Der Berliner Mobilitätsforscher berichtet hauptsächlich über Berliner Verhältnisse. Wie er auf die Aussage über Schwaben kommt bleibt im Dunkeln. Dennoch finde ich viele interessante Aussagen im Artikel, mich bewegt hauptsächlich der zugrunde liegende Optimismus von Herrn Knie bezüglich der Verkehrs- und Mobilitätswende.
Berliner Zeitung hier Artikel von Peter Neumann 4.12.24
„Schwaben wird das neue Ruhrgebiet“: Forscher aus Berlin sagt Untergang der deutschen Autoindustrie voraus„Ich fahre Auto, na klar. In der modernen Welt wird es auch weiterhin Autos geben“: der Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie im Kreuzberger Graefekiez. Dort ließ das Bezirksamt Parkplätze in Grünbereiche umwandeln. Knie und sein Team vom Wissenschaftszentrum begleiten das Projekt.
... „Die Verkehrsberuhigung tut der Straße gut“, sagt der Mobilitätsforscher vom Wissenschaftszentrum Berlin. Doch so sehr Andreas Knie die Verfechter einer traditionellen fossilen Automobilität seit gut vier Jahrzehnten auf die Palme bringt – als Autofeind kann man den Politikwissenschaftler nicht bezeichnen. Ein Gespräch über Chinas Vorsprung und die Gefahr, in der die deutsche Autoindustrie schwebt. Über Poller, Parkgebühren, Sammeltaxis, subventioniertes Carsharing – und warum Infrastrukturausbau überflüssig ist. So viel wird schon bald klar: Langweilig wird es mit Knie nicht.
Für Pollergegner und andere Feinde grüner Verkehrspolitik sind Sie der Lieblingsgegner. Auf mich wirken Sie eher wie ein Car Guy, weil Sie viel mit Sharing-Autos unterwegs sind und oft davon erzählen, wie sehr Sie sich in Ihrer Heimat Siegerland auf Autos angewiesen fühlten.
Ich fahre Auto, na klar. In der modernen Welt wird es auch weiterhin Autos geben, damit die Menschen unterwegs sein können. Das Wahlplakat der Berliner CDU war aber dennoch unglaublich dumm: „Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten“ – so ein Unsinn. Kein Mensch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, will ein komplett autofreies Berlin. Aber weltweit geht der Trend dahin, den Autoverkehr sozusagen zu domestizieren. Ziel ist es, mit weniger Autos auszukommen und sich beispielsweise Autos zu teilen, Stichwort Carsharing. Unsere Gesellschaft hat einfach zu viele Autos. Darum geht es. Die Dosis macht das Gift – derzeit ist die Dosis einfach viel zu hoch.
Die Ausweitung der Elektromobilität, ebenfalls möglichst mit Sharing-Fahrzeugen, ist für Sie ein Schlüssel zur Veränderung von Mobilitätsgewohnheiten. Heute gelten Elektroautos aber als Gefahr für den Industriestandort Deutschland. Warum geht es mit der Elektromobilität bei uns nicht voran?
Vor vielen Jahren musste ich meinen Chef am WZB bei einer Konferenz in China krankheitsbedingt vertreten. Damals lernte ich Wan Gang kennen, den späteren Minister für Wissenschaft und Technologie, den ich schon von meiner Zeit bei Audi kannte. Als damaliger Präsident der Tongji-Universität in Shanghai stellte Wan Gang 2006 das chinesische Automobilprogramm vor. Seine Botschaft war unmissverständlich: Wir in China setzen aus industriepolitischen Gründen auf batterieelektrische Fahrzeuge! Schon damals war den Chinesen klar, dass die klimaschädlichen Emissionen gesenkt werden müssen. Sie kündigten auch an, dass China regenerative Energiequellen wie Sonne und Wind fördert. Sie haben ihr Wort gehalten. Elektroautos sind in China ein wichtiger Teil der Mobilität, und seit September 2024 werden in China mehr E-Autos zugelassen als Verbrennerfahrzeuge.
Viele deutsche Autofahrer, manche Parteien und insgeheim auch manche Akteure in der deutschen Automobilindustrie halten nichts von Elektroautos. Sie schwören auf die guten alten Verbrenner.
Die deutsche Autoindustrie sagte damals: Ihr in China setzt auf ein völlig falsches Pferd! Ihr müsst Dieselmotoren nehmen, die sind viel besser auch für die Umwelt. Doch die chinesische Perspektive blieb kristallklar. Alle in der Branche wussten, wohin die Reise geht – zur Elektromobilität. In großen Städten ist es deutlich einfacher, ein Elektroauto zuzulassen als einen Verbrenner. Die deutsche Autoindustrie wollte den Trend jahrelang in ihrer Arroganz nicht wahrhaben. Nun bekommt sie die Quittung. Es werden immer weniger deutsche Autos in China gekauft.
Wird der Schlingerkurs bei der E-Mobilität die deutsche Autoindustrie in den Untergang treiben?
Ja, er wird sie den Kopf kosten! Wolfsburg wird das neue Detroit, Schwaben das neue Ruhrgebiet. Das ist völlig klar, dafür muss man kein großer Visionär sein. Wir in Deutschland scheinen keine Transformation zu können, wir meiden den Wechsel und die grundlegende Veränderung. Und die Politik unterstützt das noch: Wo können wir mit Steuergeldern helfen, um ruhig so bleiben zu können wie wir sind? Die Amerikaner haben Deutschland für lau militärisch beschützt, die Russen haben uns für billig Geld Gas und Öl geliefert – und die Chinesen haben deutsche Produkte zu hohen Preisen abgekauft. Jetzt muss sich Deutschland dringend neu erfinden und dabei seine arrogante Grundhaltung überdenken. Wir glauben immer noch, wir hätten die bessere Technologie, die besseren Ingenieure! .....
Wer sich dafür einsetzt, den Verkehr zu zivilisieren, muss auch heute mit Gegenwind rechnen. Wenn Poller aufgestellt oder Parkplätze durch Radfahrstreifen ersetzt werden, wallt sofort Kritik auf.
Meist bekommt die Öffentlichkeit einen falschen Eindruck vermittelt. Wann immer Medien über die Verkehrswende berichten, werden kritische und ablehnende Stimmen besonders herausgehoben. Darum wirkt es so, als ob Poller, Verkehrsberuhigung, Radfahrstreifen und andere Themen in jedem Fall heftig diskutiert werden. Ich behaupte: Meist gibt es keinen großen Streit! So gut wie immer sind es nur einige wenige lautstarke Verfechter der Autogesellschaft, die sich dort positionieren.
Unsere Forschungen belegen,
dass die Verkehrswende bei den meisten angekommen und
der Zauber des Autos verflogen ist.
Die Menschen verhalten sich auch so. Daten zeigen, dass die Fahrleistung in Deutschland zurückgeht, mit Autos werden immer weniger Kilometer zurückgelegt. Für Berlin stellen wir fest, dass sogar die Motorisierungsrate zu sinken beginnt. Die ohnehin schon niedrige Zahl der zugelassenen Kfz je tausend Einwohner wird noch kleiner.
Haben wir es nicht zunehmend mit einem Generationsthema zu tun? Wer auf die 70 zugeht und das eine oder andere Zipperlein spürt, reagiert rebellisch, wenn das Auto nicht mehr vor der Tür parken kann und weitere Laufwege zurückzulegen sind. Dann erscheinen Poller als Erschwernis des eigenen Alltags.
Der demografische Wandel macht sich natürlich bemerkbar. Er beeinflusst auch beim Thema Mobilität Routinen und Gewohnheiten. Im ländlichen Raum geht die Busnutzung immer weiter zurück. Da ist keine Verkehrswende in Sicht. In einer großen Stadt wie Berlin wirkt sich dieser Wandel ebenfalls aus. Babyboomer kommen auch hier in die Jahre. Wenn abends ausgegangen wird, dann bevorzugt man das Taxi oder den Mietwagen. Babyboomer, die ihr Leben lang mit dem Auto gelebt haben, nehmen im Alter nicht den Bus. Doch darauf hat der klassische ÖPNV keine Antwort.
Sie sagen, dass sich auch bei jungen Menschen die Mobilitätsgewohnheiten ändern. Allerdings wird immer wieder berichtet, dass sich junge Männer Rennen mit getunten Autos liefern.
Wenn Sie sich spätabends am Kudamm aufhalten, werden Sie auch zu dem Schluss kommen: Verkehrswende? Hahaha! Gibt es die überhaupt? Es sind vor allem junge Männer, die sich einander beweisen wollen. Aber was auch stimmt: Es sind nur ganz wenige Menschen, die in dieser Form auffallen und kriminell werden. Wenn man alle Daten betrachtet, alle Veränderungen bei den Wertepräferenzen und weitere Faktoren einbezieht, bleibt es bei der Feststellung: Die Bedeutung des Autos als Universalgerät ist im Schwinden begriffen.
Man kann aber nicht sagen, dass die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Verkehr exponentiell zunimmt. Die BVG hat gerade erst wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht.
Das ist in der Tat eine Schattenseite: Die Menschen fahren zwar weniger Auto, aber sie steigen nicht automatisch auf den öffentlichen Verkehr um. Das gilt auch für Berlin, obwohl wir mit einem guten Angebot gesegnet sind. Selbst hier wird nur etwas mehr als ein Viertel der Wege mit Bahnen und Bussen zurückgelegt. Trotzdem gibt das Land Berlin pro Jahr rund eine Milliarde Euro nur für den Betrieb aus. Wir müssen uns fragen: Steht das noch in einem angemessenen Verhältnis?
Was fordern Sie? Bahnlinien einzustellen, würde niemand verstehen. Die Züge sind doch voll.
Nein, nicht immer und nicht überall. Wir werden angesichts der veränderten Wertepräferenzen intensiver darüber nachdenken müssen, welche Angebote wir uns noch leisten wollen – und welche nicht. Zu vielen Tageszeiten werden BVG und S-Bahn gut genutzt, aber wir haben auch lange Schwachlastzeiten. Für Berlin heißt das konkret: Wir müssen uns viel stärker als bisher darüber unterhalten, wie wir den öffentlichen Verkehr fortentwickeln: Großgefäße für die Mengenverkehre, On-Demand-Angebote und Sharing-Dienste in den Randzeiten und in Schwachlastzeiten. Diese Kombination würde sehr attraktiv sein.....
... Es geht kein Weg daran vorbei: Wir müssen im Nahverkehr Chancen und Stärken besser nutzen! Wenn die Nachfrage groß ist, bewältigt der klassische öffentliche Verkehr den Andrang. In Schwachlastzeiten sorgen On-Demand-Angebote für Mobilität. Um dies zu erreichen, müssen wir Fahrdiensten mehr Freiraum geben, gesetzliche und bürokratische Hürden abbauen. Das gilt nicht nur für Ridesharing, auch für E-Scooter und Mieträder. Wir müssen alle Sharing-Fahrzeuge von Sondernutzungsgebühren freistellen. Sie übernehmen wichtige Aufgaben für die Öffentlichkeit.
Wie bitte? Sollen in Berlin noch mehr E-Scooter und Mietfahrräder Fußgängern im Weg herumstehen?
Wenn die Bezirksämter ausreichend Abstellflächen schaffen würden, am besten natürlich auf Parkplätzen, dann wäre das kein Problem. Heute stehen überall private Autos herum. Blech dominiert das Straßenbild, kaum jemand beschwert sich darüber, wir haben uns seltsamerweise an diesen Missstand gewöhnt. Dabei ist es ein Unding, dass man mitten in einer Millionenstadt Autos abstellen darf, ohne dafür etwas zu zahlen – oder nur geringe Parkgebühren. Die vielen Autos sind das Problem, nicht die paar E-Scooter. Übrigens würde die Zahl der E-Scooter nicht groß steigen, denn solche Angebote stoßen an Grenzen der Wirtschaftlichkeit....
Wo der Straßenverkehr eingeschränkt wird, klagen Gewerbetreibende über Einbußen. Kunden könnten nicht mehr mit dem Auto zum Einkaufen fahren, die Umsätze sinken, heißt es. Schadet die Verkehrswende der Wirtschaft?
Nein! Die Verkehrswende nützt der Wirtschaft. Nicht Poller, sondern die vielen geparkten Autos sind das Problem. Sie behindern nicht nur Lieferfahrzeuge, Müllwagen, Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr. Autos stören auch dabei, wenn Straßen und Plätze aufgewertet werden. Dabei gilt: Nur wo ich mich wohlfühle, kaufe ich gern ein! Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die Umsätze des Einzelhandels, von Restaurants und Clubs deutlich zurückgegangen sind. Die Menschen kommen nicht mehr freiwillig überall hin. Wo der Verkehr abgenommen hat und Straßen schöner geworden sind, steigen dagegen die Einzelhandelsumsätze. Trotzdem vertritt die Branche immer noch eine antiquierte Haltung – als ob alles vom Auto abhängen würde. Der Einzelhandel kennt seine Kunden offensichtlich nicht....
Möglichkeitsräume, Mobilitätsräume – das sind Bereiche, innerhalb derer Mobilität stattfinden kann, Menschen sich bewegen, wirtschaften, eine Gesellschaft bilden können. Das sind wichtige Stichworte Ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Von den Räumen ist es nicht weit zu den Träumen. Wie sehen sie aus?
Berlin sollte ein Experimentierraum sein, wo Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht den Verkehr der Zukunft gemeinsam mit öffentlichen Verkehrsunternehmen organisieren. Dazu braucht die Stadt ein Programm der Neuorganisation des öffentlichen Raumes. Erst sollten ausnahmslos alle Parkplätze gebührenpflichtig werden und die Gebühren deutlich steigen, dann sollte der Parkraum verknappt und schließlich ganz aufgegeben werden. Private Autos stehen dann ausschließlich auf privaten Stellplätzen, öffentliche Autos bleiben auf den öffentlichen Straßen. Wir hätten statt der 1,2 Millionen zugelassenen Autos in Berlin vielleicht noch 300.000 Fahrzeuge – und jede Menge Platz für das Fahrrad und dafür, zu Fuß zu gehen. Wenn eine Stadt das schaffen könnte, dann nur Berlin als Welthauptstadt der Mobilität.
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