugen die Firmen das Wasser aus Tiefbrunnen in die Bewässerungsteiche. Die Rechnung bezahlen die Kleinbauern: mit ausgetrockneten Flüssen, verdorrter Vegetation, brachliegenden Feldern und Grundwasserknappheit.

Wasser ist in Chile privatisiert. Nun soll eine neue Verfassung die Rechte neu klären. Der Kampf ums Wasser ist in Chile zur gesellschaftlichen Frage geworden – und damit auch die Entscheidung, wie die Avocados der Zukunft produziert werden sollen.........

Und noch ein Beispiel: Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Euphorie in Europa schon einmal so groß wie jetzt angesichts der Elektromobilität. Biosprit schien die Antwort zu sein auf die Herausforderungen des Klimawandels. Hochgestimmt reisten damals Politiker aus Deutschland nach Brasilien, um dem eingeleiteten Strukturwandel hin zum Biosprit Beifall zu zollen. Der damalige Präsident Lula da Silva ließ in den Anfangsjahren seiner Amtszeit (2003–2011) sogar doppelt so viel Regenwald abholzen wie der heutige Amtsinhaber Jair Bolsonaro.

Treibstoff ohne Zukunft

Der damalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin lobte in Brasilia diese Weichenstellung als vorbildlich, das Land sei auf dem Weg der Biospritproduktion Europa ein gutes Stück voraus. Zu Hause machte Trittin Lobbyarbeit für eine Energiewende nach brasilianischem Muster: „Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts, der Landwirt wird zum Energiewirt.“

Gut 15 Jahre nach dem Boom ist das Ergebnis der damaligen Neuausrichtung verheerend: „Die Produktion von Biosprit hat in Brasilien eigentlich nur einen Sieger hervorgebracht, nämlich die Agrarindus­trie“, sagt Professor Guilherme Ferreira, Geograf und Umweltblogger aus Recife. „Verloren hat der Regenwald, weil in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv abgeholzt wurde. Verloren haben die indigenen Völker, die aus ihren Territorien vertrieben wurden. Und verloren hat die Natur, weil sie durch Pestizide und Monokulturen zerstört wird.

Im Bundesstaat Maranhao lässt sich das an konkreten Zahlen festmachen: Im Jahr 2000 wurde noch auf 19 912 Hektar Fläche Zuckerrohr angebaut. Im Jahr 2019 waren es dem brasilianischen Institut für Geografie und Statistik zufolge 47 405 Hektar, also zweieinhalb Mal so viel. Fast alles für Bioethanol. .......

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