Montag, 6. Dezember 2021

"Wir betreten bei der Klimawende gemeinsam unbekanntes Gelände"

Süddeutsche Zeitung   hier    Interview von Michael Bauchmüller

Wie viel Klimaschutz steckt wirklich im neuen Koalitionsvertrag?
Wissenschaftler Ottmar Edenhofer spricht über die großen Vorhaben der Ampel - und die Konflikte, die sie dabei lösen muss.

Ottmar Edenhofer, 60, ist der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er gilt als Experte auf dem Gebiet der CO₂-Bepreisung und beriet neben der Bundesregierung auch Papst Franziskus. An der Technischen Uni Berlin hat er einen Lehrstuhl zur Ökonomie des Klimawandels inne. Im vorigen Jahr wurde ihm der Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt zuerkannt.

SZ: Herr Edenhofer, wieviel Klimaschutz steckt im Koalitionsvertrag der Ampel?

Ottmar Edenhofer: Ich würde sagen, es sind keine Türen zugemacht worden. Manche sind geöffnet worden. Aber wie viel Klimaschutz mit diesem Koalitionsvertrag wirklich gelingt, das wissen wir erst, wenn die Regierung durch die Türen gegangen ist. Um mal im Bild zu bleiben.

Welche Türen haben Sie entdeckt?

Zuallererst mal den Kohleausstieg. Der soll zwar nur "idealerweise" im Jahr 2030 stattfinden. Aber er wird flankiert von dem Plan, notfalls einen Mindestpreis von 60 Euro je Tonne Kohlendioxid einzuführen. Damit wird die Kohle mit ihrem heftigen CO₂-Ausstoß verlässlich verteuert, und die Kraftwerksbetreiber haben Klarheit. Die wissen jetzt, dass es der Koalition mit einem Ausstieg 2030 ernst ist. Das ist klimaökonomisch sehr sinnvoll. Tür zwei wäre für mich das "Klimageld".

Sie meinen den Ausgleich für den CO₂-Preis, den sich die Koalition ausdenken will?

Ja. Denn das ist die Voraussetzung, um steigende Preise für Kohlendioxid auch sozial abzufedern. Das ist nötig, aber es ist eben auch möglich. Dieses Instrument werden wir auf Dauer brauchen, wenn wir mit Preisen auf Kohlendioxid den Verbrauch von Heizöl, Erdgas, Diesel und Benzin drosseln wollen - hier braucht es einen Sozialausgleich, und den will die neue Regierung schaffen.

Einen steigenden CO₂-Preis hat die Ampel aber nicht verabredet. Welchen Zweck hat dann das "Klimageld"?

Wie gesagt, es geht bei dem Instrument Klimageld durchaus auch um die Vorbereitung höherer CO₂-Preise. Aber es ist sicherlich enttäuschend, dass man die nicht jetzt schon verabredet hat. Da hat man sich zu sehr von den derzeit hohen Preisen an den Energiemärkten beeindrucken lassen.

Von dem geplanten Ausbau der erneuerbaren Energie haben Sie jetzt gar nichts gesagt - auf 80 Prozent am Strommix bis 2030. Ist das nicht ein Riesenschritt nach vorn?

Wenn er kommt, ist das in der Tat ein großer Schritt. Aber da hat man zunächst einmal nur ein schönes Ziel formuliert. Hier muss die Regierung rasch konkrete Wege aufzeigen. Dieser Ausbau ist extrem ambitioniert, auch wenn man alle Verfahren erleichtert. Das wird schwer werden.

Wo sehen Sie die größten Hindernisse?

Es gibt da jede Menge Konflikte, die entschärft werden müssen: mit der lokalen Bevölkerung beim Ausbau der Windkraft, zwischen Naturschutz und Klimaschutz, oder beim Flächenverbrauch, wenn es um Energiepflanzen geht. Diese Konflikte werden beträchtlich sein. Insgesamt würde ich sagen: Das ist ein Koalitionsvertrag, der arm ist an großen Bildern, aber reich an vielen Details. Ob sich die vielen Details zu einem großen Gesamtbild zusammenfügen, das ist noch offen. Aber es gibt auch Details, die wichtig sind.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die künftige Gestalt des Strommarktes. Wenn wir 80 Prozent erneuerbaren Strom haben, dann haben wir ein ganz neues Zusammenspiel zwischen Stromerzeugung und -speichern. Elektrizität wird im Verkehr, in der Wärme, in der Industrie eine immer größere Rolle spielen. Das verändert den Markt fundamental. Und da sagt die Koalition: Wir brauchen einen Prozess, um diesen Strommarkt neu zu gestalten. Das finde ich eine kluge Entscheidung. Strommarkt-Design, das klingt für viele langweilig, ist aber entscheidend wichtig, damit die Energiewende wirklich gelingt. Und damit dann eben auch Klimaschutz möglich wird. Was mir nur noch nicht klar ist, ist die Begeisterung, die hinter all den Details steckt.

Was meinen Sie?

Vieles ist im Koalitionsvertrag beschrieben, aber mit welcher Verve sich diese Koalition für den Klimaschutz einsetzen wird, das lässt sich daraus schwer ablesen. Das mag auch an der Konstellation der drei Parteien liegen, die unterschiedliche Prioritäten haben. Aber der Klimawandel geht alle an, das haben wir doch zuletzt etwa bei den Fluten im Westen Deutschlands gesehen. Gerade auf europäischer Ebene wird Deutschland eine Menge Enthusiasmus aufbringen müssen, denn Europas großes Klimaschutzprojekt, der Green Deal, ist in akuter Gefahr.

Wieso, was ist los?

Es gibt eine unglaubliche Angst vor Gelbwesten. Kaum steigen die Energiepreise, wollen schon die ersten Staaten intervenieren. Aber wenn wir den Green Deal aufweichen, wird Europa seine Klimaziele nicht schaffen können, dann rückt die Klimaneutralität in große Ferne und die Klimarisiken nehmen zu. Da hat die neue Bundesregierung jetzt eine riesige Verantwortung.

Ist denn Deutschland mit dieser Koalition auf Kurs Klimaneutralität?

Deutschland will das ja schon 2045 erreicht haben, was auch richtig ist. Dieses Ziel ist so ambitioniert, dass ich vor der Größe der Aufgabe wirklich Respekt habe, vom Ausbau der erneuerbaren Energien bis hin zur Umstellung auf grünen Wasserstoff in Schlüsselsektoren unserer Wirtschaft oder der Förderung synthetischer Kraftstoffe. Das sind dicke Bretter. Insofern hoffe ich, dass die Ankündigung der Ampel stimmt: Sie wollen eine lernende Regierung sein. Denn wir betreten bei der Klimawende gemeinsam unbekanntes Gelände, in dem man falsche Entscheidungen auch korrigieren können muss. Da gibt es einiges zu lernen. Für uns alle.

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