Sonntag, 29. Dezember 2024

Der Internationale Gerichtshof soll klären, ob Staaten zum Klimaschutz verpflichtet sind

RND hier Laura Beigel  19.12.2024

Kann man Länder rechtlich zum Klimaschutz verpflichten?


Juristin über Klimaprozess in Den Haag
Ein Urteil des IGH dürfte bei der Klimakonferenz im kommenden Jahr eine gewisse Strahlkraft entfalten, meint Juristin Lea Main-Klingst.


Der Internationale Gerichtshof soll klären, ob Staaten zum Klimaschutz verpflichtet sind. Dafür haben mehr als 100 Regierungen und Organisationen vor dem Gericht ausgesagt. Welche Folgen der Prozess haben könnte, erklärt Lea Main-Klingst von der Umweltrechtsorganisation ClientEarth im Interview.

Es ist der umfangreichste Fall, der je vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) verhandelt wurde. Mehr als 100 Staaten und Nichtregierungsorganisationen haben bis zum vergangenen Freitag vor den Richterinnen und Richtern in Den Haag in den Niederlanden ausgesagt. Schon im Vorfeld waren 91 schriftliche Stellungnahmen eingegangen. Es geht um ein Rechtsgutachten, das klären soll, inwieweit Staaten rechtlich zum Klimaschutz verpflichtet sind und inwieweit sie für die Schäden, die sie durch Treibhausgasemissionen verursachen, verantwortlich gemacht werden können.

Frau Main-Klingst, wie kam es zu diesem Verfahren?

Angefangen hat alles mit einer Initiative von Studierenden der Gruppe „Pacific Islands Students Fighting Climate Change“. Sie hatten die Idee, ein Rechtsgutachten vom Internationalen Gerichtshof einzuholen, das klären soll, welche Pflichten die Länder bei der Bewältigung der Klimakrise haben. Diese Idee haben sie dann an ihre jeweiligen Regierungen herangetragen – und die Regierung des Inselstaates Vanuatu hat die Idee aufgegriffen und in die UN-Generalversammlung getragen. Die Versammlung hat im März vergangenen Jahres eine Advisory Opinion, also ein international bedeutsames Rechtsgutachten, beim Internationalen Gerichtshof beantragt. Und deshalb kam es erst zu den schriftlichen und jetzt zu den mündlichen Verhandlungen in Den Haag.

Lea Main-Klingst ist Juristin für Völkerrecht. Seit 2021 arbeitet sie für die Umweltrechtsorganisation ClientEarth. Sie hat unter anderem die Verhandlungen vor dem Internationalen Seegerichtshofs als Beobachterin verfolgt.

Welche Fragen muss der IGH bei dem Verfahren klären?

Erstens geht es um die Frage, welche Pflichten sich für Staaten aus dem Völkerrecht in Bezug auf die Klimakrise ergeben. Als Beispiel: Es ist wissenschaftlich belegt, dass der Klimawandel Menschen krank macht – und gleichzeitig haben sich die Staaten in verschiedenen Menschenrechtsabkommen dazu verpflichtet, die menschliche Gesundheit zu schützen. Was bedeutet das jetzt für die Staaten? Welche Pflichten ergeben sich daraus?

Viele der heutigen Verträge und Abkommen wurden zu Zeiten geschlossen, in denen der Klimawandel noch nicht so ausgeprägt und präsent war wie jetzt – und das Bewusstsein für den Klimawandel nicht auf dem Stand war von heute. Die Klimakrise in Bezug etwa auf den Menschenrechtsschutz wurde damals nicht mitgedacht. Inzwischen sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse und das öffentliche Bewusstsein jedoch gewachsen.

Zweitens geht es um die Frage, welche Pflichten Staaten haben, wenn sie dem Klimasystem Schaden zugefügt haben. Die Frage ist gerade auch mit Bezug auf die vergangene Weltklimakonferenz interessant, bei der es viel um die Finanzierung ging. Auch dieses Thema war bei den Gerichtsverhandlungen präsent. Die Inselstaaten haben mehrfach betont, dass die politischen Ansätze der Weltklimakonferenz nicht ausreichen, um das Überleben der Inseln und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zu sichern.

Was ist der Internationale Gerichtshof?
Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist das wichtigste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen⁠. Er wurde 1946 gegründet und hat seinen Sitz in Den Haag in den Niederlanden. Die Aufgabe des IGH ist es, internationale Streitfälle zu regeln und beizulegen. „Außerdem erstellt der Gerichtshof Rechtsgutachten zu völkerrechtlichen Fragen für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen“, erklärt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der IGH setzt sich aus 15 Richterinnen und Richtern aus verschiedenen Ländern zusammen. Diese werden von der Vollversammlung und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für eine Amtszeit von neun Jahren gewählt. Vor dem IGH können alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen klagen und verklagt werden.

Ist das auch der Grund, warum der Inselstaat Vanuatu den Weg vor Gericht gewählt hat?

Ja, die Inselstaaten wollen den Klimaschutz voranbringen. Sie wollen vom welthöchsten Gericht geklärt haben, welche Schutzpflichten Staaten in Zeiten der Klimakrise haben. Deshalb gab es im Mai dieses Jahres beispielsweise auch das Rechtsgutachten des Internationalen Seegerichtshofs.
Er kam zu dem Schluss: Weil das Seerecht Länder zum Schutz der Meeresumwelt verpflichtet, müssen Staaten auch eine Verschlechterung der Meere durch die Auswirkungen von Treibhausgasemissionen bekämpfen. Auch dieses Gutachten wurde von kleinen Inselstaaten vorangetrieben. Die Aktualität und die Stoßkraft dieser Gutachten und die Entwicklung konkreter richterlicher Leitlinien sollten zu einer Weiterentwicklung der Klimarechtsprechung auf nationaler Ebene führen.

Also entlädt sich da gerade der Frust der Inselstaaten?

Ich glaube, es ist noch etwas viel Fundamentaleres, was da mitschwingt. Frust natürlich, aber auch Zukunfts- und Existenzängste. Einige Staaten haben bei den Anhörungen vor dem IGH vom Klimawandel betroffenen Menschen das Wort erteilt. Auch jungen Menschen, die über ihre Angst gesprochen haben, dass ihr Zuhause untergeht, sie ihre Heimat aufgeben müssen. Es geht also um weit mehr als nur Frust.

Deutschland und andere Industriestaaten, die vor dem IGH ausgesagt haben, haben sich auf das Pariser Klimaabkommen bezogen und argumentiert, dass die darin vereinbarten freiwilligen Selbstverpflichtungen ausreichen würden. Stimmen Sie dem zu?

Das Pariser Klimaabkommen ist ein wichtiges Abkommen und ein wichtiger Teil des Klimaschutzes. Man sieht aber auch, dass das Abkommen und die damit verbundenen politischen Verhandlungen allein nicht das bewirken, was notwendig wäre, um zum Beispiel Menschenrechtsschutz zu gewähren. Das bestätigen unter anderem auch die Rechtsprozesse und Gerichtsurteile auf nationaler Ebene, die mehr Ambitionen beim Klimaschutz fordern. 

Sie belegen, dass die Schutzpflichten der Staaten sich nicht nur aus einem Abkommen ergeben, sondern auch aus anderen Konventionen – sei es die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Seerechtskonvention. Das Zusammenspiel des Pariser Klimaabkommens mit anderen Übereinkommen darf nicht außer Acht gelassen werden.

Könnte das Rechtsgutachten des IGH wenig ambitionierte Staaten zum Klimaschutz verpflichten?

Ein Rechtsgutachten des IGH ist eine „authoritative interpretation“, also eine endgültige Interpretation der Rechtsfragen, mit denen sich das Gericht befasst. Das Gericht klärt, wie ein völkerrechtliches Abkommen oder ein Rechtsgrundsatz zu verstehen und zu interpretieren ist.
Die Auslegung des IGH zu den Schutzpflichten der Staaten in Bezug auf den Klimawandel kann dann in nationalen Kontexten angewendet werden. Bis das wirklich umgesetzt wird, kann es dauern, weil zum Beispiel politische oder diplomatische Prozesse folgen, Gesetze verhandelt oder angepasst werden. Das Rechtsgutachten selbst wird im Laufe des kommenden Jahres erwartet.

Die Klimakrise ist genauso eine Menschenrechtskrise.
Aber müssen jetzt Staaten, die zu wenig zum Klimaschutz beitragen, mit Strafzahlungen rechnen?

Es wird nicht so sein, dass der IGH in seinem Rechtsgutachten für einzelne Staaten konkrete Strafzahlungen ausweisen wird. Das ist auch gar nicht das Ziel. Es geht darum, die grundlegende Rechtslage zu klären und zu definieren. Was der Gerichtshof aber zum Beispiel sagen könnte, wäre, dass die Mechanismen, die in Bezug auf die Klimafinanzierung im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurden, den rechtlichen Pflichten entsprechen müssen.

Wann wäre das Rechtsgutachten des IGH aus Ihrer Sicht ein Erfolg?

Das ist schwierig. Ich würde sagen, das Rechtsgutachten ist dann ein Erfolg, wenn es die Anwendbarkeit des internationalen Menschenrechts auf die Klimakrise bestätigt. Also diese Verbindung zwischen Klimakrise und Menschenrechten wäre mir wichtig. Denn das würde auch noch einmal vor Augen führen, dass die Klimakrise genauso eine Menschenrechtskrise ist. Und auch dass Schutzpflichten gegenüber jungen und künftigen Generationen anerkannt werden, würde ich als Erfolg werten. Zumal das Rechtsgutachten von jungen Menschen angestrebt wurde.

Welche Rolle wird das IGH-Gutachten für die Klimakonferenz im kommenden Jahr spielen, wo die Länder neue, ambitioniertere Klimaschutzziele vorlegen müssen?

Ich denke schon, dass das Rechtsgutachten wichtig für die Verhandlungen und die Diskussionen wird. Dinge, die auf der diesjährigen Klimakonferenz in Aserbaidschan zu kurz gekommen sind, haben sich durchaus in den Gerichtsverhandlungen widergespiegelt. Und natürlich wird ein Urteil des IGH bei der Klimakonferenz im kommenden Jahr eine gewisse Strahlkraft oder ein gewisses Gewicht mit sich bringen, wenn es darum geht, warum Staaten ambitioniertere Klimaschutzmaßnahmen treffen müssen.

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