hier 13.12.2024 Leon Werner
Irreführender Artikel: Darum ist Schweden wirklich sauer auf Deutschland
"Strompreis-Wut!", titelte die "Bild"-Zeitung am Freitagmorgen. "Schweden-Ministerin ärgert sich, dass es bei ihr teurer wird, weil wir die AKW abgestellt haben", heißt es unter der Überschrift. Der Hintergrund: In Südschweden sind die Energiepreise so hoch wie schon lange nicht mehr.
Laut "Bild" ist daran der deutsche Atomausstieg schuld. Schweden exportiere deshalb Strom über Unterseekabel nach Deutschland. In der Folge sei das Angebot in Schweden knapp geworden, was die Preise in die Höhe hätte schießen lassen. Dabei bezieht die Zeitung sich auf einen X-Post der schwedischen Energie- und Wirtschaftsministerin Ebba Busch.
Doch einen weiteren wichtigen Grund für die hohen Energiepreise in Südschweden unterschlägt die Zeitung – obwohl dieser ausführlich in einem schwedischen Zeitungsartikel erklärt wird, auf den sich die "Bild" ebenfalls in ihrem Artikel bezogen hatte.
Bild reißt Zitat der schwedischen Ministerin aus dem Kontext
Das viel größere Problem als der Atomausstieg sind nämlich sogenannte Strompreiszonen.
Auf diese bezieht sich auch ein Zitat der Ministerin, das die "Bild" in ihrem Artikel komplett aus dem Kontext gerissen hatte: "Ich bin wütend auf die Deutschen", sagte die Ministerin im Interview mit der schwedischen Zeitung "Aftonbladet". "Sie haben eine Entscheidung für ihr Land getroffen, zu der sie das Recht haben. Aber es hat sehr schwerwiegende Folgen, auch für die Wettbewerbsfähigkeit der EU, denn wir sehen, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit deutlich gesunken ist."
Was sind Strompreiszonen?
Strompreiszonen sind geografische Gebiete, in denen der Preis für Strom unterschiedlich hoch ist. Das soll dafür sorgen, dass der Strommarkt effizienter funktioniert, weil die Preise die tatsächlichen Kosten und Gegebenheiten in der jeweiligen Region widerspiegeln. In Schweden etwa ist das Land in verschiedene Strompreiszonen unterteilt. Wo mehr Strom produziert wird, ist der Preis günstiger. In Deutschland gibt es nur eine Strompreiszone für das ganze Land.
Die "Bild" behauptete in ihrem Artikel, dass sich dieses Zitat auf den Atomausstieg Deutschlands beziehe. Das ist falsch. Busch beschwert sich dort vielmehr darüber, dass es in Deutschland nur eine Strompreiszone für das ganze Land gibt.
Sie fordert, dass der Norden Deutschlands eine eigene Strompreiszone bekommen sollte. Denn im Norden Deutschlands wird aktuell mehr Strom produziert als im Süden. Durch verschiedene Strompreiszonen wären dann auch die Strompreise in Norddeutschland niedriger als in Süddeutschland. Davon würde auch Schweden profitieren, die ja Strom aus Norddeutschland importieren.
Eine solche Teilung des deutschen Strommarktes fordern etwa auch die Grünen in Schleswig-Holstein: "Der Strommarkt von heute ist nicht mehr wie der von gestern: Heute wird der Strom vor allem im Norden produziert und im Süden verbraucht", sagt die energiepolitische Sprecherin der Landtagsfraktion der Grünen, Ulrike Täck.
"Eine einheitliche Strompreiszone bildet diese Situation nicht mehr ab. Den Bürger:innen und auch den Betrieben im Norden ist kaum zu vermitteln, dass vor allem hier, wo die günstigen erneuerbaren Energien gebaut werden, die höchsten Strompreise existieren."
Die europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) sieht das ähnlich. Sie sieht im deutschen Modell eine Marktverzerrung und schlägt eine Aufteilung Deutschlands in Preiszonen nach dem nordeuropäischen Beispiel – wie etwa in Schweden – vor.
So könnte die Aufteilung Deutschlands in Energiepreiszonen aussehen. bild: screenshot / acer
Gegen eine Aufteilung Deutschlands in Energiepreiszonen wehren sich vor allem die südlichen Bundesländer. Denn dort würden die Strompreise dann steigen, da sie weniger Strom produzieren als der Norden. "Jedes Unternehmen steht aktuell vor enormen Herausforderungen. Wir dürfen die Situation nicht durch unnötige Experimente weiter verschärfen", sagte Tobias Gotthardt, Staatssekretär im bayerischen Wirtschaftsministerium.
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Ganz davon abgesehen, ob die Teilung eine gute oder eine schlechte Idee wäre, ist klar: Der Artikel der "Bild"-Zeitung ist irreführend und lässt den wichtigsten Kritikpunkt der schwedischen Ministerin an Deutschland einfach weg.
hier Focus Artikel von Von FOCUS-online-Redakteur Florian Reiter 13.12.24
„Eine absolute Scheißsituation“ - Die ganze Wahrheit hinter Norwegens Dunkelflauten-Wut auf Deutschland
Norwegen ist einer der verlässlichsten Stromproduzenten Europas. Doch die Dunkelflaute in der Nordsee lässt auch dort die Preise steigen. Für die höchsten Strompreise seit 2009 hat Norwegens Politik jedoch einen anderen Schuldigen ausgemacht: Deutschland. Die öffentliche Wut dient auch politischen Zwecken.
Terje Aasland versuchte gar nicht erst, um den heißen Brei herumzureden. „Es ist eine absolute Scheißsituation“, sagte Norwegens sozialdemokratischer Energieminister über die Strompreise des Landes am Donnerstag. Die waren nämlich so hoch wie selten: Im Süden des Landes stiegen die Preise am sogenannten Spotmarkt am Donnerstagabend auf knapp 900 Euro pro Megawattstunde an - fast so viel wie in Deutschland.
Die Dunkelflaute in der Nordsee trifft auch Norwegen zu einem gewissen Maß. Das Land generiert fast seine gesamte Energie aus Wasserkraft, aber neun Prozent stammen aus der Windkraft, meist in Form großer Windparks in der Nordsee. Dennoch: Einen fast 20-fachen Preisanstieg im Vergleich zur letzten Woche rechtfertigt das nur bedingt.
Teurer Griff in die Mottenkiste
Die norwegische Politik hat daher einen anderen Schuldigen ausgemacht: Deutschland. Vor allem die Bundesrepublik litt unter der sogenannten Dunkelflaute am Donnerstag, als ein sonnen- und windarmer Tag dafür sorgte, dass die Produktion aus Erneuerbaren Energien völlig einbrach. Deutschland kann sich zwar jederzeit aus eigener Kraft mit Strom versorgen, indem es etwa alte Kohlekraftwerke aus der Reserve zurückholt. Doch dieser Griff in die Mottenkiste ist teuer. In Zeiten von Stromknappheiten setzt Deutschland daher verstärkt auf Importe, statt die eigenen Kohlekraftwerke hochzufahren.
Und hier kommt Norwegen ins Spiel. Denn das skandinavische Land ist einer der größten Stromlieferanten für Deutschland. Alleine am Donnerstag kaufte die Bundesrepublik 33 Gigawattstunden Strom in Norwegen an, hinzu kamen 64 Gigawattstunden Strom aus Dänemark, in dessen Leitungen ebenfalls viel norwegischer Strom „weitergereicht“ wird. Und dieser massenhafte Export nach Deutschland, so geht die Theorie in Norwegen, sei Schuld an den hohen Strompreisen in Norwegen selbst.
Deutsche „Preisinfektion“
Deswegen gehen die Sozialdemokraten jetzt mit einem neuen Versprechen in die Parlamentswahlen, die im nächsten September stattfinden sollen: Die Stromverbindungen nach Dänemark sollen stillgelegt werden, damit die Deutschen nicht mehr so viel abzapfen können. Der Koalitionspartner von der liberalen Zentrumspartei fordert das schon lange, genau wie die rechtspopulistische Opposition von der Fortschrittspartei.
Geht es nach ihnen, sollen auch die sogenannten Interkonnektoren nach Großbritannien sowie die Direktverbindung nach Deutschland gekappt werden. Die „Preisinfektion durch den europäischen Kontinent“, wie die Fortschrittspartei es nennt, soll damit ein Ende nehmen. Ob das rechtlich, politisch wie technisch überhaupt möglich ist, steht zwar auf einem anderen Blatt. Immerhin bezieht auch Norwegen zu gewissen Zeiten Strom aus dem europäischen Ausland.
Bundesdeutscher Buhmann
Dennoch ist die Wut groß. Das liegt auch daran, dass Norwegen uns Deutschen in Sachen Energie technologisch weit voraus ist. Mehr als 95 Prozent der Haushalte sind mit einem sogenannten „Smartmeter“ ausgestattet, durch den zum Beispiel das Elektroauto genau dann aufgeladen wird, wenn der Preis an den Strombörsen gerade günstig ist. In Deutschland liegt die Smartmeter-Quote bei knapp einem Prozent.
Im Vergleich zu den Bundesbürgern sparen die Norweger dadurch bares Geld auf ihrer Stromrechnung - doch Ausschläge wie am Donnerstag werden dadurch auch schneller sichtbar. Denn wenn der Strom so teuer ist, zahlen das die Norweger eben auch direkt. In Deutschland hingegen merken es viele Endverbraucher wegen ihres festgelegten Strompreises gar nicht.
Ist Deutschland also zu Recht der Buhmann? „Die Exporte verteuern zu bestimmten Zeiten den Strom in Norwegen“, sagt Bruno Burger, Energiemarkt-Experte vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), zu FOCUS online Earth. Dennoch müsse man differenzieren: Denn nur ein kleiner Teil der norwegischen Stromproduktion gehe auch in den Export.
„Der große Verdiener ist der Staat - schiebt aber die Schuld auf die Nachbarländer“
Tatsächlich zeigen die Zahlen der europäischen Übertragungsnetzbetreiber: Norwegen produziert jedes Jahr ziemlich genau 150 Terawattstunden Strom. Davon gehen im Saldo aber nur knapp 20 Terawattstunden in den Export - eine Quote von 13 Prozent. Der Hauptabnehmer des norwegischen Stroms ist außerdem Großbritannien, nicht Deutschland.
„Der große Verdiener ist der norwegische Staat“, sagt Burger. „Er nimmt die Gewinne aus dem Ausland und im Inland gerne mit, schiebt aber die Schuld auf die Nachbarländer.“ In der Tat verdient der norwegische Staat jedes Jahr Milliarden Euro mit der Wasserkraft. Von diesen Einnahmen investiert er wiederum einen Teil, um seine Verbraucherinnen und Verbraucher abzusichern. In Norwegen existiert nämlich eine Art Strompreisdeckel: Ab einer gewissen Preisgrenze kommt der Staat für die Differenz bei 90 Prozent des bezogenen Stroms auf.
Wilde Preissprünge wie am Donnerstag bekommen die norwegischen Verbraucherinnen und Verbraucher also ohnehin nur zu einem Teil mit. Der norwegische Staat hätte sogar die Möglichkeit, einen hundertprozentigen Deckel einzuführen, sagt Burger: „Er würde mit den 13-Prozent-Export ja immer noch gutes Geld verdienen.“
Das Nord-Süd-Problem
Die deutsche Gier nach Strom kann ohnehin nur einen Teil des Strompreis-Sprungs erklären. Da sind auch noch hausgemachte Probleme, etwa was die Stromleitungen angeht. In Norwegen gibt es ein großes Nord-Süd-Gefälle in der Stromproduktion: Im dünn besiedelten Norden des Landes befinden sich die großen Wasserkraftwerke, verbraucht wird die erzeugte Energie allerdings in den Bevölkerungszentren des Südens. Nicht immer sind die Leitungen dieser großen logistischen Aufgabe gewachsen.
Daher ist Norwegen auch in verschiedene Strompreiszonen unterteilt: Der Norden zahlt andere Preise als im Süden - anders als in Deutschland, wo der Preis überall gleich ist. Das Ergebnis zeigte sich am Donnerstag: Während der Strompreis im Süden des Landes auf knapp 900 Euro pro Megawattstunde anstieg, blieb er im Norden des Landes bei entspannten zehn Euro. Großer Zorn über Deutschland war am Donnerstag aus Nordnorwegen nicht zu vernehmen.
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