Um nach dieser Niederlage weiter zu machen bedarf es einen großen Anteil von Mut. ES ist gut, dass uns solche Menschen vormachen, was zu tun ist!
hier Frankfurter Allgemeine Zeitung Artikel von Klaus Max Smolka5.12.24
Nach dem Fall Shell: Umweltaktivisten gehen jetzt ING an
Kino „Kriterion“ in Amsterdam: Gleich läuft der Hauptfilm in der Spätvorstellung an – aber erst kommt noch die Werbung. Nicht nur um Bier oder Eis geht es, in einem der Spots kämpfen kleine gelbe Männchen gegen rauchende und dampfende Schornsteine. Erst als sie ihre Kräfte bündeln, reüssieren sie, und um die Schlote beginnen sich Pflanzen zu ranken. „Wir machen weiter, bis alle Umweltverschmutzer grün sind“, steht im Abspann: Die Organisation Milieudefensie – „Umweltverteidigung“ – wirbt hier für sich und ihre Aktionen.
Milieudefensie? Hat die Organisation nicht gerade eine herbe Niederlage einkassiert in ihrem international beachteten Verfahren gegen Shell?
Vor dreieinhalb Jahren hatten die niederländischen Aktivisten gerichtlich erreicht, dass der Öl- und Gaskonzern seine CO2-Bilanz viel schneller verbessern müsse als selbst geplant. Bis 2030 sollte Shell demnach den Ausstoß um 45 Prozent gegenüber dem Wert von 2019 senken – ein Urteil mit Grundsatzcharakter, auch jenseits der Grenzen. Denn erstmals war ein Unternehmen konkret und quantitativ verantwortlich für seine Treibhausgase, nicht nur aus der eigenen Produktion, sondern auch in der Lieferantenkette und in der Bilanz seiner Kunden. Jeder Liter getankten Shell-Benzins ging in die Rechnung ein. Doch Shell ging in Berufung – vergangenen Monat hob der Gerichtshof in Den Haag die Vorgabe auf.
Milieudefensie aber gibt sich unverdrossen, bis hin in den Kinosaal. Immerhin hat sich die Organisation als Nächstes die größte Bank des Landes vorgenommen: ING , welche sie als maßgeblichen Finanzier großer Kohlendioxidverursacher ansieht. Geht die Mission – „bis alle Umweltverschmutzer grün sind“ – also einfach weiter, trotz der Niederlage im Fall Shell?
Halb leer – oder drei viertel voll
Die Antwort mag ein Besuch in der Zentrale geben, in einem schmalen Sträßchen südlich des Grachtengürtels in Amsterdam. Direktor Donald Pols zeigt sich im Konferenzraum im F.A.Z.-Interview deutlich zuversichtlicher als am 12. November, dem Tag des Berufungsurteils. Sichtlich mitgenommen hatte er damals den Spruch der Berufungsrichterin kommentiert. Aber seitdem war Zeit, ihn gründlich zu analysieren. Jetzt sieht Pols das Glas nicht mehr sprichwörtlich als halb leer an, sondern als halb voll. Mehr noch: „Wenn Sie nach dem juristischen Ergebnis schauen, dann ist das Glas nicht halb voll, sondern drei viertel voll.“
Tatsächlich hat das Gericht im Grundsatz seine Position in mehreren Punkten bestätigt:
- Shell ist demnach generell verpflichtet, den CO2-Ausstoß zu beschränken. Das ergebe sich aus dem „Menschenrecht auf Schutz vor gefährlicher Klimaveränderung“.
In erster Linie sei das Aufgabe des Staats, aber indirekt im Zuge einer Sorgfaltspflicht auch eines Unternehmens wie Shell. - Auch mahnt das Gericht, Konzerne müssten bei Investitionen in die Förderung fossiler Energieträger negative Folgen für die Energiewende berücksichtigen.
Shells Pläne für neue Öl- und Gasfelder könnten dem widersprechen, so der Gerichtshof.
Frist bis Februar
Aber: Konkrete Prozentzahlen, um den CO2-Ausstoß zu senken, muss Shell nach der Berufung nicht mehr befolgen. Ein halbes Dutzend Organisationen hatten sich der Milieudefensie-Klage angeschlossen, 17.000 Bürger unterstützen sie. Milieudefensie kann in letzter Instanz noch Beschwerde beim Obersten Gerichtshof („Hoge Raad“) einlegen. Wann fällt die Entscheidung darüber? Man rede jetzt mit eigenen und externen Juristen, sagt Pols. Gerade weil das Glas drei viertel voll sei, müsse sich Milieudefensie auch überlegen, ob sie das Erreichte aus den ersten Instanzen nicht sichern wolle. Die Frist für eine Beschwerde laufe am 12. Februar ab. Zum Zeitpunkt, an dem die Entscheidung fällt, sagt er nur so viel: „Auf keinen Fall in diesem Jahr.“
Wie sich das Urteil auf die Einkünfte der Organisation auswirkt, ist noch unklar. Pols erwartet nach eigenen Worten aber keine finanziellen Konsequenzen. „Unsere erste Indikation ist, dass die Unterstützung in der Gesellschaft sogar zugenommen hat.“ Er verweist auf eine Umfrage von Ipsos I&O: Das Institut hatte am Wochenende vor dem Berufungsurteil Niederländer gefragt: Sieben von zehn hofften demnach auf eine Bestätigung des ursprünglichen Urteils, zulasten Shells.
In der Umweltszene hatte es Stimmen gegeben, welche das Berufungsurteil als möglicherweise existenzgefährdend für Milieudefensie ansahen. Pols verneint dies, ebenso wie die Frage nach einem möglichen Stellenabbau. „Mehr noch, die großen Umweltverschmutzer dürfen sich auf etwas gefasst machen, denn wir geben nicht auf.“
ABN Amro, Ahold, KLM, Unilever
Wer diese Verschmutzer sind, gibt er auf Nachfrage zwar nicht preis. In anderem Zusammenhang ist Milieudefensie aber kürzlich sehr konkret geworden: Die Organisation rief Bürger auf, Unternehmen eine „Klimakarte“ zu schicken und zur Halbierung ihres Treibhausgasausstoßes aufzufordern, und dabei nannte sie vier bekannte Unternehmen: die drittgrößte Bank des Landes, ABN Amro, den Einzelhandelskonzern Ahold Delhaize. die Fluggesellschaft KLM und den Konsumgüterkonzern Unilever, der wie Shell bis vor Kurzem einen Zweitsitz in den Niederlanden hatte, inzwischen aber nur noch in London sitzt.
Vorerst sind die Kräfte aber konkret auf einen anderen Großkonzern konzentriert: ING.
Als zweites Unternehmen nach Shell bekam es ein formelles Schreiben zugeschickt, in dem Milieudefensie verlangt, den Ausstoß klimaschädlichen Kohlendioxids stark zu senken. „Per Kurier am Freitag, dem 19. Januar, in der ING-Zentrale übergeben“, wie Milieudefensie auf der Homepage meldete.
Milieudefensie: ING ist Klimasünder
ING sei „der größte Finanzierer der Klimaveränderung in den Niederlanden und einer der dreißig größten der Welt“, sagt Pols im F.A.Z.-Gespräch. Die größte niederländische Bank sei für viele Öl- und Gasfelder verantwortlich. „Mehr noch: Seit 2016 ist die Zahl der Öl- und Gasprojekte, die unter anderem durch ING-Finanzierung möglich gemacht wurden, gestiegen.“
ING hält dagegen: „Unser Ausleihungsportefeuille für Öl- und Gasförderung nimmt ab“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Bis 2030 sänken die Kredite im Volumen um 35 Prozent gegenüber dem Niveau 2019, bis 2040 erreichten sie null. Zum jetzigen Status heißt es, in der Tat finanziere ING mehr fossile Energie als andere Banken. „Aber wir sind auch weitaus die größte Bank mit Blick auf die Finanzierung erneuerbarer Energie in den Niederlanden – größer als alle anderen niederländischen Banken zusammen.“
ING sieht sich als Finanzier eines Übergangs, der nun einmal nicht über Nacht passiert. Immerhin speise sich der Energieverbrauch für Verkehr, Heizen, Kochen und Strom derzeit zu vier Fünfteln aus fossilen Brennstoffen. „Das muss sinken, aber das wird Zeit kosten.“ Milieudefensie betont ihre Zwei-Schritt-Strategie. Am liebsten würde man ohne einen Prozess auskommen. So habe man ING über die Medien zum Gespräch eingeladen. Stattgefunden habe ein solches aber nicht. „Leider nicht“, sagt Pols. ING stellt diesen Punkt ebenfalls anders dar. Die Abteilung „Sustainability“ unterhalte Kontakte mit allen interessierten Parteien auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit „und hat auch regelmäßig Kontakt und Beratungen mit Milieudefensie“, teilt die Bank mit. „Diese Gespräche finden auf allerlei Ebenen statt, bis hin zum Vorstand.“
Wie auch immer: Sieht Milieudefensie die Bemühungen INGs als unzureichend, soll als zweiter Schritt eine Klage folgen, entsprechend dem Vorgehen im Fall Shell. „Sie können damit rechnen, dass ING die Klage vor dem Sommer kommenden Jahres empfängt“, sagt Pols. Vor dem 21. Juni also, wie er auf konkrete Nachfrage zum Datum bestätigt.
Dass sich das so lange ziehen kann, hat zwei Gründe. Man habe den Spruch im Fall Shell abwarten wollen. „Und wir hoffen noch immer, dass ING selbst zum Schluss kommt, dass sie ihre Strategie ändert und in Übereinstimmung mit Paris bringt.“
Unternehmen sind durch EU-Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen inzwischen verpflichtet, einen Klimaschutzplan zu erstellen und umzusetzen. Dieser muss sich an den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens orientieren und jährlich von den Unternehmen überprüft werden.
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