Standard hier Thomas Bergmayr 6. Dezember 2024
Angeheizter Klimawandel: Dass seit 2023 die globalen durchschnittlichen Temperaturen noch einmal angestiegen sind, hat womöglich mit einem Schwund bestimmter Wolkentypen zu tun
2024 wird temperaturmäßig zweifellos als neuerliches Rekordjahr auf dem Stockerl ganz oben stehen. Als "all-time high" mag es dort wohl nicht lange verweilen, das lässt sich allein am Trend der vergangenen Jahre ablesen: Praktisch jedes Jahr war zuletzt im globalen Durchschnitt wärmer als das vorangegangene.
Das Jahr davor hingegen erwies sich in verschiedener Hinsicht als besonders. Nicht zuletzt durch den Einfluss des Wetterphänomens El Niño machten die Temperaturen 2023 einen selbst für klimawandelgeplangte Jahre ungewöhnlichen Sprung nach oben: Die globale Durchschnittstemperatur stieg auf fast 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau.
Mysteriöse Lücke von 0,2 Grad Celsius
Trotz immer detaillierterer Klimamodelle und engmaschiger Datenerhebung stellte dieser eklatante Temperatursprung für die Forschung in gewisser Hinsicht ein Rätsel dar. Der Hauptteil der Erwärmung lässt sich zwar auf die Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre, die Folgen von El Niño und Naturereignissen wie Vulkanausbrüchen zurückführen. Aber selbst wenn man all dies berücksichtigt, bleibt eine Lücke von etwa 0,2 Grad Celsius, die bisher nicht zufriedenstellend erklärt werden konnte.
Das fehlende Puzzlestück dieses Rätsels könnte nun ein Team unter der Leitung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) gefunden haben: Unser Planet hat in dieser Zeit offenbar deutlich weniger Strahlung zurück ins All reflektiert – und Schuld daran ist der Rückgang bestimmter Wolkentypen, so die Wissenschafterinnen und Wissenschafter
"Neben dem Einfluss von El Niño und der erwarteten langfristigen Erwärmung durch anthropogene Treibhausgase wurden bereits mehrere andere Faktoren diskutiert, die zu den überraschend hohen globalen Durchschnittstemperaturen seit 2023 beigetragen haben könnten", sagte Helge Goessling, Hauptautor der nun im Fachjournal Science erschienenen Studie. "Beispielsweise eine erhöhte Sonnenaktivität, große Mengen Wasserdampf durch einen Vulkanausbruch oder weniger Aerosolpartikel in der Atmosphäre. Aber selbst wenn man all diese Faktoren zusammennimmt, bleiben immer noch 0,2 Grad Celsius Erwärmung ohne offensichtliche Ursache."
Ungewöhnlich niedrige Albedo
Die 0,2-Grad-Celsius-Erklärungslücke für 2023 sei derzeit eine der am intensivsten diskutierten Fragen in der Klimaforschung, so die Forschenden. Um diese Lücke zu schließen, haben Fachleute des AWI und des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen (EZMW) Satellitendaten der Nasa und anderer Institutionen genauer untersucht und mit einem komplexen Wettermodell kombiniert. In einigen Fällen reichen die Daten bis ins Jahr 1940 zurück und ermöglichen damit eine detaillierte Analyse der Entwicklung des globalen Energiehaushalts und der Bewölkung in verschiedenen Höhen.
Dabei zeigte sich, dass sowohl in den Nasa- als auch in den ECMWF-Datensätzen 2023 als das Jahr mit der niedrigsten planetarischen Albedo hervorstach. Die Albedo der Erde beschreibt den Prozentsatz der einfallenden Sonnenstrahlung, der nach allen Wechselwirkungen mit der Atmosphäre und der Erdoberfläche zurück ins All reflektiert wird.
Nicht nur Schnee- und Eisschwund
"Wir hatten in den letzten Jahren bereits einen leichten Rückgang beobachtet. Die Daten deuten darauf hin, dass die planetare Albedo im Jahr 2023 auf dem niedrigsten Stand seit mindestens 1940 war", sagte Co-Autor Thomas Rackow vom ECMWF. Dieser Effekt könnte die globale Erwärmung tatsächlich verschlimmern und die "fehlenden" 0,2 Grad Celsius erklären.
Aber was hat diesen fast rekordverdächtigen Rückgang des Rückstrahlvermögens unserer Erde verursacht? Tatsache ist, dass die Albedo der Erdoberfläche seit den 1970er-Jahren rückläufig ist. Verantwortlich dafür ist zum Teil der Schwund des arktischen Schnees und des Meereises. Die schrumpfenden weißen Flächen reflektieren demnach immer weniger Sonnenlicht. Seit 2016 wird dies durch den Rückgang des Meereises in der Antarktis noch verstärkt – aber das ist noch nicht alles.
"Unsere Analyse der Datensätze zeigt, dass der Rückgang der Oberflächenalbedo in den Polarregionen nur etwa 15 Prozent des jüngsten Rückgangs der planetaren Albedo ausmacht", erklärte Goessling. Hinzu kommt, dass auch in anderen Weltgegenden die Albedo deutlich gesunken ist. Um die möglichen Auswirkungen dieser verringerten Albedo zu berechnen, setzten die Forschenden ein etabliertes Energiebudgetmodell ein, das die Temperaturreaktion komplexer Klimamodelle nachahmen kann.
Kühlungseffekt durch niedrige Wolken
Bei höheren Wolken überwiegt aufgrund der Wechselwirkung mit der Wärmestrahlung in der Regel der Erwärmungseffekt, während bei niedrigen Wolken aufgrund der Reflexion des Sonnenlichts der Kühlungseffekt eine größere Rolle spielt.
Dabei zeigte sich, dass ohne die seit Dezember 2020 verringerte Albedo die Durchschnittstemperatur im Jahr 2023 um etwa 0,23 Grad Celsius niedriger gewesen wäre. Dabei scheint ein besonderer Trend die reduzierte planetare Albedo erheblich beeinflusst zu haben: der Rückgang der Wolken in geringer Höhe in den nördlichen mittleren Breiten und den Tropen.
In dieser Hinsicht sticht der Atlantik besonders hervor, denn genau in dieser Region wurden 2023 die ungewöhnlichsten Temperaturrekorde beobachtet. "Es ist auffällig, dass der östliche Nordatlantik, der einer der Hauptverursacher des jüngsten Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur ist, nicht nur im Jahr 2023, sondern auch – wie fast der gesamte Atlantik – in den letzten zehn Jahren durch einen erheblichen Rückgang der Wolken in geringer Höhe gekennzeichnet war", so Goessling......
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