Mittwoch, 18. Dezember 2024

Steffi Lemke: Wir sind in Europa Vorreiter in Sachen Renaturierung

hier  Von FOCUS-online-Redakteurin Jacqueline Arend •17.12.24

„Im Ausland erlebe ich immer wieder, dass Deutschland als Vorreiter wahrgenommen wird“

Kriege, Krisen, Inflation: Der Klima- und Umweltschutz drohte in den letzten Jahren immer wieder an Bedeutung zu verlieren. Umweltministerin Steffi Lemke über die Versäumnisse der Ampel, über unvollendete Vorhaben - und warum die Umwelt nach ihrer Ansicht trotzdem besser dasteht als zuvor. 

FOCUS online Earth: Wie zufrieden sind Sie mit der Ampel als „Zukunftskoalition“, als die sie ja angetreten ist, beim Thema Klimaschutz? 

Steffi Lemke: Deutschland steht beim Klimaschutz international besser da, als es der oft kritische Diskurs hierzulande vermuten lässt. Bei meinen Treffen mit anderen Regierungen erlebe ich immer wieder, dass Deutschland als Vorreiter wahrgenommen wird - sei es bei Spitzentechnologien oder beim Engagement für den Klimaschutz. 

Wir sollten aufhören, unsere Erfolge schlechtzureden, nur weil Wahlkampf ist. Das wirkt sich negativ auf die Gesellschaft, auf die Debattenkultur und die Stimmung der Menschen in unserem Land aus. Ich bin offen für jede Kritik, das gehört zum Amt dazu - aber wir sollten nicht so tun, als ob Deutschland ein globales Schlusslicht wäre. Denn das ist schlichtweg falsch. 

Wir haben viel erreicht, ob Robert Habeck mit dem schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze oder mein Ministerium mit dem größten Klimaschutzprogramm für die Natur, das es in Deutschland je gab. Das hat keine Vorgängerregierung vorher geschafft. Darauf bin ich stolz. 

Trotzdem muss ich sagen: Angesichts der zunehmenden ökologischen Krisen - ob Klimakrise, Artenaussterben oder Umweltverschmutzung - reicht das bisher Erreichte nicht aus. Wir dürfen uns nicht ausruhen. Es gibt noch zu viele Blockaden - sowohl international, wie die jüngste Blockade eines globalen Abkommens gegen Plastikmüll durch die Ölstaaten zeigt, als auch in Deutschland.

Wenn man über Blockaden in Deutschland spricht, ist man schnell bei der Ampel…

Lemke: Es ist kein Geheimnis, dass die Ampel-Regierung in den vergangenen drei Jahren nicht immer gut und viel zu oft schlecht funktioniert hat.

In den vergangenen Wochen ist nun auch in der Öffentlichkeit klar geworden, dass die FDP die Regierungsarbeit gezielt stören wollte und dann ja auch die Koalition gesprengt hat. Im Regierungsalltag und in den Ministerien war das systematische Ausbremsen der Sacharbeit schon längst zu spüren. Das war verantwortungslos und darf sich nicht wiederholen. 

Dafür sind die Menschen in Ostdeutschland 1989 nicht auf die Straße gegangen - um heute eine Regierung zu erleben, die durch interne Obstruktion ihre Handlungsfähigkeit verliert. Das verspielt das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler. 

Obwohl die Folgen der Klimakrise immer häufiger sichtbar werden – auch in Deutschland durch Dürren und Hochwasser – hat die Bedeutung des Themas bei der Bevölkerung abgenommen. Wie erklären Sie sich das? 

Lemke: Umwelt- und Naturschutz stehen unter enormem Druck - ebenso wie der Klimaschutz. Das hat mehrere Gründe: Zum einen natürlich die geopolitische Lage, insbesondere der Einmarsch Russlands in die Ukraine. Zum anderen erleben wir, wie die fossile Wirtschaft versucht, den Ausbau erneuerbarer Energien, bessere Klimaanpassung und natürlichen Klimaschutz zu blockieren. Es ist, als würde sie noch einmal aufbegehren, bevor sich die Welt endgültig wandelt. Dieses Beharren auf alten Strukturen kostet uns wertvolle Zeit.

Glauben Sie, dass der Klima- und Umweltschutz in der Bevölkerung auch wegen des Ampel-Streits an Rückhalt verloren hat?

Lemke: Nein, die Menschen wollen immer noch sauberes Wasser, gesunde Wälder und eine intakte Natur. Der Wunsch, die eigene Heimat zu schützen, ist tief verwurzelt. Was wir jedoch erleben, ist, dass persönliche Sorgen wie Inflation oder Wohnungsnot stärker in den Vordergrund rücken. Und das ist ja auch vollkommen verständlich. Es liegt an uns, auch in so herausfordernden Zeiten Wege zu finden, den Umwelt- und Klimaschutz voran zu bringen.

Haben Sie das geschafft? Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen Ihrer Amtszeit?

Lemke: Ach, Zufriedenheit ist in der Politik keine Kategorie – jedenfalls für mich nicht. Dafür sind die Probleme zu groß, die Krisen zu drängend. Die Zeiten sind zu herausfordernd, da kann ich mich nicht einfach zufrieden zurücklehnen. So sind die Zeiten nicht. 

Deshalb kurz zusammengefasst: Wir haben wirklich viel erreicht beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, bei der Klimaanpassung. Und ich habe das größte Programm in der Geschichte des deutschen Umweltschutzes aufgebaut – das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz.
Damit helfen wir gleichzeitig dem Klimaschutz und dem Wasserhaushalt. Es dient auch dem Hochwasserschutz und sichert die Wasserversorgung – zum Beispiel für Lebensmittelproduktion, zum Schutz der Natur und der Trinkwasserversorgung.

Was versprechen Sie sich konkret davon?

Lemke: Mit einem Budget von 3,5 Milliarden Euro über mehrere Jahre setzen wir an diesen zentralen Punkten an. Die Renaturierung von Auen, Mooren und Wäldern verbessert nicht nur den natürlichen Klimaschutz, weil diese Flächen Kohlenstoff binden, sondern stärkt auch den Wasserhaushalt und den Hochwasserschutz. Ein renaturierter Wald kühlt die Umgebung, speichert Wasser und stärkt die Widerstandsfähigkeit in Dürre- und Hitzeperioden. Das ist eine Win-Win-Situation für die Natur und die Menschen, die hier leben. 

Die deutschen Ökosysteme geraten immer mehr ins Wanken, wie es auch der Zustandsbericht der deutschen Wälder zeigt. Reichen die Maßnahmen und die Finanzierung tatsächlich aus, um Deutschlands Ökosysteme langfristig zu schützen?

Lemke: Wir sind in Europa Vorreiter in Sachen Renaturierung.
Mein Ziel war es, in dieser Amtsperiode konkrete Maßnahmen umzusetzen. Ob es am Ende ausreicht, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Es hängt stark davon ab, wie viele Hindernisse noch überwunden werden müssen. Das Programm wird parteiübergreifend unterstützt, sodass ich nicht glaube, dass es zurückgenommen wird.

Welches nicht erreichte Ergebnis wurmt Sie, wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückblicken?

Lemke: Das betrifft vor allem das neue Hochwasserschutzgesetz - das hätte unbedingt noch kommen sollen. Wir haben einen umfassenden Referentenentwurf vorgelegt, aber der vorzeitige Wahltermin verhindert nun, dass das Gesetz noch auf den Weg gebracht werden kann. 

Das ist nicht nur bedauerlich, sondern auch unverantwortlich. Alle demokratischen Parteien sollten ein Interesse daran haben, unsere Bevölkerung besser zu schützen. Wir arbeiten seit zwei Jahren an dem Gesetz für Hochwasserschutz mit allen Bundesländern und nun müssen sie leider warten. 

Mit dem neuen Klimaanpassungsgesetz, das vor einem Jahr beschlossen worden und im Sommer in Kraft getreten ist, haben wir jedoch einen erheblichen Fortschritt erreicht, da Klimaanpassung jetzt gesetzlich verankert ist. Jetzt können Kommunen endlich Klimaanpassungsmaßnahmen als verbindliche Aufgabe interpretieren. Mit diesem Gesetz nimmt sich die Bundesregierung auch selbst in die Pflicht, eine bundesweite Klimaanpassungsstrategie zu verfolgen. Der bessere Schutz der Bevölkerung vor Starkregen und Hochwasser aber auch Hitzewellen und Dürre ist mir besonders wichtig. Das umfasst auch unsere Infrastruktur und die Landwirtschaft, die besonders von den Klimaveränderungen betroffen ist. 

Viele Kommunen klagen, dass sie die nötigen Anpassungsmaßnahmen, um die Bevölkerungen vor den Folgen der Klimakrise zu schützen, gar nicht finanzieren können mit ihren leeren Kassen. Was sagen Sie denen?

Lemke: Ich verstehe die Kritik und unterstütze die Forderung nach einer neuen Gemeinschaftsaufgabe, bei der Bund und Länder die Finanzierung gemeinsam übernehmen.
Der Bund darf nicht dauerhaft die Finanzierung von Aufgaben der Kommunen übernehmen, daher braucht es eine Grundgesetzänderung. Auch kommunale Spitzenverbände stehen hinter dieser Idee. Und nicht alle Maßnahmen zur Klimaanpassung sind teuer. Oft kann man schon mit kleinen Veränderungen viel erreichen, wie mit neuen Straßenbäumen, entsiegelten Flächen oder hitzeresistenten Grünflächen.

Zum Abschluss: Was erhoffen Sie sich für Deutschlands Zukunft – auch im Hinblick auf die Klima- und Umweltlösungen?

Lemke: Es braucht Stabilität und Handlungsfähigkeit, um mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen. Die nächsten Jahre sind entscheidend für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für den Frieden in Europa, aber auch für Klima- und Naturschutz. Ich will, dass die nächste Bundesregierung sich auf Lösungen konzentriert statt auf Konflikte. Der Schutz unserer Lebensgrundlagen darf nicht durch parteipolitische Blockaden gefährdet werden. Jetzt sind die Wählerinnen und Wähler am Zuge. Sie werden entscheiden, wie die nächste Bundesregierung aussieht.

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