DER SPIEGEL – SPIEGEL Klimabericht <themennewsletter@newsletter.spiegel.de>
Auf der
Uno-Klimakonferenz in Glasgow hatten rund 20 Staaten angekündigt, nach Ende des
Jahres 2022 keine Kohle-, Erdöl- und Erdgasprojekte im
Ausland mehr zu finanzieren. Auch Deutschland schloss sich, nach erstem Zögern,
der Initiative an. Viele Klimaschutzorganisationen begrüßten die
Entscheidung, denn ohne die Abkehr von fossilen Brennstoffen bleiben die Ziele
des Pariser Klimaabkommens unerreichbar. Doch in das Lob für die Initiative mischen sich
kritische Stimmen. Und einige Fachleute werfen den reichen, westlichen
Industrienationen Heuchelei vor: Während sie den Abbau fossiler Brennstoffe in einkommensschwachen
Ländern stoppen wollen, treiben viele unter ihnen die Förderung von Öl, Kohle
und Gas im eigenen Land munter voran.
So lag zum Beispiel die Gesamtrohölproduktion der USA im November
bei rund 11,7 Millionen Barrel pro Tag. Für das kommende Jahr werde ein Anstieg
erwartet, bis auf 12,1 Millionen im vierten Quartal 2022. Müssen wir über
»grünen Kolonialismus« sprechen? Gleichzeitig, sagen manche, entgeht den ärmeren
Nationen so ein Zugang zu günstiger Energie, und damit die Chance auf Wachstum
und Wohlstand. Sogar von einem »grünen Kolonialismus« ist in diesem
Zusammenhang die Rede.
In der
Zeitschrift »Foreign Policy« haben die Wissenschaftlerin
Vijaya Ramachandran und der Wissenschaftler Todd Moss, der das
Non-Profit-Netzwerk The Energy for Growth Hub leitet, ihre Gedanken
dazu notiert. Sie richten ihren Blick auf Afrika. Und schreiben: Diese Form der
Klimapolitik schade Millionen von Menschen auf dem afrikanischen Kontinent,
»indem sie die wirtschaftliche Entwicklung ihres Kontinents verlangsamt,
während sie, wenn überhaupt, nur wenig zur Bekämpfung des Klimawandels
beiträgt«. |
Betrachte man die Bevölkerung, die südlich der Sahara
lebt, werde das Verhältnis deutlich.
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Mehr als eine
Milliarde Menschen sind in den 48 Ländern zu Hause, die man dem
Subsahara-Gebiet zuordnet, exklusive Südafrika. Sie sind zusammengenommen für
weniger als 0,55 Prozent der kumulierten globalen Kohlenstoffemissionen
verantwortlich – obwohl sie 13 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. ·
Zählt man
Südafrika dazu, übersteigt der Anteil immer noch nicht die Marke von 1,3
Prozent der Gesamtemissionen. ·
Von den
Emissionen, die 2020 neu ausgestoßen wurden, verantworten die Länder südlich
der Sahara (wieder ohne Südafrika) rund ein Hundertstel. ·
Der
durchschnittliche Pro-Kopf-Stromverbrauch in den Industrieländern der OECD ist
mehr als 50-mal so hoch wie in jenen Ländern. ·
Einer Schätzung zufolge verbrauchen Menschen in Kalifornien mehr Strom
für das Spielen von Videospielen als knapp 54 Millionen Menschen in Kenia für
alles andere.
Und: Für den Betrieb eines durchschnittlichen
US-amerikanischen Kühlschranks ist jährlich mehr Energie nötig, als ein Mensch
in Äthiopien, in Kenia, im Senegal oder in Ghana in einem ganzen Jahr
verbraucht
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Andrey Popov / Getty Images/iStockphoto |
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| Doch was jetzt noch kein großes Problem ist, könnte
eines werden – oder? Bis zum Jahr 2100 könnten auf dem gesamten afrikanischen
Kontinent mehr als dreimal so viele Menschen leben wie
heute. Und mehr Menschen verbrauchen mehr Energie. Die Internationale Energieagentur schätzte 2019,
dass sich der Energiebedarf Afrikas bis 2040 verdoppeln oder gar verdreifachen
könnte
Energie ist
»das Fundament aller modernen Volkswirtschaften«
Panik sei
angesichts dieser Entwicklung jedoch nicht angebracht, meinen Ramachandran und
Moss – im Gegenteil: »Dies ist eine gute Nachricht«, schreiben sie. »Energie
ist für das moderne Leben von grundlegender Bedeutung und das Fundament aller
modernen Volkswirtschaften. In der Tat sind die Menschen in Afrika zum großen
Teil arm, weil sie energiearm sind.«
Und sie rechnen vor: Würde sich der Stromverbrauch der
Länder südlich der Sahara verdreifachen und würden diese Länder den höheren
Verbrauch durch Erdgas decken – die Art fossiler Brennstoffe, die am häufigsten
auf dem afrikanischen Kontinent zu finden ist –, läge der zusätzliche CO₂-Ausstoß bei 0,62 Prozent der jährlichen
weltweiten Kohlenstoffemissionen.
Zudem verfolgten einige Staaten in Afrika den Pfad zur
Klimaneutralität bereits konsequenter als manch westliche
Industrienation: Kenia, Sambia und Äthiopien etwa decken schon
jetzt mehr als die Hälfte ihres Strombedarfs aus erneuerbaren Energien.
Es sollte nicht
um Klimaschutz oder Armutsbekämpfung gehen
Das alles
muss nun nicht heißen, dass der Vorstoß auf dem Klimagipfel kein Erfolg ist
oder werden wird. Aber dem Kampf fürs Klima wäre entschieden mehr
geholfen, wenn die Unterzeichner-Staaten die Finanzierung eigener nationaler
Rohstoffprojekte beenden würden.
| Und womöglich wäre dieser Kampf gerechter, würden die
reichen Länder den Ausbau der Energieversorgung in afrikanischen Staaten auch
dann weiter unterstützen, wenn Erdgas genutzt wird. Die Finanzierung der
Entwicklung fossiler Brennstoffe zu blockieren, »verhindert Afrikas Versuche,
sich aus der Armut zu befreien«, schrieb dazu etwa Yoweri Museveni, der
Präsident von Uganda, in einem Kommentar im »Wall Street Journal« im Oktober. In Uganda
haben rund 41 Prozent der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität.
Es gibt
zwei Probleme, die die Weltgemeinschaft lösen muss. Sie muss die Klimakrise
eindämmen und sie muss extreme Armut beenden. Das eine sollte dabei nicht gegen
das andere ausgespielt werden müssen |
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