Sonntag, 12. Dezember 2021

Namhafte Unternehmen schreiben offenen Brief gegen Atomkraft und Erdgas

 Der Standard aus Österreich hier   von Aloysius Widmann, Nora Laufer

EU-TAXONOMIE

Vor Weihnachten soll entschieden werden, ob Atomkraft und Erdgas von der EU als nachhaltig eingestuft werden. Heimische Betriebe fordern von der Regierung, dagegen zu kämpfen

Der 22. Dezember könnte der Tag sein, an dem es so weit ist. Dann könnten, mutmaßt das Portal "Politico", Atomenergie und Erdgas von der EU das Label nachhaltig verpasst bekommen. Mit fast allem, was dazugehört, also auch besserem Zugang zu Förderungen und privaten Investitionen. Zwar sind die beiden Energieträger nicht Teil der delegierten Verordnung EU-Klimataxonomie, die in der Nacht auf Donnerstag den EU-Rat passiert hat. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Wie man mit Erdgas und Kernenergie verfahren wird, sollen ergänzende Rechtsakte festlegen, heißt es vonseiten der EU. Sie könnten also noch Eingang in die Liste finden, allerdings unter schärferen Bedingungen.

Die Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem, das nachhaltige Investitionen definiert, sie soll Investitionen in klimafreundliche Anlagen lenken. Also auch dafür sorgen, dass Fondsgesellschaften nicht mehr ihre eigenen Nachhaltigkeitskriterien definieren. Kriterien für "grüne" Bioenergie, Wasserkraft oder Forstwirtschaft wurden bereits festgelegt, Kernkraft und Erdgas sind allerdings höchst umstritten. In einem offenen Brief, der dem STANDARD vorab vorlag, fordern die Umweltorganisation WWF sowie eine Reihe heimischer Unternehmen – darunter Spar Österreich, Vöslauer und Ochsner – die Bundesregierung auf, alles zu unternehmen, um die Aufnahme von Kernkraft und Erdgas in diese Liste nachhaltiger Investitionen zu verhindern.

Vor wenigen Tagen hat sich auch die Raiffeisen Bank International (RBI) gegen die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie ausgesprochen. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und der konzernweite Verhaltenskodex hätten die RBI zu diesem Schritt bewogen, wie auf ihrer Homepage zu lesen ist.  Die Entscheidung ist durchaus von Relevanz: Der Entschluss stellt die Weichen für große Finanzströme. Investoren und Bürger sollen so klarere Informationen über nachhaltige Finanzprodukte erhalten – was für die Klimawende notwendige Milliarden mobilisieren könnte.

Offener-Brief-gegen-Atomkraft-und-Erdgas-in-der-Taxonomie.pdf

Größe: 0,34 MB

Initiiert wurde der offene Brief von der Umweltorganisation WWF, zu den Unterzeichnern gehören auch die VBV-Vorsorgekasse, Raiffeisenbank Gunskirchen, BKS-Bank und Gugler.

Zur Forderung gehört auch, eine starke Länderallianz für ein "wissenschaftsbasiertes, klima- und naturverträgliches Vorgehen" bei der Taxonomie zu bilden. In der EU gibt es nämlich zwei Blöcke. Der um Frankreich, Polen und Tschechien spricht sich dafür aus, Kernenergie und Gas als nachhaltig zu klassifizieren, auch die EU-Kommission tendiert in diese Richtung. Der andere, dazu gehören neben Österreich etwa auch Deutschland, Luxemburg und Portugal, hat im November während der Weltklimakonferenz in Glasgow bekräftigt, dass man keine Technologien in der Taxonomie sehen wolle, die nicht wirklich grün sind.

Im Klimaschutzministerium stößt der Brief wohl auf offene Ohren. Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat in der Vergangenheit bereits betont, dass Gas und Atomkraft als umweltfreundlich darzustellen die Glaubwürdigkeit der Taxonomie aufs Spiel setze. In eine ähnliche Kerbe schlagen heimische Umweltschutzorganisationen.....

Delegierte-Verordnung-EU.pdf

Größe: 2,92 MB

..."Wenn Atomkraft und Gas einen grünen Stempel erhalten, wird ein glaubwürdiges Instrument zur Klimaschutzfinanzierung für fahrlässige politische Interessen geopfert", kritisiert Jakob Mayr vom WWF. "Die Taxonomie läuft damit Gefahr, von einem Goldstandard zu einem Werkzeug für Greenwashing zu werden."...

Erdgas ist zwar weniger dreckig als Kohle, aber nichtsdestotrotz schädlich für das Klima, wie die Unterzeichner des Briefes betonen. Allein in Österreich ist der Energieträger laut WWF für 20 Prozent der Emissionen verantwortlich, bei seiner Förderung entstehen außerdem Methaneimissionen – die besonders schädlich für das Klima sind."Auch die Atomkraft ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig und wäre daher die völlig falsche Antwort auf die Klima- und Biodiversitätskrise", heißt es in dem Schreiben an die Bundesregierung. Gegen die Kernkraft spricht nicht nur das Problem mit dem Atommüll, der Jahrtausende weiterstrahlt. AKWs sind auch teuer, langsam und nicht wirklich rentabel. Beim Klimaschutzministerium betont man stets, dass es viel sinnvoller sei, verfügbares Geld in sofort verfügbare grüne Technologien wie Photovoltaik zu stecken anstatt in AKWs.

...Die Klimawende wird in Europa jedenfalls nicht ganz ohne Erdgas funktionieren. Experten des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam (PIK) betonen, dass der Energieträger als Brückentechnologie gebraucht werde, um die Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf Netto-Null zu drücken. Für die Abdeckung von Energiespitzen werde es auch darüber hinaus Erdgaskraftwerke brauchen, als Reserve. Allerdings solle man darauf achten, dass neue Erdgaskraftwerke auch auf Wasserstoff umgestellt werden können, sagte Gunnar Luderer vom PIK im November. Eine Frage ist freilich, ob solche Brückentechnologien nicht sowieso an genügend Geld kämen, ob es also die Aufnahme in die Taxonomie überhaupt braucht. Frankreich hat ohnehin bereits Investitionen in nukleare Energie angekündigt.

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