Frankfurter Rundschau hier 26.12.2024, Von: Joachim Wille
Globalisierte Klimakrisen: Die Verwobenheit der WeltKorallen, Fleischkonsum, grüne Städte: Ein UN-Report zeigt verknüpfte Lösungen für die Natur.
siehe auch hier
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, also über vier Milliarden Menschen, lebt in Gebieten, die gleichzeitig stark von mehreren, sich gegenseitig aufschaukelnden Umweltkrisen betroffen sind. Dazu zählt der Rückgang der biologischen Vielfalt genauso wie der Klimawandel und der Wassermangel. Das bedroht dort zunehmend die Ernährungssicherheit, erhöht Gesundheitsrisiken und hat negative soziale Folgen. Doch es gibt Lösungen. Diese greifen aber nur dann, wenn die Ursachen der Missstände miteinander angegangen werden, wie zwei neue UN-Berichte zeigen.
Es ist keine ganz neue Erkenntnis, dass die Krisen miteinander verbunden sind.
So führen steigende globale Temperaturen bekanntermaßen nicht nur zu mehr extremen Wetterereignissen und Ernteschäden, sondern verstärken auch den Artenschwund. Die Trockenlegung von Mooren wiederum, um mehr landwirtschaftliche Anbaufläche zu gewinnen, vernichtet große Kohlenstoffspeicher im Boden und reduziert direkt die Artenvielfalt. Oder: Die Erhöhung des materiellen Wohlstandes in Schwellenländern wie China oder Südafrika führt gleichzeitig zu erhöhter Luft- und Wasserverschmutzung, damit zu höheren Gesundheitskosten und vorzeitigen Todesfällen.
Die jetzt vorgelegten Berichte des Weltbiodiversitätsrates der Vereinten Nationen (IPBES) analysieren solche Zusammenhänge im Detail. Als Schlussfolgerung daraus betonen die Autorinnen und Autoren des ersten dieser Werke, „Nexus-Report“ genannt: Die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen sind so eng miteinander verknüpft, dass sie nur gemeinsam gelöst werden können. Bisherige Versuche, sie getrennt zu bewältigen, hätten sich vielfach als unwirksam und teils sogar als kontraproduktiv erwiesen. Dies haben unter anderem zu uneinheitlicher Politikgestaltung geführt.
Damit bestehe „die reale Gefahr,
dass wir eine Krise lösen, indem wir die anderen verschlimmern“
dass wir eine Krise lösen, indem wir die anderen verschlimmern“
wie Professorin Paula Harrison sagte, eine leitende Autorin.
Die positive Botschaft des Nexus-Reports ist, dass es Lösungen gibt, die gleichzeitig Verbesserungen in allen Krisenfeldern ermöglichen. Den Bericht haben 165 Fachleute aus 57 Ländern erarbeitet, er wurde unlängst auf einem Treffen der 147 IPBES-Mitgliedstaaten in Namibias Hauptstadt Windhoek gebilligt. Untersucht werden darin mehr als 70 Szenarien zur Verbesserung der Krisenbewältigung in fünf Gebieten: biologische Vielfalt, Wasser, Ernährung, Gesundheit und Klimawandel.
Die Verwobenheit der Probleme wird darin an zahlreichen Beispielen dargestellt. Eines davon: die tropischen Korallenriffe, eines der gefährdetsten Ökosysteme weltweit. Diese sind laut dem Report nicht nur durch die globale Erwärmung, sondern auch die Überfischung und die Verschmutzung der Ozeane bedroht. Der in den kommenden Jahrzehnten erwartete Verlust der Riffe hat laut IPBES Auswirkungen auf rund eine Milliarde Menschen, denen die Riffe entweder als Schutz vor Stürmen, als Nahrungsgrundlage durch Fischfang oder Einkommensquelle durch Tourismus dienen. „Selbst wenn das Klimaproblem gelöst würde, würden die Korallenriffe weiterhin von Umweltverschmutzung, Überfischung und anderen Bedrohungen betroffen sein“, betonte die Co-Autorin Pamela McElwee. Die Problem müssten also gleichzeitig angegangen werden.
Bei bisherigen Lösungsversuchen wurden laut dem UN-Rat oftmals wichtige Zusammenhänge nicht bedacht. So könne die Aufforstung von Wäldern, um per Fotosynthese CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, Agrarflächen verringern, die für die Ernährung wichtig sind, oder den örtlichen Ökosystemen schaden, wenn die Arten falsch ausgewählt werden. Weiteres Beispiel: Der Bau von klimafreundlichen Windkraft-Anlagen könne bei schlechter Standortwahl negative Auswirkungen auf die Population von Vögeln und Fledermäusen haben.
Gefördert werden müssen, so die Fachleute,
Lösungen, die sich positiv auf alle Krisen auswirken
McElwee führt hier als Beispiel die Ausweisung von Meeresschutzgebieten an. „Diese Gebiete erhöhen die Artenvielfalt, steigern den Fischreichtum zur Ernährung der Bevölkerung, erhöhen das Einkommen der lokalen Gemeinschaften und oft auch die Einnahmen aus dem Tourismus“, erläutert sie. Ein weiteres Beispiel: Die Reduzierung des Fleischkonsums, der in den meisten Industrie- und Schwellenländern erhöht ist, kann eine Vielzahl positiver Effekte haben, darunter bessere Gesundheit der Bevölkerung, weniger CO2-Ausstoß und geringeren Druck auf die Umwandlung von Tropenwäldern für Weiden. Plädiert wird in dem Report auch dafür, mehr Grün in die Städte zu bringen. Dies helfe nicht nur, die Gefahr der Überhitzung zu mindern, es verbessere unter anderem auch Luftqualität und die Wasserverfügbarkeit.
Der zweite IPBES-Bericht, der „Transformative Change Report“, setzt ebenfalls hier an. Die rund 100 Autorinnen und Autoren sprechen sich für ein fundamentales Umdenken aus in der Art und Weise, wie Menschen die Natur sehen und mit ihr umgehen, um den Verlust an Biodiversität aufzuhalten. Es brauche neue Ansichten und Werte statt eines einseitigen „Silo-Blicks“, um die Verflechtung von Menschen und Natur zu erkennen.
Die Politik könne dies aktiv unterstützen, so das Forschungsteam. Zudem müsse die biologische Vielfalt automatisch bei Entscheidungen in vielen anderen Sektoren mitgedacht werden. „Infrastruktur und Stadtentwicklung, Bergbau und fossile Brennstoffe tragen erheblich zur Verschlechterung des Zustandes der Natur bei“, sagte einer der IPBES-Experten, der Argentinier Lucas Garibaldi. Dies müsse gestoppt und der Trend umgekehrt werden.
Der positive Ausblick dabei: Die aus Sicht des Biodiversitätsrates notwendigen Veränderungen würden nicht nur Kosten verursachen, sondern zusätzliche Wertschöpfung in Höhe von Billionen Dollar ermöglichen. Schätzungen zufolge könnten bis 2030 dadurch weltweit 395 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, heißt es in dem Report.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen