War's die FDP oder doch "Differenzen bei der Wirtschaftspolitik"? So einfach ist es nicht. Das Ampel-Aus liegt auch an einem Unwillen, komplexe Krisen anzuerkennen.
Ampel? Wollen Sie nichts mehr darüber lesen. Kann ich verstehen. Und trotzdem: Einmal noch sollten wir kurz auf die gescheiterte Regierung blicken, nein, nicht um noch mal über Christian Lindner zu stöhnen. Das wäre wirklich zu viel der Ehre. Nein, in den folgenden Zeilen geht es darum, dass nicht die falschen Lehren aus dem Scheitern der Regierung gezogen werden und sich dauerhaft festsetzen. Passiert das nämlich, könnte sich nicht nur die nächste Regierung wieder genau wie die Ampel zerfetzen. Es würde sich auch die Gesellschaft noch weiter spalten. Und irgendwann würden dann auch keine Katzenvideos mehr vor den Sorgen ablenken können.
Was also ist wirklich passiert? Bisher gibt es für das Zerbrechen der rot-grün-gelben Koalition zwei Erklärungen. Die erste lautet: Die Ampel ist an "der FDP" gescheitert. Die zweite formuliert es etwas abstrakter, sie begründet das Desaster mit unüberbrückbaren Gegensätzen in "Haushalts- und Wirtschaftspolitik". Beides stimmt in Teilen. Und doch gibt es noch einen dritten, viel entscheidenderen Grund. Einen, über den gleich aus mehreren Gründen wenig geredet wird: Die Ampel war die erste Bundesregierung, die an der Polykrise gescheitert ist.
Was abgedreht klingt, ist heute passend
Ja, richtig gelesen: Polykrise! Ich weiß, das klingt ein bisschen abgedreht. In etwa so, als ob jemand im Sommer an einem Herzinfarkt gestorben ist, und dann sagt der Doktor: Die wahre Todesursache war die Klimakrise. Kann zwar stimmen, schließlich sorgt die tatsächlich für immer mehr Hitze und durch diese sterben nachweislich immer mehr Leute. Auf dem Totenschein würde sie trotzdem nicht stehen.
Die Polykrise als Grund für das Ampel-Aus scheint auf den ersten Blick ähnlich vage. Hier ist die Kausalkette sogar noch schwerer zu knüpfen (was einer der Gründe ist, warum es so selten passiert.) "Christian Lindner ist schuld!", ist jedenfalls deutlich einfacher. Und ja, Lindners Vulgärliberalismus und sein Mangel an Ernsthaftigkeit haben die Probleme der Ampel ebenso verschärft wie Scholz' Führungsstil. Und doch ist das grundlegendere Problem die Ignoranz gegenüber einem grundsätzlichen Wandel. Oder anders formuliert: Die Polykrise ist der neue dauerhafte Aggregatzustand der Welt, in dem Politik heute gemacht werden muss. Und das wollten oder konnten vor allem Lindner, aber auch Scholz nicht sehen. Und noch weniger wollten oder konnten sie es zu Grundlage einer neuen Art von Politik machen. Dabei wäre genau das nötig gewesen.
In Zeiten der Polykrisen zu regieren, bedeutet, nicht mehr nur auf eine, sondern ständig zugleich auf eine ganze Zusammenballung an Problemen reagieren zu müssen. Was noch dadurch erschwert wird, dass keines mehr allein gelöst werden kann, weil immer auch die anderen zu bedenken sind. Ein aktuelles Beispiel? Da greift Russland die Ukraine an, bei uns explodieren die Energiepreise, das macht das alte Wirtschaftsmodell kaputt, dessen Grundlage der Import von billigem Gas aus Russland war. Der Staat musste in der Folge der Ukraine mithelfen, die eigenen Bürger beim Heizen mit Milliarden unterstützen und auch noch das Energiesystem umbauen. Dadurch stellte sich die Verteilungsfrage neu. Und wenn diese nicht gut beantwortet wird, befeuert dies wiederum den Populismus.
Problem nach Problem abzuarbeiten, geht nicht mehr
Polykrisen-Wirkungsketten können unglaublich lang und kompliziert werden. Für die Politik ergibt sich daraus aber eine klare Konsequenz: Regierungen können auf Polykrisen nicht mehr mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts reagieren, also ein Problem schön nach dem anderen abarbeiten. Sie dürfen nicht mehr davon ausgehen, dass sie zu Beginn ihrer Regierungszeit einen Koalitionsvertrag verhandeln und den dann Spiegelstrich für Spiegelstrich abarbeiten. Und schon gar nicht sollten sie Politik in Silos machen, so als ob jedes Ministerium sich nur um sein Thema kümmern müsste. Genau das aber hat die Ampel – mit Ausnahmen der Verteidigungs- und Ukrainepolitik – getan. Sie hat zwar viel und gern öffentlich übereinander geredet, sich aber in entscheidenden Fragen offensichtlich nie auf eine gemeinsame Problemanalyse einigen können. Sonst hätte sie spätestens nach dem Urteil des Verfassungsgerichts eine grundsätzlich andere Finanzpolitik machen müssen.
Der kommenden Regierung könnte Ähnliches wieder passieren – schafft sie nicht zu Beginn ihrer Koalitionsverhandlungen, noch bevor die Spiegelstricherei beginnt, eine andere, vertrauensvollere, haltbarere Grundlage für ihr Handeln. Eine schonungslose, gemeinsame Analyse der Lage. Und ein paar grundsätzliche politische Entscheidungen, die dann aber genug Spiel lassen, um auf Situationen schnell reagieren zu können.
Man kann so etwas übrigens bei Profis lernen. Die nennen das Zukunftsimagination. Im Futurium, nur ein paar Schritte vom Kanzleramt und Bundestag entfernt, werden Gruppen angeleitet, erst über die Zukunft nachzudenken, dann über gemeinsame Wege dorthin. Und erst ganz am Ende über die Details.
Also imaginieren wir doch hier, stellvertretend für die Politik, einmal schnell das kommende Jahrzehnt: Der Konflikt mit Russland wird weiter hohe Rüstungsausgaben erfordern. Die Klimakrise wird auch bei uns durch Fluten und Dürren immer teurere Schäden verursachen, und wir werden parallel viel Geld für die Infrastruktur brauchen: Um Stromnetze auszubauen, den Verkehr CO2-neutral umzubauen und die Heizungen klimafreundlich zu machen. Zudem wird die demografische Entwicklung dazu führen, dass immer weniger Menschen für immer mehr werden arbeiten müssen (wenn wir nicht viel mehr Migration zulassen).
Das sind nur drei der großen Trends. Sie aber eint eines: Sie sorgen für hohe Kosten. Die kommenden Jahre werden also teuer für das Land. Und irgendjemand wird bezahlen müssen.
Die nächste Regierung wird sich also entweder zu radikalen Kürzungen im Haushalt durchringen müssen, zu einer massiven Steuererhöhung und/oder zur Reform der Schuldenbremse, ergo zu neuer Verschuldung. Und jede Entscheidung wird wieder Folgen haben für den sozialen Zusammenhalt, die ökonomische und ökologische Zukunftsfähigkeit des Landes. Sie steht damit vor genau den Problemen, an denen die Ampel vordergründig gescheitert ist.
Im Moment, im aktuellen Wahlkampf, sieht es leider noch nicht so aus, als ob sie grundsätzlich anders damit umgehen wird. Denn wieder einmal drücken sich alle Parteien auf ihre jeweils besondere Art davor, klar über Lasten zu reden. Das Programm der CDU, das vor allem für Steuersenkungen eine Lücke von fast 100 Milliarden Euro verursachen würde, ist da ziemlich symptomatisch. Gerade also werden nur die Versprechen immer teurer, und nicht etwa die Analyse der Gegenwart und der Herausforderungen schärfer.
Dummerweise ist eines aber sicher: Polykrisen sind anders als Erkältungen. Die kommen nicht nur drei Tage, bleiben drei und gehen dann wieder. Sie werden die Regierung und uns irgendwann schon dazu zwingen, sie ernst zu nehmen. Und wenn nicht heute, dann morgen umso mehr.
Ins gleiche Horn bläst auch SPD Politiker Rolf Mützenich zu Neuwahl, auch wenn er z.T. andere Krisen benennt.
Hier Artikel von Kristina Dunz 26.12.24
Probleme der Ampel bleiben
Auch mit der Neuwahl des Bundestags bleiben nach den Worten des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich die Ursachen für den Bruch der Ampelkoalition bestehen. „Jede neue Regierung wird sich den gleichen Herausforderungen stellen müssen, an denen die Ampel gescheitert ist“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Hauptsächlich sei die Regierung von SPD, Grünen und FDP unter Kanzler Olaf Scholz an der Finanzierung der Hilfen für die von Russland überfallene Ukraine zerbrochen. Mützenich betonte: „Jede neue Regierung wird ein Problem bekommen, wenn diese Mittel aus dem Kernhaushalt genommen werden müssen.“
„Komplexes Gebilde“
Auch die künftigen Herausforderungen seien der Fachkräftemangel und der gleichzeitige Arbeitsplatzabbau, Investitionsstau, schlechte Wirtschaftsdaten sowie der Krieg in der Ukraine. „Und alles bei beschränkten Mitteln“, mahnte Mützenich. „Ein komplexes Gebilde, das sich keine unterkomplexen Antworten erlauben darf.“
Er zeigte sich überzeugt, dass mit der Union von Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) die Schuldenbremse geändert werde. „Herr Merz schließt das inzwischen auch nicht mehr aus.“ Ein Grund könne sein, dass der künftige US-Präsident Donald Trump nicht mehr so viel Geld für die Ukraine ausgeben wolle. „Ich bin sicher, dass die nächste Regierung zusammen mit Bundestag und Bundesländern diese Frage sehr zügig angehen wird.“
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