Riffreporter hier vom Recherche-Kollektiv Busy Streets: Steve Przybilla 19.12.2024
E-Auto-Flaute in Deutschland: Zurück zu Benzin und Diesel?
E-Auto-Flaute in Deutschland: Zurück zu Benzin und Diesel?
2024 schwächelten die Verkaufszahlen von E-Autos in Deutschland. Ist der Boom der Stromer damit vorbei? Oder können es andere Länder besser?
....E-Autos genießen hierzulande keinen allzu guten Ruf. Noch immer kursieren viele Ängste und Vorurteile, die sich in den Verkaufszahlen widerspiegeln. Nach einem kurzzeitigen Boom in den Jahren 2022 und 2023 sind die Zulassungen 2024 drastisch zurückgegangen.
Vergleicht man etwa den November 2024 mit dem November 2023, so wurden laut Kraftfahrtbundesamt 22 Prozent weniger E-Autos zugelassen. Der Einbruch fällt mit dem abrupten Aus der staatlichen Förderung Ende 2023 zusammen.
In der Autobranche, die sich auf einen schnellen Hochlauf der Elektromobilität eingestellt hatte, sorgt diese Entwicklung für Krisenstimmung. Nach VW hat auch Ford angekündigt, mehrere Tausend Stellen zu streichen. Als Grund nennt das Unternehmen unter anderem die geringe Nachfrage nach Elektrofahrzeugen.
In den Nachbarländern läuft’s besser
Ist der Boom der Stromer damit erstmal vorbei? Erlebt der Verbrennungsmotor nun ein unerwartetes Comeback – ausgerechnet im heißesten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen?
Ein Blick andere Länder zeigt: Ganz so einfach ist die Sache nicht. So läuft die Antriebswende in den Niederlanden deutlich besser; dort betrug der Stromer-Anteil bei Neuzulassungen im Jahr 2023 bereits 31 Prozent. Finnland kam auf 33,8 Prozent. An der Spitze liegen Dänemark (36,1 Prozent) und Schweden (38,6 Prozent), wie das Statistische Bundesamt in einem Ranking erläutert.
Insgesamt kam die EU auf einen Durchschnittswert von 14,6 Prozent. Bis zum Neuzulassungsverbot für Verbrenner im Jahr 2035 ist also noch viel Luft nach oben.
Dass es auch deutlich ambitionierter geht, sieht man außerhalb der EU. In Großbritannien hat die neue Labour-Regierung das Verbrenner-Aus kürzlich aufs Jahr 2030 vorgezogen. Für Hybridfahrzeuge soll es aber Ausnahmen geben. Sie dürfen Medienberichten zufolge auch bis zum Jahr 2035 noch auf den Markt kommen.
Machbar scheint diese Vorgabe durchaus zu sein: Im August 2024 waren auf der Insel bereits knapp 23 Prozent aller neuen Autos elektrisch.
Übertreffen kann diesen Wert nur noch Norwegen. Hier spielen Benzin und Diesel so gut wie keine Rolle mehr. Wie auch – ab 2025 dürfen keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden. Der große Aufschrei dagegen ist ausgeblieben, im Gegenteil: „Rekkeviddeangst“, die in Deutschland so verbreitete Reichweitenangst, scheint im hohen Norden kaum ein Thema zu sein. Dabei sind die Strecken oft weit und die Temperaturen eisig.
Keine Steuern, keine Maut, keine Parkgebühren
Der Unterschied zu Deutschland: In Norwegen fährt die Regierung einen glasklaren Kurs in Richtung Elektromobilität. Nicht nur kosten E-Autos deutlich weniger als Verbrenner, weil keine Steuern, keine Maut und oft auch keine Parkplatzgebühren anfallen.
Auch ist der Strom in Norwegen nur etwa halb so teuer wie in Deutschland. Obendrein gilt ein strenges Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde, was zu weniger Verbrauch und damit zu höheren Reichweiten führt.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in China. 2024 wurden dort erstmals mehr E-Autos als Verbrenner zugelassen. Im August lag der Anteil der Stromer an den Neuzulassungen bereits bei 53,5 Prozent, ein Rekordwert.
Dass die Umstellung so konsequent läuft, hat zum einen mit günstigen Preisen, staatlichen Subventionen und immer besser werdenden heimischen Modellen zu tun. Zum anderen aber auch mit einer drakonischen Politik der Regierung: So werden Kennzeichen für neue Verbrenner in vielen Metropolen nur noch per Losverfahren vergeben. E-Autos hingegen kommen sofort zum Zug.
Die deutsche Autoindustrie, für die China einer der wichtigsten Absatzmärke ist, kann von dieser Entwicklung bisher kaum profitieren. Im August 2024 befand sich unter den „Top 10“ der meistverkauften E-Autos nur eine einzige nicht-chinesische Marke: das US-Unternehmen Tesla.
Vor allem im stark wachsenden Segment der Kleinwagen haben die Deutschen wenig zu bieten. Während Hersteller wie BYD immer neue Modelle für unter 10.000 Euro auf den Markt bringen, konzentriert sich die deutsche Autoindustrie nach wie vor auf große, schwere Modelle – die aber bei Software und Batterietechnik der chinesischen Konkurrenz hinterherhinken.
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Auf einem anderen Leitmarkt der Autoindustrie, in den USA, ist die Lage weniger eindeutig. In den vergangenen Jahren hat die Biden-Regierung massiv in den Bau von Batteriefabriken und Ladestationen investiert. Wer sich ein E-Auto kauft, profitiert von einer Steuergutschrift im Wert von 7500 Dollar....
Dabei ergibt die Anschaffung eines E-Autos nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht durchaus Sinn. Das hat mit dem sogenannten Wirkungsgrad zu tun....
Sinken 2025 die Preise für E-Autos?
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„Es kommen immer bessere Elektroautos auf den Markt, teilweise mit großer Reichweite und kurzen Ladezeiten“, erklärt EY-Analyst Constantin Gall. „Zudem könnten wir [2025] einen Preisrutsch auf breiter Front sehen, denn viele Hersteller müssen ihren Absatz von Elektroautos deutlich steigern, um Strafzahlungen wegen zu hoher Flottenemissionen zu vermeiden.“
Keine Frage: Ein Selbstläufer sind die Stromer noch nicht. Aber ganz so düster, wie es manchmal scheint, ist die Lage eben auch nicht. Staaten, die mit Anreizen arbeiten, erleben sogar einen regelrechten Boom. Das große Comeback des Verbrenners? Derzeit ist es nicht in Sicht.
Zeit hier Von Christoph M. Schwarzer 19. Dezember 2024
Verkehrswende in Großbritannien: Wie schnell können die Briten ohne Verbrenner?Ausgerechnet im marktliberalen Großbritannien haben Konservative ehrgeizige E-Auto-Ziele gesetzt. Jetzt stellt sich die Frage, ob das voreilig war.
Verkehrswende in Großbritannien: Großbritannien hat den Ausstieg aus Verbrennungsmotoren klar geregelt, die Quoten sind sogar ambitionierter als in der EU.
Brexit bedeutet Freiheit. Selbstbestimmung statt Vorschriften aus Brüssel. Das zumindest glauben die Befürworter des Ausstiegs aus der Europäischen Union. Was sie vermutlich nicht erwartet hatten, war die Ansage Boris Johnsons an die Autoindustrie im Jahr 2021: Der konservative Premierminister sagte, 2030 sollten alle Neuwagen Elektroautos sein. Damit wäre Großbritannien einer der weltweiten Vorreiter.
Vielleicht wollte Johnson nach dem Brexit dokumentieren, dass die Briten handlungsfähig sind, gewissermaßen entschlossener als die vermeintlich lahmen Bürokraten in Brüssel. Das Ziel, den Verbrenner loszuwerden, haben die beiden großen Parteien Tory und Labour seitdem jedenfalls nicht angezweifelt. Aber über die Details gibt es immer wieder Streit: Derzeit diskutieren sie, wann und wie die letzten Schritte aussehen sollen.
Unter dem Tory-Premierminister Rishi Sunak, der auf Johnson folgte, haben die Konservativen aus der Idee ein Gesetz gemacht: Die Quote der Elektroautos an den Neuwagen muss bis 2030 auf 80 Prozent steigen. 100 Prozent sind erst 2035 zu erreichen, also im selben Jahr wie in der EU. Für jedes Jahr bekommen die Autohersteller Vorgaben: Im kommenden Jahr zum Beispiel sind es 28 Prozent, in drei Jahren schon 52 Prozent. Wenn es der Industrie trotzdem nicht gelingt, die Ziele zu erreichen, sind die Strafen drakonisch: Für jeden Verbrenner zu viel sind gut 18.000 Euro fällig.
Dennoch hinkt Großbritannien heute schon seinen selbst gesteckten Zielen hinterher. Der Marktanteil reiner Elektroautos betrug für die Monate Januar bis Oktober nach der Statistik des Branchenverbands ACEA 18,1 Prozent. Die 22 Prozent, die fürs Gesamtjahr vorgeschrieben sind, erreichen die Hersteller definitiv nicht. Aber immerhin schneiden die Briten besser ab als die Europäische Union. Hier liegt der Marktanteil dieses Jahr bislang bei lediglich 13,2 Prozent.
Streit über Hybride
Der politische Konflikt in London dreht sich momentan um die finale Phase zwischen 2030 und 2035. Verbrenner dürfen dann noch verkauft werden. Doch diese, so möchte es die amtierende Labourregierung mit Premierminister Keir Starmer, müssen dann Hybride sein, also einen Elektromotor als Unterstützung haben. Die Torys sind dagegen.
Was als Hybrid zählt, ist wiederum Verhandlungssache: Reicht es, wenn Bremsenergie ein wenig recycelt wird wie bei einem Mildhybrid? Oder muss ein Auto ein paar Kilometer rein elektrisch fahren können wie ein Vollhybrid? Oder sogar zig Kilometer wie ein Plug-in-Hybrid?
In jedem Fall sind die Quoten im Vereinigten Königreich rigider als der Mechanismus in der Europäischen Union: Formal hat die EU kein Verbot des Verbrennungsmotors beschlossen.
Die Autohersteller müssen die CO₂-Emissionen ihrer Neuwagen nur immer weiter senken. So müssen die zwischen 2025 und 2029 neu zugelassenen Autos im Mittel 15 Prozent weniger emittieren als jene von 2021 bis 2024. Ab 2030 liegt die vorgeschriebene CO₂-Minderung in der EU bei 55 Prozent, 2035 dann bei 100 Prozent. Wie die Hersteller diese Ziele erreichen, ist ihnen überlassen. Faktisch schaffen sie es aber am günstigsten mit E-Autos.
Die Autohersteller müssen die CO₂-Emissionen ihrer Neuwagen nur immer weiter senken. So müssen die zwischen 2025 und 2029 neu zugelassenen Autos im Mittel 15 Prozent weniger emittieren als jene von 2021 bis 2024. Ab 2030 liegt die vorgeschriebene CO₂-Minderung in der EU bei 55 Prozent, 2035 dann bei 100 Prozent. Wie die Hersteller diese Ziele erreichen, ist ihnen überlassen. Faktisch schaffen sie es aber am günstigsten mit E-Autos.
2030 müssen in der EU je nach Berechnungsmodell 40 bis 60 Prozent der Neuwagen elektrisch fahren. Hält Großbritannien an 80 Prozent zu diesem Zeitpunkt fest, müsste der E-Auto-Anteil folglich bis zu doppelt so hoch sein wie in der EU.
Angst vor Verlust von Arbeitsplätzen
Man könnte nun meinen, dass Großbritannien strenger sein kann, weil dort keine Autohersteller mehr ihren Sitz haben und folglich keine Arbeitsplätze bedroht sind. Richtig ist, dass es nach der Krise der Siebzigerjahre, in der unakzeptable Verarbeitungsqualität und unwirtschaftliche Fertigung in den Ruin führten, viele Marken verschwanden oder von anderen Konzernen übernommen wurden: Mini und Rolls-Royce gehören heute zur BMW Group. Bentley ist Teil der Volkswagen AG. Jaguar Land Rover ist im Besitz des indischen Tata-Konzerns. Und die Roadstermarke Morris Garage, abgekürzt MG, ist nur noch ein Logo aus China.
Trotzdem stehen in Großbritannien weiter etliche Fabriken, zum Beispiel von Toyota, Nissan, BMW, Mini, Bentley und anderen. Diese Standorte müssen sich an das Elektroauto anpassen. Entsprechend gibt es auch im Vereinigten Königreich Diskussionen um die Auswirkungen des Verbrenneraus' auf die Industrie, das dort "ZEV mandate" genannt wird.
Ralph Palmer von der europäischen Umweltorganisation Transport & Environment warnt davor, die Gesetze aufzuweichen: "Das ZEV mandate ist eins der wirksamsten Klimaschutzprogramme. Wir sind besorgt wegen des Drucks, den die Autoindustrie auf die Regierung ausübt." Palmer begrüßt die klaren Quoten und sagt, dass "wir Investitionen anziehen". Planungssicherheit sei sehr wichtig für die Hersteller. Es müssten aber mehr Ladesäulen errichtet werden.
Ein Punkt, den Matthias Schmidt bestätigen kann. Der Autoanalyst hat die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens in England verbracht, kennt die Verhältnisse genau und berichtet, dass die Ladeinfrastruktur dort erheblich lückenhafter ist als zum Beispiel in Deutschland. Außerdem, sagt Schmidt, hätten viele Menschen in Großbritannien wegen der Wirtschaftskrise und Inflation große Probleme, ihre alltäglichen Kosten etwa für Lebensmittel und Miete zu bezahlen. In anderen Worten: Ein E-Auto steht für die meisten nicht oben auf der Prioritätenliste.
Die britischen E-Auto-Ziele sind wohl zu ambitioniert
Umso seltsamer ist es, dass die britische Regierung trotz ihrer ambitionierten Ziele bisher kaum Unterstützungsmaßnahmen für die Antriebswende beschlossen hat. Statt Kaufprämien gibt es nur Steuervorteile für Dienstwagenberechtigte, die ein Elektroauto wählen. Der steuerliche Unterschied zum Verbrennungsmotor ist nochmals höher als bei uns. In der Folge steigt derzeit der Anteil der gewerblichen gegenüber den privaten Neuzulassungen.
Aber das reicht nicht aus. Analyst Schmidt hält das Ziel der britischen Regierung daher für unrealistisch: "Meine Prognose ist, dass 2030 eine Quote von 60 Prozent erreicht werden kann." Das Etappenziel würde also um 20 Prozentpunkte verfehlt. Die Lücke zwischen Anspruch und Realität sei einfach zu groß, selbst wenn Elektroautos rapide besser und preisgünstiger würden. Wenn der Staat die Menschen überfordere, könne die Stimmung gegenüber dem Elektroauto ins Negative kippen.
Großbritannien lässt der Industrie Schlupflöcher
Es scheint daher wahrscheinlich, dass die Regierung früher oder später die Vorgaben aufweicht. Einige Schlupflöcher gibt es schon. Hersteller dürfen sich zusammenschließen, um gemeinsam zu bilanzieren: VW zum Beispiel könnte Tesla einen Teil seiner Quote abkaufen. Diesen Mechanismus gibt es auch auf EU-Ebene.
Zudem ist es in Großbritannien erlaubt, ein eventuelles Minus bei der Quote für 2024 durch eine Übererfüllung in den Jahren 2025 und 2026 auszugleichen. Von diesem Kredit auf die Folgejahre macht die Autoindustrie bereits Gebrauch. 2025 und 2026 muss sie folglich erheblich mehr Elektroautos verkaufen. Möglicherweise hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von Großbritannien inspirieren lassen: Er hat zuletzt exakt diese Flexibilisierung vorgeschlagen.
Nichtsdestotrotz dürften E-Autos in den kommenden Jahren beliebter werden, ganz unabhängig von den Regelungen der EU oder einzelner Länder. Denn Batterien, das teuerste Bauteil eines E-Autos, sind zuletzt viel günstiger geworden. Die Skaleneffekte, also die Kostensenkung durch Massenproduktion, beginnen zu greifen. Nun können Hersteller günstige Elektroautos mit hohen Reichweiten anbieten, etwa den Kompaktwagen Kia EV3 mit bis zu 605 Kilometern Reichweite oder den Škoda Elroq 85 mit bis zu 580 Kilometern. Der Einfluss der technologischen Entwicklung ist so am Ende vielleicht größer als der Politik.
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