Montag, 6. Dezember 2021

„Gerichte für Klimaschutz anrufen“

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Juristin über die Klimakrise

Illegale Aktionen der Klimabewegung können juristisch gerechtfertigt sein, meint Anwältin Roda Verheyen. Sie bekämpft die Klimakrise im Gerichtssaal.

Teile der Klimaschutzbewegung setzen auf zivilen Ungehorsam, brechen also bewusst Gesetze, um auf ein höher stehendes Unrecht hinzuweisen. Was halten Sie davon?

Ich selbst breche nicht das Recht, auch nicht demonstrativ. Als Anwältin und ehrenamtliche Richterin bin ich schließlich Organ der Rechtspflege. Aber ich kann gut nachvollziehen, wenn Menschen aus der Klimaschutzbewegung so verzweifelt sind, dass sie auch symbolische Rechtsbrüche begehen.

Um die Verteidigung solcher Aktivistinnen und Aktivisten besser zu finanzieren, gibt es jetzt den Umwelt-Treuhandfonds, an dessen Gründung ich beteiligt war.

Der Klima-Aktivist Tadzio Müller hat neulich im Spiegel prophezeit, es werde bald eine „grüne RAF“ geben, wenn sich Politik und Gesellschaft weiterhin so ignorant verhalten …

Gewalt gegen Personen ist in den Kriterien des Umwelt-Treuhandfonds ausgeschlossen. Allerdings wird oft übersehen, dass Blockaden oder Schornsteinbesetzungen auch juristisch gerechtfertigt sein können, weil der Einsatz für Klimaschutz notwendig ist.

Gibt es bereits entsprechende Gerichtsurteile?

Nicht in Deutschland, aber zum Beispiel in Großbritannien und der Schweiz. So wurden schon 2008 in England Greenpeace-Aktivisten freigesprochen, die den Schornstein des Kohlekraftwerks Kingsnorth besetzt hatten.

Ist es richtig, wenn Gerichte Klimapolitik betreiben und dem demokratisch gewählten Gesetzgeber Vorgaben machen?

Natürlich soll die Politik die konkreten Maßnahmen bestimmen. Aber die Staaten haben sich im Pariser Klima-Abkommen verpflichtet, die Erderwärmung wirkungsvoll zu begrenzen, und das ist auch zum Schutz von Menschenrechten erforderlich. Deshalb ist es legitim, wenn Gerichte angerufen werden, um dafür zu sorgen, dass die Staaten dieses Ziel umsetzen und einhalten.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Gedanken, dass jedem Staat nur ein bestimmtes CO2-Budget zum Ausstoßen zur Verfügung steht, in den Verfassungsrang erhoben – ein großer Erfolg der Klimabewegung?

Ja, aber das Bundesverfassungsgericht hat nicht als erstes Gericht so argumentiert. Das Verwaltungsgericht Berlin, wo ich 2019 mehrere Familien und Greenpeace vertreten habe, ist bereits von nationalen Klimabudgets ausgegangen.

Auch die niederländischen Urgenda-Urteile, die ich für das Bundesverfassungsgericht übersetzen ließ, argumentierten, dass jeder Staat seinen Anteil an der großen Aufgabe Klimaschutz erfüllen muss. Es sei nicht zulässig, zu behaupten, der eigene Anteil sei nur „ein Tropfen im Ozean“ und daher rechtlich irrelevant.

Was wird das nächste große Klima-Urteil?

Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sind vier wichtige Klimaklagen anhängig. Die Verfahren der portugiesischen Kinder und der Schweizer Klima-Seniorinnen sind schon recht weit gediehen und sehr aussichtsreich. Hier rechne ich im kommenden Jahr mit dem nächsten großen Erfolg.

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