Chinas Solarmodule als Lebensretter in einem Land, das von Hitze und Smog höchst bedroht ist.
Ein neues Sicherheitsgefühl für die Menschen , aber bedrohlich für die Gewinne der Energiekonzerne. Sie werden es trotzdem nicht verhindern können, aufhalten aber schon....
Spiegel hier Eine Kolumne von Christian Stöcker 15.12.2024
Revolution auf dem Energiemarkt: Pakistans blitzschnelles Solarwunder
In Pakistan haben die staatlichen Kohlekraftwerke ein Problem: Weil Sonnenstrom billig und verlässlicher ist, wuchs die Kapazität in zwei Jahren um den Faktor 28 – privat finanziert, oft aus reinem Selbstschutz.
In Pakistan hat die Klimakrise schon jetzt unübersehbare tödliche Folgen. Als die Temperaturen im Juni 2024 tagelang weit über 40 Grad Celsius lagen, bei hoher Luftfeuchtigkeit, verzeichneten die Krankenhäuser in Großstädten wie Karatschi einen sprunghaften Anstieg der Todesfälle.
Normalerweise transportiert die Rettungswagengesellschaft Edhi dort 30 bis 40 Tote pro Tag in die Leichenschauhäuser – allein am 25. Juni 2024 waren es 141. Binnen fünf Tagen musste Edhi 568 Leichen transportieren , nur in Karatschi. In den Kliniken stauten sich unterdessen Patientinnen und Patienten mit Hitzschlag-Symptomen, »die meisten waren in ihren 60ern oder 70ern«, wie ein Arzt der BBC sagte.
Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitionspsychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.
Extreme Hitzewellen werden überall häufiger, das liegt an der Klimakrise . In Indien und Pakistan übersteigen die Temperaturen schon jetzt immer wieder 50 Grad Celsius. Und die Durchschnittstemperaturen steigen weiter, noch schneller als befürchtet.
Gefahr für große Teile der Gesellschaft
Hohe Temperaturen bei gleichzeitiger hoher Luftfeuchtigkeit kann ein menschlicher Körper ohne Kühlungsmöglichkeit längere Zeit nicht überleben . »Die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen umfassen Menschen, die im Freien arbeiten, Frauen, Kinder und Ältere«, heißt es in einem 2024 erschienenen offenen Brief von pakistanischen Medizinern an die Fachzeitschrift »Journal of Medicine, Surgery, and Public Health«.
Ein existenzielles Problem sind die extremen Temperaturen nicht nur für Obdachlose , die keinerlei Möglichkeit haben, sich effektiv vor der Hitze zu schützen – nicht nur in Pakistan, sondern auch in westlichen Industrienationen wie den USA . Die »Deutsche Welle« zitiert einen durchaus gut situierten Mann aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, dessen Mutter durch die Sommerhitze fast ums Leben gekommen wäre: »Wenn du keinen Strom hast, kannst du die Klimaanlage vergessen. Ihre Ventilatoren funktionieren nicht. Die Kühlschränke sind nicht in Betrieb. Man hat nicht einmal kaltes Wasser zu trinken.«
Jeden Quadratmeter mit Solarmodulen bedecken
Die Stromversorgung in Pakistan durch die staatlichen Energieversorger ist prekär. Es gibt immer wieder Stromausfälle , 40 Millionen Menschen haben gar keinen Zugang zu einer geregelten Versorgung. Aber auch Unternehmen und Industrie leiden unter dem vor allem auf alten Kohlekraftwerken und mittlerweile auch Flüssiggas aufgebauten pakistanischen Energiesystem. Die Strompreise sind dort in den vergangenen drei Jahren um 155 Prozent gestiegen . Das hat auch mit unglücklichen Finanzierungsmodellen und Kreditstrukturen zu tun.
Wer die Möglichkeit hat, macht sich von alledem jetzt unabhängig. Das hat zu einem weltweit – bislang – nie dagewesenen Solarboom in Pakistan geführt. Ohne staatliche Interventionen, einfach aufgrund der Tatsache, dass Solarmodule und damit Solarstrom konkurrenzlos billig geworden sind.
»Ich will jeden Quadratmeter, jedes bisschen Platz mit Solarmodulen bedecken«, sagte etwa der Chef des global agierenden Sportartikelherstellers Forward Sports der »Financial Times« . Forward Sports stellt etwa Fußbälle für Adidas her und gehört damit zu den wenigen erfolgreichen Exportunternehmen Pakistans. Die Dächer seiner Fabriken werden jetzt blau.
»Neues Gefühl an Sicherheit«
Aber nicht nur Fabrikgebäude werden in Pakistan mit Solarmodulen gepflastert, auch Privatleute machen sich in großem Stil vom teuren, unzuverlässigen Kohlestrom unabhängig – so auch Shafqat Hussain, der Mann, der Angst um seine Mutter hat. Er kaufte aus China importierte Solarmodule, setzte sie aufs Hausdach und senkte die Stromrechnung der Familie damit um 80 Prozent. Stromausfälle während heißer Tage gibt es jetzt nicht mehr, die Klimaanlage läuft. Hussain freut sich über ein »neu gewonnenes Gefühl an Sicherheit«. »In diesem Land gibt es keine Alternative«, zitiert die »Deutsche Welle« den Mann.
Das sehen in Pakistan sehr viele Menschen und Unternehmen so. Die installierte Kapazität für Solarstrom wird 2024 dort voraussichtlich um 17 Gigawatt wachsen, das ist etwa die Leistung von zehn durchschnittlichen Kohlekraftwerken – oder ein Drittel der gesamten Stromerzeugungskapazität Pakistans.
Die Photovoltaikmodule kommen meist aus China, wo mittlerweile gewaltige Überkapazitäten bestehen, was den weiterhin ungebremsten Preisverfall verursacht. 2022 gab es in Pakistan der Regierung zufolge 41 Gigawatt Kapazität zur Stromerzeugung. Davon entfielen 600 Megawatt oder 0,6 Gigawatt auf Solarstrom. Jetzt, nur zwei Jahre später, sind es bald 17 Gigawatt, also mehr als 28-mal so viel.
Für Energiekonzerne bedrohlich
Das, was in Pakistan gerade passiert, wirkt auf Energiekonzerne rund um den Globus sehr bedrohlich. Denn wenn zur explodierenden dezentralen Solarproduktion auch noch – aufgrund der absehbar extrem schnell fallenden Batteriepreise – massenhafte dezentrale Stromspeicher kommen, braucht den teuren Strom aus Kraftwerken vor allem in sonnenreichen Ländern irgendwann kaum noch jemand. Zumindest jenseits besonders energieintensiver Industrien.
Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen die Stromversorgung ähnlich prekär wie in Pakistan ist, werden sich in den kommenden Jahren Entwicklungen vollziehen, die in Deutschland kaum jemand vorhergesehen hat. Hierzulande erzählt man sich ja gegenseitig weiterhin, der Ausbau der erneuerbaren Energien sei ein »deutscher Alleingang«.
In Subsahara-Afrika leben bis heute etwa 600 Millionen Menschen ohne Stromversorgung. Es ist hoch wahrscheinlich, dass viele davon künftig direkt mit Solarstrom versorgt werden, weil niemand verrückt genug wäre, dort noch Kohle- oder gar Atomkraftwerke zu bauen. Und all das, obwohl die aktuellen Investitionen in die Transformation des Energiesystems als viel zu niedrig eingeschätzt werden . Es wäre sehr sinnvoll, wenn Europa mehr dafür täte, dass sich das ändert. Zinsgünstige Kredite für saubere Energieversorgung wären Entwicklungshilfe und Klimaschutz in einem. Wenn wir es nicht tun, tut es China.
Die Bad Banks des Energiesystems
An Orten, wo es viel Kohlekapazität gibt, entstehen durch die rasante Entwicklung wirtschaftliche Probleme für die Betreiber des alten Energiesystems. In Pakistan wird mittlerweile laut über eine Begrenzung des Solarausbaus nachgedacht, weil die durch eigenproduzierten Strom kollabierende Nachfrage das Stromnetz insgesamt gefährdet. Der pakistanische Energieminister Awais Leghari sagte der »Financial Times«: »Die Nachfrage schrumpft aus dem Stromnetz weg. Das beunruhigt uns sehr.«
Hier zeigt sich ein unterschätzter Faktor der Wende hin zu einer mit der Zukunft der Menschheit kompatiblen Energieversorgung: Das alte, fossile Zeug steht weiterhin herum, es produziert nicht nur Dreck, Stickoxide, Feinstaub und CO₂, sondern auch immense Kosten und Abschreibungsrisiken. Pakistans Kohlekraftwerke sind gerade dabei, sich in die Bad Banks des Energiesystems zu verwandeln: einerseits systemrelevant, andererseits absolut unwirtschaftlich.
Wieder das Atlas-Netzwerk
Das globale Energiesystem steht vor einer Disruption , die es in diesem Tempo noch nie gegeben hat. Preise für erneuerbaren Strom und Batteriespeicher fallen weiterhin in atemberaubendem Tempo , die Wachstumsraten sind sehr deutlich zweistellig.
Internationale Energiekonzerne sehen all das mit großem Argwohn, weil ihnen eine dezentrale Energieversorgung, wie sie sich für viele Länder des globalen Südens selbstverständlich aufdrängt , keine Erlöse bescheren dürfte. Die OPEC und andere fossile Interessenvertretungen bekämpfen den Ausbau der Erneuerbaren deshalb offen und verdeckt gleichermaßen: mit Lobbyismus , politischen Manövern, Propagandakampagnen und Desinformation .
Es ist damit zu rechnen, dass hier global weiterhin die gleichen Widerstandsstrategien zum Einsatz kommen, die wir von der Öl- und Gasindustrie längst kennen, sei es beim Thema Heizen oder beim Thema Mobilität: Es wird konzertierte Anstrengungen geben, den raschen Umstieg, den der Markt an sich längst nahelegt, zu bremsen. In Australien ist das bereits zu beobachten: Dort kämpfen mit dem Atlas-Netzwerk assoziierte Thinktanks und andere Organisationen jetzt gegen den Ausbau erneuerbarer Energien .
All das wird die disruptive Marktentwicklung nicht aufhalten, aber doch bremsen können. Europa, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, sollte diesmal auf der richtigen Seite stehen und von der zwangsläufigen Transformation profitieren – statt sich von sterbenden Geschäftsmodellen zum Blockieren einspannen zu lassen. Nokia oder Apple, Kodak oder Canon – noch haben wir die Wahl.
Zeit hier Von Zofeen Ebrahim Aus der ZEIT Nr. 49/2024 am 21. November 2024,
Smog in Pakistan: "Wir ersticken hier langsam"
Giftiger Smog beherrscht im Osten Pakistans momentan das Leben von Millionen Menschen. Sie leiden unter Atemnot – und hoffen auf künstlichen Regen.
Wann Atmen zur Gefahr wird, misst der Luftqualitätsindex. Er kennt drei Warnstufen. Werte von 151 bis 200: ungesund. Von 201 bis 300: sehr ungesund. Über 300: gefährlich. In Teilen von Pakistan, etwa in der Stadt Multan im Pandschab, lag der Index, kurz AQI, zuletzt bei über 2.000. Seit Wochen kämpft die Provinz, in der 127 Millionen Menschen leben, ebenso wie Teile Nordwestindiens mit schwerem Smog – und damit mit hohen Belastungen durch Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon.
"Es ist, als würde man 60 Zigaretten am Tag rauchen", sagt Salman Kazmi, Internist in der 14-Millionen-Stadt Lahore. Egal, ob er morgens zu seiner Schicht ins Krankenhaus fährt oder am Abend zurück nach Hause: Es fühle sich an, "als sei man in einem rauchigen Nebel gefangen". ....
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